www.gdch.de
www.gdch.de Aktuelles Heft Angewandte Chemie Analytical and Bioanalytical Chemistry
Service MyGDCh Shop News Suchen Sitemap NCh Angew ABC  
Ihr Weg zu dieser Seite ==> 

 >  >
Rede von Prof. Erker am 19. März bei der Chemiedozententagung in Leipzig
English Version Diese Seite drucken 


Chemiedozententagung 2001 in der Universität Leipzig

Ansprache von Professor Dr. Gerhard Erker,

Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh),
in der GDCh-Festsitzung am 19. März 2001,
Neues Gewandhaus zu Leipzig

- Es gilt das gesprochene Wort -

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie sehr herzlich zur Festveranstaltung der Gesellschaft Deutscher Chemiker anlässlich der Chemiedozententagung 2001 in Leipzig. Mein besonderer Gruß gilt unseren Gastgebern: Ich begrüße den Prorektor der Universität Leipzig, Herrn Professor Dr. Helmut Papp, und den Vertreter des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, Herrn Ministerialrat Dr. Horst Bienioschek.

Ich freue mich sehr darüber, dass die diesjährige Chemiedozententagung in Leipzig stattfindet. Dies gibt uns allen einen guten Anlass uns daran zu erinnern, welch wichtige Rolle Wissenschaftler der Universität Leipzig bei der Entwicklung der modernen Chemie seit Eröffnung des ersten chemischen Laboratoriums hier vor nunmehr fast 200 Jahren gespielt haben. Ich nenne nur einige Namen aus der frühen Zeit der Chemie in Leipzig: Hermann Kolbe, Johannes Wislicenius, Arthur Hantzsch und ganz besonders Wilhelm Ostwald.

Aber auch die heutige Leistungsbilanz der Chemie in Leipzig kann sich sehen lassen. Ich greife einen Punkt heraus: Wie Sie wissen, liefert die GDCh in jedem Jahr der Öffentlichkeit eine auf genauen Umfragen basierte Studiengangstatistik, die als ein Erfolgsbarometer der Chemieausbildung in Deutschland allgemein anerkannt ist. Unsere Erhebung des Jahres 1999 weist der Chemie der Universität Leipzig bei der Studiendauer bis zum Chemiediplom mit einem 50%-Wert von 9,7 Semestern den Platz 2, also die Silbermedaille, unter den 55 Chemiestandorten in Deutschland zu. Übertroffen wird dies nur noch von der TU Dresden mit 9,6 Semestern. Die beiden großen Universitäten in Sachsen nehmen in dieser Statistik also die Plätze 1 und 2 ein, und auch bei den Studienzeiten bis zur Promotion, dem nach wie vor üblichen Abschluss in der Chemie, befinden sich diese beiden Universitäten auf vorderen Plätzen. Dies ist ein wichtiger Indikator für die Qualität des Chemiestudiums an diesen Hochschulen. Die gute Betreuung der Studierenden und die gute Atmosphäre an diesen Fachbereichen zeigen sich auch am weit überdurchschnittlichen Anstieg der Anfängerzahlen im Fach Chemie. Nach der noch nicht ganz abgeschlossenen Erhebung der GDCh für das Jahr 2000 wurden für Leipzig und Dresden je fast 80 Studienanfänger im Diplomstudiengang Chemie ermittelt. Den größten Anstieg hat im Jahr 2000 eine weitere Universität in den neuen Bundesländern zu verzeichnen, nämlich Jena mit jetzt 115 Chemiestudierenden im 1. Semester; diese Zahl wird nur noch an den großen Universitäten Münster und Aachen übertroffen.

Die genannten Zahlen sind bemerkenswert vor dem Hintergrund einer immer noch schwierigen Situation bei den Anfängerzahlen in vielen naturwissenschaftlichen und technischen Fächern. Wie Sie wissen, sank die Zahl der Studienanfänger im Fach Chemie von fast 7.000 im Jahr 1991 auf einen Tiefpunkt von knapp unter 3.000 im Jahre 1994. Von da an ist ein nur geringer Aufwärtstrend bis zu ca. 3.300 Studienanfängern im Jahr 1999 zu verzeichnen. Die Hochrechnung für das Jahr 2000 scheint jetzt erstmals wieder eine erhebliche Zunahme der Anfängerzahlen bei den Chemiestudierenden anzuzeigen. Wir wissen natürlich nicht, ob sich dieser Trend in der Zukunft fortsetzen wird. Mit aller Vorsicht interpretiert, kann dieser nennenswerte Anstieg mit einer bekanntermaßen viel besser gewordenen Einstellungssituation für unsere Berufsanfänger zu tun haben. Es könnten sich aber auch die vielen Einzelmaßnahmen und Aktivitäten anfangen auszuzahlen, mit denen Schülern verschiedener Jahrgangsstufen die Bedeutung und die Faszination, die Chemie haben kann, nahegebracht wurde. In diesem Bemühen dürfen wir nicht nachlassen. Umso mehr gilt das, als nach einer OECD-Studie vom Mai 2000 Deutschland sowieso eine zu geringe Zahl an Graduierten in den Naturwissenschaften, Informatik und Mathematik mit 1.040 pro 100.000 Beschäftigten aufweist. Im OECD-Durchschnitt ist deren Anteil mit 1.500 erheblich höher, er kommt in Ländern wie Frankreich oder Japan auf Werte >5.000. Auch der Anteil an jungen Menschen, die in Deutschland eine Universitätsausbildung beginnen, liegt mit weniger als 30% gegenüber dem OECD-Durchschnitt zu niedrig, mit gegenwärtig sogar noch abnehmender Tendenz. Ich glaube, dass wir einiges tun müssen, um unseren Abiturienten das Studium, was uns angeht: das Chemiestudium, attraktiv zu machen. Ich erwähne als wichtige und wirkungsvolle Maßnahmen hier stellvertretend die GDCh-Broschüre "Chemie studieren", die Web-site "Chemie im Fokus" und die umfangreichen und sehr erfolgreichen Initiativen zur Lehrerfortbildung, die die GDCh in enger Abstimmung mit einer Reihe von Partnern veranstaltet, darunter dem Fonds der Chemischen Industrie.

Eine attraktive, moderne Gestaltung unserer Studiengänge ist ein weiteres wichtiges Mittel, begabte junge Menschen für die Chemie zu gewinnen und zu begeistern. Es kommt jetzt eine Generation junger Menschen an die Universitäten, die sich nicht von vornherein in ihren Plänen im Detail für eine sehr lange Zeitspanne festlegen lassen wollen. Für die Planung des Studiums Zwischenstationen mit attraktiven Wahlmöglichkeiten aufzeigen zu können und die begabten Studierenden nach einem konzentrierten Grundstudium früher mit forschungs-orientierten Aufgaben zu fordern und zu fördern, scheint mir ein Gebot der Stunde. Die GDCh hat mit ihren Entwürfen zu den gestuften Studiengängen dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Die Studienreformkommission der GDCh hat gerade ihre Empfehlung für einen Studiengang "Biomedizinische Chemie/Wirkstoff-Forschung" vorgelegt, der eine wichtige Rolle in der Entwicklung des interdisziplinären Bereiches zwischen Chemie, Biologie, Pharmazie und naturwissenschaftlicher Medizin spielen wird.

Zur Qualitätssicherung neuer Studiengänge wurde auf Initiative der GDCh die Akkreditierungsagentur für die Studiengänge Chemie, Biochemie und Chemieingenieurwesen an Universitäten und Fachhochschulen - kurz A-CBC - eingerichtet und mittlerweile vom Akkreditierungsrat anerkannt. Ich gehe davon aus, dass die A-CBC in Kürze Teil einer großen, die Mathematik und die Naturwissenschaften umfassenden allgemeinen Akkreditierungsagentur sein wird. Das Instrumentarium zur Einführung attraktiver gestufter Studiengänge steht damit zur Verfügung. Die Hochschulen sind jetzt gefragt es zu nutzen. Den Mitgliedern und Beratern unserer Studienreformkommission möchte ich bei dieser Gelegenheit für ihre unermüdliche, wichtige Tätigkeit an dieser Stelle ganz herzlich danken. Sie haben großartig gearbeitet!

Trotz aller positiver Entwicklung haben wir uns bezüglich der Zahl der Chemieabsolventen für einen längeren Zeitraum auf eine schwierige Situation einzustellen. Seit Anfang der 90iger Jahre ist die Zahl der bestandenen Vordiplomprüfungen in der Chemie dramatisch zurückgegangen. Jetzt nehmen pro Jahr nur noch knapp über 1.000 Chemiestudierende ihr Hauptstudium auf. Mehr Diplomchemiker und promovierte Chemiker wird es dann auf diesem für unser Wirtschaftssystem so wichtigen Bereich als Absolventen aus unseren Ausbildungssystemen nicht geben. Schon 1999 standen dem, nach der GDCh-Statistik, fast 700 Chemiker gegenüber, die in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, und dazu über 300 Chemiker, die in anderen Industrie- und Wirtschaftszweigen ihre erste Anstellung erhielten - beide Zahlen mit steigender Tendenz für das Jahr 2000. Gerade der Anteil von Einstellungen außerhalb der eigentlichen Chemischen Industrie wird vermutlich noch zunehmen, da immer mehr Wirtschaftszweige erkennen, dass unsere Chemiker exzellent ausgebildet sind und sich für Führungsaufgaben in vielen Bereichen hervorragend eignen. Es ist in der Summe in den vor uns liegenden Jahren bei aller Unsicherheit von solchen Schätzungen ein Mangel von einigen tausend Chemikern wahrscheinlich. Ein Ausgleich durch die Einstellung von Chemikern aus dem Ausland ist unwahrscheinlich: In vielen europäischen Nachbarländern ist die Situation noch ungünstiger.

In dieser Situation sollten wir uns daran erinnern, dass es aus den schwierigen zurückliegenden Jahren eine erhebliche Zahl von Kolleginnen und Kollegen gibt, die nach einem erfolgreich absolvierten Chemiestudium damals keine adäquate Stelle bekommen haben. Von denen sind auch heute noch manche ohne eine passende Anstellung. Sie sind natürlich älter als die typischen Berufsanfänger, stellen aber mit ihrer Lebenserfahrung bestimmt eine Bereicherung für unseren Arbeitsmarkt dar. Wir sollten versuchen, Wege zu finden, möglichst viele von ihnen durch geeignete Maßnahmen für verschiedene Berufsfelder der Chemie wieder zu gewinnen. Die Wissenschaftsministerin des Landes Thüringen, Frau Schipanski, hat vor kurzem einen ähnlich lautenden Vorschlag gemacht, den ich hier nachdrücklich unterstütze. Dazu sind in einigen Fällen individuell abgestimmte Fortbildungsmaßnahmen erforderlich. Im Bereich der Chemieberufe kann die GDCh mit ihrer großen Erfahrung in der Arbeitsvermittlung und ihrer Vermittlungsdatenbank bei Bedarf schnell und gezielt helfen, die richtigen Partner zusammenzubringen. Die GDCh ist gern bereit, bei der Organisation geeigneter Maßnahmen mitzuhelfen und gemeinsam mit den Arbeitsämtern, den Industrieorganisationen und -unternehmen, den Universitäten und anderen Interessierten hier ein wirkungsvolles Programm zu erstellen. Es steht uns gut an, diese Gruppe unserer Chemieabsolventen aus den vergangenen Jahren nicht zu vergessen und Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen zu zeigen, die in der Vergangenheit ohne ihre Schuld in eine nicht befriedigende berufliche Lage geraten sind.

Eine ähnlich ungünstige Situation gibt es bei den Chemielehrern für unsere Schulen. Dort stehen schon jetzt zuwenig junge Referendare für das Fach Chemie zur Verfügung. Im Bereich der Lehramtsberufe gibt es seit kurzem in einigen Bundesländern Möglichkeiten des Seiteneinstiegs, verbunden mit einer ergänzenden pädagogischen Ausbildung.

Wenn man von der Situation unserer Nachwuchswissenschaftler spricht, sollte man ein Wort zu den Chemiehabilitanden sagen. Ich will das hier nur sehr kurz tun; der ADUC-Vorsitzende, Professor Henning Hopf, wird dazu später vermutlich mehr sagen. Um die Habilitation im allgemeinen gibt es in unserem Land eine Diskussion, die in jüngster Zeit an Intensität zunimmt. Es ist in einem Wissenschaftssystem sicherlich gut, bestehende Institutionen von Zeit zu Zeit zu hinterfragen und auf den Prüfstand zu stellen, und das muss natürlich auch für die Habilitation gelten. Ich warne aber davor, etwas, was für ein Fach in der Vergangenheit recht erfolgreich war, in einer künstlichen Diskussion jetzt schlecht zu reden, einfach um etwas Neuem und etwas Anderem den Weg zu ebnen: denn viel von der Kritik, die gegen die Habilitation jetzt im allgemeinen vorgebracht wird, trifft im Bereich der Chemie nicht wirklich zu. Das Chemiesystem in Deutschland hat es in der Vergangenheit gut geschafft, in großer Zahl talentierte junge Menschen zu einer erfolgreichen Karriere als Hochschullehrer zu führen. Der wissenschaftliche Erfolg und der weltweit hohe Rang vieler Bereiche der Chemie in unserem Lande belegen das. Ich habe den Eindruck, dass die Chemiehabilitanden in vielen Chemischen Instituten gute Arbeitsbedingungen gefunden haben und dass ihre Arbeiten von ihren Mentoren sehr oft vorbildlich gefördert werden. Ich würde mir allerdings wünschen, dass unsere angehenden Hochschullehrer von vornherein besser formal und offiziell in die Universität eingegliedert würden, ganz besonderes dann, wenn sie als Stipendiaten bei uns tätig sind.

Bei der derzeitigen Diskussion stört mich besonders, dass so häufig einfach über die Köpfe der Betroffenen hinweg geredet und diskutiert wird. Kaum jemand scheint auf die Stimme der Habilitanden und frisch Habilitierten selbst an unseren Universitäten und Forschungsinstituten zu hören. Deshalb möchte die GDCh diese Gruppe in den nächsten Wochen einmal ausführlich nach ihrer Meinung fragen. Was Sie von Ihrer derzeitigen Situation halten, was Ihre Erfahrungen sind, was Sie sich wünschen würden, möchten wir von Ihnen wissen. Wir werden so auf GDCh-bewährte Weise eine gute Grundlage für die weiteren Diskussionen erhalten. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt.

Die Qualität eines innovativen Wirtschaftsstandortes hängt heute weniger von materiellen Voraussetzungen ab, sondern in zunehmendem Maße von klugen Köpfen, d. h. der Anzahl junger Menschen, die in jedem Jahr erneut erstklassig ausgebildet für die Entwicklung neuer Ideen und innovativer Produkte zur Verfügung stehen, z. B. junge Chemiker, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse von den Hochschulen für Anwendungen in die Unternehmen mitbringen. Bildung und gute Ausbildung werden zunehmend zu wichtigen Wirtschaftsgütern. Davon wird in der Zukunft ganz wesentlich die Schaffung neuer Arbeitsplätze abhängen. Die Qualität des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Deutschland, so behaupte ich, wird direkt von der Qualität und der internationalen Akzeptanz des Bildungsstandorts Deutschland bestimmt sein.

Der Anteil ausländischer Chemiestudierender liegt in Deutschland bei etwa 10%. Das ist nicht sehr viel. Umso mehr ist es zu bedauern, dass wir bei uns in der Chemie immer noch keine Postdoktorandenkultur haben. Das war in der Vergangenheit bei hohen Überlastquoten und einer sehr großen Zahl von Doktoranden verständlich. Jetzt hat sich diese Situation fundamental verändert, aber trotzdem kommt die Forschung mit Postdoktoranden nicht so recht in Gang, besonders wenn man unsere Situation mit der in anderen Ländern, z. B. den USA, vergleicht. Das zeigt an, wie wenig flexibel sich unser Wissenschaftssystem gegenüber Änderung von Rahmenbedingungen erweist. Selbst die Halbierung der Zahl der Studienanfänger in der Chemie innerhalb weniger Jahre hat bezüglich der Einstellung von Postdoktoranden aus dem In- und Ausland kaum wesentliches bewirkt. Hier sind Veränderungen bei den formalen Randbedingungen nötig, z. B. bei der immer noch sehr komplizierten Einstellung von Wissenschaftlern aus dem Ausland im BAT-Bereich. Es wird aber vermutlich ein wirklicher Mentalitätswandel nötig sein, um eine den Namen wirklich verdienende Postdoktorandenkultur in der Chemie an unseren Universitäten zu etablieren. Die Beteiligten sollten sich bewusst sein, dass wir über die aktuelle Bearbeitung von Forschungsthemen hinaus ein vitales Interesse daran haben müssen, die besten jungen Talente aus aller Welt in die Chemiefakultäten unserer Universitäten und in unsere Forschungsinstitute zu holen. Diese werden dann später in zunehmendem Maße über den Standort Deutschland in unsere weltweit aktiven Unternehmen gehen oder nach erfolgreicher Tätigkeit bei uns zu den zukünftigen Eliten ihrer Heimatländer gehören. Beides kann für ein exportorientiertes Wirtschaftssystem, wie das unsere, von entscheidendem Vorteil im internationalen Wettbewerb und in der internationalen Entwicklung sein. Wir wären gut beraten, mehr zu unternehmen, um bei uns in der Chemie eine breit und international angelegte Postdoktorandenkultur aufzubauen.

Viele der Punkte, die ich heute angesprochen habe, muss man zunehmend in einem europäischen Zusammenhang sehen und behandeln. Europa wächst ökonomisch und politisch immer schneller zusammen. Wir werden in der EU schon bald eine gemeinsame Währung haben. Das wird viel stärkere Auswirkungen auf die Entwicklung europäischer Gemeinsamkeiten haben, als wir das heute realisieren mögen. Schon jetzt sind unsere Chemieunternehmen stark auf einem europäischen Markt engagiert, der in der Chemie dem nordamerikanischen an Größe und Bedeutung fast ebenbürtig ist und der in seinem Zukunftspotential diesen vermutlich sogar noch übertrifft. Viele für diesen Markt wichtige Entscheidungen werden sich zunehmend von der nationalen Ebene auf die europäische Ebene verlagern - einige spezifische Tendenzen und Details dieser Entwicklung in Europa sind im Weißbuch "Strategie für eine künftige Chemiekalienpolitik" der EU-Kommission vom Februar dieses Jahres nachzulesen.

Eine noch rasantere Entwicklung hin zu gemeinsamen europäischen Strukturen gibt es im Bereich Bildung und Forschung. Hier ist durch die Erklärung von Bologna vom Juni 1999 ein klarer Weg zur Angleichung der Hochschulabschlüsse sowie der Einführung vergleichbarer gestufter Ausbildungs- und Studiengänge in den europäischen Partnerländern innerhalb dieses Jahrzehnts vorgezeichnet. In einigen Nachbarländern in Europa stehen deshalb tiefgreifende Veränderungen z. B. bei der Organisation von Studiengängen bevor. Auch in der Forschung werden wir uns, nicht zuletzt bedingt durch die Entwicklungstendenzen in der Forschungsförderung, auf eine deutlich stärkere europäische Komponente einzustellen haben, wie es zu Anfang des letzten Jahres in seinem Bericht "Towards a European Research Area" vom EU-Kommissar Phillipe Busquin beschrieben wurde.

Vor diesem Hintergrund muss man über die zukünftige Rolle und die Entwicklung der chemischen Gesellschaften in Europa nachdenken. Die Aktivitäten der GDCh und ihrer europäischen Schwestergesellschaften sind derzeit in erster Linie auf die Mitglieder im eigenen Land gerichtet. Hier sind wir sämtlich sehr erfolgreich und leisten eine wichtige Arbeit. Man muss aber feststellen, dass die Mitglieder der verschiedenen europäischen Chemischen Gesellschaften, von spezifischen Ausnahmen abgesehen, voneinander immer noch recht wenig wissen. Hand aufs Herz: Wer von uns könnte heute sagen, wann und wo die französische Chemische Gesellschaft ihre nächste große Tagung abhält, welche Wissenschaftler für ihre hervorragenden wissenschaftlichen Arbeiten gerade von der Chemischen Gesellschaft in den Niederlanden, in Italien oder in Großbritannien oder in Polen oder Tschechien ausgezeichnet wurden? Das sind aber sämtlich für die Chemiker und Chemikerinnen in unseren Nachbarländern wichtige Ereignisse und kennzeichnen dort bedeutende Entwicklungen und Entscheidungen.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Dynamik des europäischen Geschehens ist ein stärker koordiniertes gemeinsames Handeln der Chemiker und Chemikerinnen in Europa nötig. Wir sollten versuchen, in absehbarer Zeit eine ausgeprägte Identität der Mitglieder der nationalen Chemischen Gesellschaften als Wissenschaftler in Europa zu entwickeln. Die einzelnen Chemischen Gesellschaften haben sich natürlich weiterhin um die spezifischen Belange ihrer Mitglieder im eigenen Land zu kümmern. Aber letztlich wird eine ganz erhebliche Verschiebung von wesentlichen Aktivitäten der Gesellschaften auf eine gemeinsame europäische Ebene zu erfolgen haben, um den Herausforderungen der anstehenden Entwicklungen und Veränderungen in der Wissenschaftslandschaft auf diesem Kontinent angemessen begegnen zu können. Die Zukunft der Chemischen Gesellschaften in Europa liegt in einem erheblichen gemeinsamen Handeln in vielen Bereichen. Es wäre vermutlich von Vorteil, wenn sich auch die Chemischen Gesellschaften in Richtung auf eine transnationale Verbundstruktur hin entwickeln würden, um so für die Gesamtheit ihrer Mitglieder in einem sich verändernden, rasch zusammenwachsenden Europa noch effektiver tätig sein zu können.

Es muss jetzt sorgfältig erwogen und diskutiert werden, ob dies am besten durch eine entsprechende Weiterentwicklung der FECS, der seit 30 Jahren bestehenden lockeren Vereinigung der Chemischen Gesellschaften in Europa geschehen kann, oder ob wir eine anders angelegte neue Struktur, eine EUChemSoc, brauchen, in der letztlich die über 100.000 Chemikerinnen und Chemiker in Europa individuell oder über ihre nationalen Gesellschaften selbst Mitglied werden anstatt nur durch Repräsentanten indirekt vertreten zu sein. Mittlerweile ist diese meines Erachtens notwendige Diskussion auf breiter Basis in Gang gekommen, und sie wird jetzt von vielen Seiten sehr ernsthaft geführt. Diese Diskussion ist wichtig. Ihr Ausgang wird die Zukunft der Rolle der Chemischen Gesellschaften in Europa zu einem erheblichen Teil bestimmen.

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker hat vorgeschlagen, dass die Chemischen Gesellschaften in Europa in einem ersten Schritt eine gemeinsam betriebene elektronische Mitgliederdatei erstellen. In einem solchen Verzeichnis könnten die Mitglieder leicht für sich spezifische Anforderungsprofile erstellen, nach denen die Gesellschaften auf dem Weg über das Internet auf sehr effiziente Weise und in einer vernünftigen Kostenstruktur über die Ländergrenzen hinweg eine Vielzahl wichtiger Informationen an die Gesamtheit ihrer Mitglieder bringen könnten. Die Nutzung dieses Informationsverbundes der Europäischen Chemischen Gesellschaften könnte sich sehr vorteilhaft auf das gemeinsame Handeln in vielen Bereichen auswirken, z. B. den Austausch von Studierenden in Europa, die Suche junger Menschen nach Promotionsmöglichkeiten in den europäischen Partnerländern, das Angebot von Postdoktorandenpositionen, von Stipendien, von Forschungskooperationen. Eine solche gemeinsam betriebene Datenbank der Europäischen Chemischen Gesellschaften würde eine ideale Basis bieten, Forschungsnetzwerke in Europa zu bestimmten aktuellen Themen zusammenzustellen, ohne auf den heute oft langwierigen und für manche undurchsichtigen Informationstransfer bei den EU-Forschungsprogrammen angewiesen zu sein. Die Datenbank könnte von den Gesellschaften zur Vermittlung von Stellen im sich rasch entwickelnden europäischen Arbeitsmarkt genutzt werden. Es sind Substrukturen denkbar, die die gemeinsame Nutzung von Großgeräten innerhalb Europas betreffen, die der virtuellen Zusammenführung von Schwerpunkten ausgezeichneter wissenschaftlicher Forschung in Europa dienen und vieles mehr. Viele von diesen Nutzungsmöglichkeiten liegen auf der Linie der Busquin-Überlegungen. Der Vorschlag der GDCh zur Entwicklung einer "Datenbank der European Chemical Societies" wird derzeit intensiv bei uns und unseren europä-ischen Schwestergesellschaften diskutiert. Ich halte diese Initiative für wichtig und würde mich über eine baldige Realisierung dieser Pläne freuen.

Natürlich sind die internationalen Aktivitäten der GDCh nicht nur auf Europa gerichtet. Unsere Gesellschaft unterhält intensive freundschaftliche Beziehungen zu vielen Chemischen Gesellschaften und Vereinigungen in aller Welt. Besonders erwähnen möchte ich im Jahr 2001 die American Chemical Society. Sie feiert in diesem Jahr ihren 125. Geburtstag. In diesem Zusammenhang gab und gibt es eine Reihe von Besuchen und Veranstaltungen - ich erwähne den ACS/GDCh-Workshop "Frontiers of Chemistry/Zukunft der Chemie" im letzten Jahr in Deutschland, mit einer geplanten Folgeveranstaltung in den USA und den Besuch unserer Jungchemiker beim Younger Chemists' Congress in Boston in diesem Jahr. Der Präsident der ACS, Dr. Attila Pavlath, hat seinen Besuch bei der Jahrestagung der GDCh in diesem Jahr in Würzburg in Aussicht gestellt, worauf sich die GDCh sehr freut. Dies gibt mir die Gelegenheit, auch an dieser Stelle für unsere große GDCh-Jahrestagung in der letzten Septemberwoche dieses Jahres in Würzburg zu werben. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Wir werden ein umfangreiches und äußerst attraktives Vortrags- und Veranstaltungsprogramm haben, getragen von den Fachgruppen der GDCh und erstmals organisiert in einer modernen Symposienstruktur. Die neuen Jahrestagungen der GDCh werden regelmäßig im zweijährigen Rhythmus stattfinden. Nach Würzburg 2001 wird München im Liebig-Jahr und dem geplanten Jahr der Chemie 2003 der nächste Veranstaltungsort sein. Diese Tagungen, da bin ich mir sicher, werden sich zu dem Treffpunkt der Chemiker in unserem Land entwickeln. Jetzt freue ich mich aber auf interessante Vorträge und Diskussionen bei der Chemiedozententagung in Leipzig.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.



Letzte Änderung: GCHOE, 07.11.2007


Diese Seite drucken 

Impressum | Disclaimer | Webmaster