Wer bekommt das beste Stück vom Mobilfunk-Kuchen?

Das Marktforschungsinstitut TNS Infratest hat das Nutzungsverhalten mobilen Telefonierens in 29 Ländern untersucht. Der Report "Global Technology Insights 2007/08" zeigt Trends, Wachstumspotenziale und Barrieren der Mobilfunkbranche.

Die Heterogenität des Marktes bringt es mit sich, dass die klassischen Mobilfunk-Anbieter mit den unterschiedlichsten Herausforderungen zu kämpfen haben. Durch den Trend zu mobilen Diensten und Anwendungen verwischen die Grenzen zwischen den Geschäftsfeldern von Mobilfunkbetreibern, Endgeräteproduzenten, Internet- und Medienanbietern. Und trotz vieler interessanter Ansätze ist die nächste globale "Killer-Applikation" für das Handy noch nicht klar auszumachen.

Handy-TV ist eines der neuen Felder für Mobilfunkanbieter
 Handy-TV ist eines der neuen Felder für Mobilfunkanbieter

Wenn am 8. Juni im österreichischen Klagenfurt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihr erstes EM-Gruppenspiel gegen Polen bestreitet, werden Millionen Fußballfans gebannt vor Fernsehgeräten oder Großbildleinwänden auf Deutschlands Public Viewing Points sitzen und das Spiel verfolgen. Einige werden aber auch auf ihrem Handy-Bildschirm das erste Spiel der deutschen Elf verfolgen. Wenn es nach dem Betreiber-Konsortium Mobile 3.0 geht, das bis zur Fußball Europameisterschaft in den wichtigsten Ballungszentren den Sendebetrieb aufnehmen will, dann soll das fußballerische Großereignis dem Handy-TV in Deutschland zum Durchbruch verhelfen.

Verhaltene Vorfreude der Nutzer

Allerdings ist im "Global Technology Insights"-Report (GTI) ein eher verhaltenes Bild der Nutzung von Handy-TV in Deutschland nachzulesen: Nur sieben Prozent der Befragten geben an, an einer Nutzung von Handy-TV in den nächsten 12 Monaten interessiert zu sein. Lediglich in Spanien und den Niederlanden ist dieser Wert noch niedriger. Großbritannien (19 Prozent) und Frankreich (21 Prozent) zeichnen sich dagegen im innereuropäischen Vergleich durch eine deutlich höhere Zusprache aus.

Ganz anders die Situation in einigen asiatischen Ländern. In Südkorea oder Japan beispielsweise zeigen gegenwärtig bereits 32 Prozent bzw. 42 Prozent der Befragten Interesse an einer Nutzung von Handy-TV. Neun bzw. 19 Prozent nutzen es bereits aktiv. Am höchsten ist das Interesse an Handy-TV in einigen der sogenannten Schwellenländer. Beispielsweise 43 Prozent der Inder zeigen sich daran interessiert und jeweils 57 Prozent der Befragten in Marokko und Vietnam. Auf den ersten Blick vielleicht überraschend. Doch diese hohen Werte sind schnell nachvollziehbar. In Ländern, in denen große Bevölkerungsteile noch keinen Zugang zu technologischen Standards wie Fernseher oder PC haben, scheint das Handy eine vielseitige und vor allem auch erschwingliche Alternative zu sein.

Unbestrittenes Potenzial

Das grundsätzliche Potenzial für mobiles Fernsehen auf dem Handy ist aber auch in Deutschland unbestritten. Die Frage ist nur, wann es sich durchsetzen wird. Und wer werden die großen Profiteure sein: Handyhersteller oder Netzbetreiber, oder doch eher die Fernsehsender? Oder am Ende doch die Medienbranche, wie etwa Mobile 3.0, ein Joint Venture aus Mobiles Fernsehen Deutschland GmbH und Neva Media GmbH, hinter der neben dem südafrikanischen Medienkonzern Jaspers die beiden Verlagsgruppen Burda und Holtzbrinck stehen?

Die Fragen, die exemplarisch für den Handy-TV Markt gestellt wurden, lassen sich auf die gesamte Mobilfunkbranche übertragen. Was werden die Wachstumsmärkte sein? Welche Formate, Anwendungen und Dienste versprechen die meisten Kunden und vor allem: Welche die meisten Einnahmen? Welche Geschäftsmodelle setzen sich dabei durch?

Schwellenländer wie Indien, wo noch nicht jeder ein Handy besitzt, bieten großes Potenzial für die Branche
 Schwellenländer wie Indien, wo noch nicht jeder ein Handy besitzt, bieten großes Potenzial für die Branche

Schwellenländer im Fokus

Grundsätzlich kann man die Herausforderungen der Branche in zwei Hauptaspekte gliedern: Meistern des und profitieren vom explosiven Wachstum des Mobilfunkmarktes in den asiatischen und lateinamerikanischen Schwellenländern. In vielen dieser Länder besitzen selbst in den Metropolregionen beträchtliche Teile der Bevölkerung derzeit noch kein Handy. So sind es in Indien und Vietnam gegenwärtig knapp die Hälfte der urbanen Bevölkerung. Enormen Nachholbedarf haben die ländlichen Regionen dieser Länder. Dort steht die Versorgung der Bevölkerung mit einer Mobilfunkinfrastruktur und Endgeräten zwar erst am Anfang, jedoch mit positiven Ausblick für die Netzwerkbetreiber, schließlich finden sie dort noch eine große Zahl von Neukunden vor.

Das Handy hat in diesen Ländern eine realistische Chance ohne Umwege die neue Technologieplattform für eine Reihe von Anwendungen und Diensten zu werden. Das Beispiel Handy-TV zeigt dies. Wer sich gar nicht erst an einen Fernseher gewöhnt, der ist auch zunächst mit einem Handy-Bildschirm zufrieden. Wer keinen PC als Alternative hat, der surft mit seinem Handy im Internet und wird seine Nachrichten per SMS oder mobilem E-Mail- Zugang senden. Auch das zeigt der GTI-Report: Während in Deutschland mehr als die Hälfte aller privaten Textnachrichten per E-Mail oder Instant Message via PC verschickt werden und in den USA sogar zu 74 Prozent (bei den beruflichen Nachrichten sind es 75 bzw. 80 Prozent), werden in vielen Schwellenländern fast alle Textnachrichten über das Handy verschickt. In erster Linie als SMS: In Indien, Indonesien, Algerien und Ägypten sind es sogar über 95 Prozent aller Nachrichten.

Kerngeschäft in Europa rückläufig

In den gesättigten Märkten Westeuropas, Nordamerikas und Asiens dagegen kämpfen die klassischen Akteure auf dem Mobilfunkmarkt längst mit rückläufigen Umsätzen in ihren Kerngeschäftsfeldern. Der Verkauf von Handys nimmt ebenso ab wie - angesichts immer günstigerer Tarife - der Umsatz mit der Sprachtelefonie. Die Preisbereitschaft für ein neues Handy ist in vielen hoch technologisierten Ländern mittlerweile niedriger als in vielen Schwellenländern. Laut GTI Report sind US-Amerikaner und Niederländer am wenigsten bereit viel Geld auszugeben, wenn es um ein neues Handy-Modell geht. Durchschnittlich wollen US-Amerikaner 72 Euro ausgeben, Niederländer gar nur 41 Euro. In Indien liegt dieser Durchschnittswert dagegen bei 99 Euro, in Brasilien gar bei 182 Euro. Verbraucher in Russland sind bereit 243 Euro zu zahlen und Kuwaities gar 297 Euro. Letztere gehören zu jenen Ländern, in denen das Handy als Statussymbol gilt.

Mit neuen Angeboten wollen die Netzbetreiber die mit UMTS-Handys nutzbaren mobilen Datendienste attraktiver machen
 Mit neuen Angeboten wollen die Netzbetreiber die mit UMTS-Handys nutzbaren mobilen Datendienste attraktiver machen

Bei den Netzbetreibern geht der Trend klar in Richtung mobiler Datendienste und Anwendungen. Denn nur hier lässt sich in den meisten Ländern noch Geld verdienen. Dieses Spielfeld müssen sich etablierte Mobilfunkanbieter allerdings zunehmend mit Handyherstellern und neuen Playern aus den Bereichen Internet, Musik, Medien & Entertainment teilen. Der Vorstoß von Nokia mit dem für das 2. Quartal geplanten Angebot namens "Ovi", ein Portal für Musik-, Entertainment- und Navigationsdienste, stößt verständlicherweise auf wenig Gegenliebe bei den Netzanbietern. Denn das Geschäft mit mobilen Datendiensten gleicht die Umsatzverluste aufgrund sinkender Gesprächsgebühren bei weitem noch nicht aus.

Nehmen wir das Beispiel Mobile Music: Die Nutzung von MP3-Playern auf Handys hat zwar innerhalb nur eines Jahres um 78 Prozent zugenommen, die Nutzung von Handy-Radio gar um 140 Prozent. Doch ist das Geschäft mit der Musik für Mobilfunkbetreiber und Musikindustrie noch längst keine Gelddruckmaschine. Denn der Großteil der Titel und Alben wird nicht direkt von den verschiedenen Musikportalen heruntergeladen, sondern schlicht von anderen Handys oder von der Musikbibliothek des eigenen PC übertragen. Was das Thema Radio betrifft, sind Handys lediglich zusätzliche Empfänger regulärer Programme. Eine werberelevante Ausrichtung auf die mobile Zuhörerschaft steckt noch in den Kinderschuhen.

Klingeltöne, Musik und Spiele

Mit welchen Anwendungen und Diensten aber wird dann Geld verdient? Weltweit die höchsten Nutzungsraten im Bereich Content weisen Download und Sideload von Klingeltönen auf. 24 Prozent der Befragten nutzen diesen Service regelmäßig. Es folgen die Übertragung und das Herunterladen von Musik (22 bzw. 16 Prozent). Der Spiele-Download folgt an dritter Stelle mit einer Nutzungsrate von zehn Prozent. Alles Anwendungen, die eines eint: Von keiner Anwendung ist zu erwarten, dass sie global zur Killerapplikation avanciert. Schließlich müssen die verschiedenen Anbieter ihre Produkt- und Servicestrategie stark auf Landes- und Zielgruppenebene anpassen. Das Herunterladen von Mobile Games z.B. wird in einigen Ländern Asiens von jedem fünften Befragten genutzt. In Deutschland sind es gerade einmal zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, in der Gruppe der 16- bis 21-Jährigen immerhin elf Prozent.

Vor allem von Funktionen wie GPS-Navigation versprechen sich Anbieter hohe Zuwächse
 Vor allem von Funktionen wie GPS-Navigation versprechen sich Anbieter hohe Zuwächse

Die größte Diskrepanz zwischen derzeitiger Nutzung und künftig geplanter Nutzung liegt allerdings im Bereich Location Based Services. Diese Dienste werden weltweit von nur drei Prozent der Befragten genutzt und nur etwa die Hälfte der Befragten wissen überhaupt von den Diensten rund um das Thema GPS. Allerdings ist das Interesse an einer künftigen Nutzung mit annähernd ein Drittel recht groß. Und - das zeigt die zielkundenspezifische Analyse - es sind vor allem Personen mit hohem Haushaltseinkommen und hohem durchschnittlichem Erlös pro Kunde (ARPU), sowie Selbständige und Manager. Selbst in der Altersgruppe der 41- bis 60-Jährigen bekundet noch ein Viertel der Befragten Interesse an den sogenannten Location Based Services.

Noch nicht genügend Geräte mit GPS

Anderen mobilen Diensten steht diese Altersgruppe dagegen sehr kritisch gegenüber. Dem Bedarf nach ortsbezogenen Services kommen die großen Handy-Hersteller mit ihren Modelloffensiven rund um GPS-fähige Handys immer stärker nach. Die derzeitige Marktabdeckung mit solchen Geräten ist allerdings noch sehr rudimentär.

Und im Bereich Location Based Services zeigt sich bereits eine der interessantesten Schnittstellen zur großen Unbekannten der Mobilfunkbranche - der Werbung: Allein die Ankündigung des amerikanischen Internet Giganten Google mit seinem neuen Betriebssystem Android in den Mobilfunkmarkt einzusteigen, hat die Branche in Aufruhr versetzt. Das offene Betriebssystem soll allerdings nur Mittel zum Zweck sein. Google möchte damit die Möglichkeit haben, seine Dominanz im Internet-Werbemarkt auch auf eine Vormachtstellung mit Werbung auf dem Handy zu übertragen. Dabei könnten ortsbezogene Dienste einer der Schlüssel zum Erfolg sein. Mit der Verbreitung von Handys, die über GPS ihren Standort erkennen, können Konsumenten gezielte Informationen zu Einkaufsmöglichkeiten oder Restaurants in der Nähe aufs Handy gesendet werden.

Oder aber auch die Lage des nächsten Parks, damit man sich in aller Ruhe auf grünem Rasen die Spiele der deutschen Fußballnationalmannschaft während der EM 2008 auf seinem Handy anschauen kann.


Robert A. Wieland ist Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts TNS Infratest. Jakov Cavar ist Senior Consultant Technology Sector des Instituts. Mehr Informationen zum Thema unter: www.tns-infratest.com

Für die Studie "Global Tech Insight 2007-08" wurden im November 2007 insgesamt 16.000 Personen im Alter von 16 bis 60 Jahren in folgenden 29 Ländern befragt: Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Hong Kong, Italien, Japan, Kanada, Korea, Niederlande, Schweden, Spanien, Taiwan und den USA. Ferner in Ballungsgebieten in Ägypten, Algerien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Kuwait, Marokko, Mexiko, Russland, Saudia Arabien, Südafrika, Thailand, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam. Die Studie wurde bereits zum dritten Mal durchgeführt. Weiterführende Informationen zum Report unter http://www.tns-infratest.com/branchen_und_maerkte/it_telekommunikation.asp


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FTD.de, 03.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: LG, AP, FTD, HTC

 

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