Gesundheitswirtschaft

Lukrative Trostpflaster

von Lenz Jacobsen (Köln)

Das Rauchverbot zeigt Wirkung: Zur Zeit boomen Produkte und Kurse, die den Abschied von der Zigarette erleichtern sollen. Bei vielen Angeboten ist der Erfolg aber nicht belegt - und wird zum Teil übertrieben.

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Frank Mathers kann sie nicht mehr hören, die Sprüche über eine angebliche Willensschwäche von Rauchern. "Nikotinsucht ist eine Sucht wie jede andere", sagt der Kölner Arzt, "einem Alkoholiker oder Junkie erzähle ich ja auch nicht: Du musst es nur wollen." Wer rauche, sei abhängig und brauche Unterstützung.

Die bietet der 48-jährige Mediziner seinen Patienten, die vom Glimmstängel loskommen wollen. In wöchentlichen Gruppen- oder Einzelsitzungen in seiner Praxis im Kölner Süden klärt er auf, appelliert, motiviert und verschreibt Medikamente. Vor zwei Jahren hat er sich an der renommierten Mayo-Klinik in den USA zum "Tobacco Treatment Specialist" weiterbilden lassen. Seine Erfolgsquote, sagt der Facharzt für Anästhesiologie, liege bei 40 Prozent. Zehn Prozent seines Praxisumsatzes bestreite er inzwischen mit den Kursen, die als Einzelangebot zwischen 50 und 120 Euro pro Sitzung kosten.

Kauen statt inhalieren
 Kauen statt inhalieren

Der Mediziner ist einer von vielen Anbietern der Gesundheitswirtschaft, die von der Verschärfung der Rauchverbote profitieren. Die Zahl der Antiraucherkurse nimmt stetig zu. Waren es im Jahr 2002 gerade mal rund 760 Angebote, sind es heute etwa 3000. Das ergab eine aktuelle Studie des WHO-Zentrums für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Grund zur Freude haben auch Hersteller von Entwöhnungsprodukten. Der Umsatz von Tabletten, Kaugummis und Pflastern legte im vergangenen Jahr um nahezu ein Drittel auf 32,4 Mio. Euro zu. Das berechnete das Marktforschungsunternehmen Insight Health. "Da das Rauchverbot in Gaststätten ausgeweitet wird und neue Maßnahmen gelten wie zum Beispiel das Wegwerfverbot von Kippen, ist für 2008 ein Mehrerlös von bis zu 10 Mio. Euro zu erwarten", sagt Insight-Health-Direktor Jürgen Rost.

Wer mit einer Pillen vom Rauchen loskommen will, muss die Kosten dafür in Deutschland aus eigener Tasche zahlen. Die verschreibungspflichtige Nichtrauchertablette Champix von Pfizer gilt als Lifestyleprodukt, daher kommen die Krankenkassen dafür nicht auf. In den USA heißt das Medikament Chantix und ist seit seiner Einführung im Sommer 2006 ein Verkaufsschlager. Sein Umsatz erhöhte sich um ein Vielfaches: von 101 Mio. $ im Jahr 2006 auf 883 Mio. $ im vergangenen Jahr. In Deutschland entsprechen die Umsätze den Erwartungen, sagte eine Pfizer-Sprecherin. Zahlen für Deutschland gibt das Unternehmen nicht bekannt.

Entzug lohnt sich
 Entzug lohnt sich

Von solchen Erfolgsgeschichten bestärkt, forschen derzeit etliche Firmen an neuen Wirkstoffen. Beispielsweise das Hamburger Biotech-Unternehmen Evotec. "Gegenwärtig sind nur zwei verschreibungspflichtige Arzneistoffe zugelassen", sagt der Vorstandsvorsitzende Jörn Aldag. "Wirkstoffe, die die Raucherentwöhnungsrate verbessern könnten, haben die Chance einer schnellen Marktdurchdringung." Evotec hat vor wenigen Tagen eine Phase-II-Studie mit einem Stoff begonnen, der weniger Nebenwirkungen haben soll als bereits vermarktete Erzeugnisse.

Schärfste Konkurrenten der Tabletten sind in Deutschland die Kaugummis und Pflaster Nicorette von Johnson & Johnson, Nicotinell von Novartis und Niquitin von GlaxoSmithKline. Auch für sie gibt es keinen Kassenzusschuss. Das möchten die Pharmafirmen schnellstmöglich geändert sehen. "Rauchverbote alleine reichen nicht aus. Man muss den Rauchern auch Angebote zum Ausstieg anbieten. Hierzu zählt eine angemessene Honorierung der Beratungsleistung von Ärzten und Apothekern, aber auch die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln", sagt ein Sprecher von GlaxoSmithKline.

Wie gut Mediziner oder Apotheker beim Ausstieg aus der Sucht helfen, wird derzeit wenig untersucht. Als renommiertestes Therapieangebot in Deutschland gilt das Programm "Rauchfrei" des Instituts für Therapieforschung (ITF) in München. Es wurde von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mitentwickelt. 73 Prozent der Kurse werden nach den Standards des ITF veranstaltet oder orientieren sich daran, so das Ergebnis der WHO-Analyse. "Diese Kurse sind solide", sagt die Leiterin der Studie, Martina Pötschke-Langer.

Bei den restlichen knapp 30 Prozent der Angebote ist nach Einschätzung der Wissenschaftler der tatsächliche Nutzen nicht geklärt. Die Methoden dieses grauen Marktes seien zum Teil besorgniserregend. Manche Kursleiter würden sogar mit einer Erfolgsquote von 90 Prozent werben. "Solche Quoten sind für kein einziges Programm belegt", sagt WHO-Expertin Pötschke-Langer. "Das ist völlig übertriebener Optimismus."

Großer Dunstkreis

Das weltweite Potenzial für Entwöhnungsprodukte liegt dem Marktforscher Visiongain zufolge bei 1,7 Mrd. $. Rund um den Globus rauchen nach Auskunft der Pharmafirma Pfizer etwa eine Milliarde Menschen.

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Aus der FTD vom 06.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de, FTD/Quelle: Insight Health

 
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