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Kolumne

Andreas Theyssen: Der Zumwinkel in uns

von Andreas Theyssen

Sie ist Gaudi, sie ist Slapstick pur. Doch statt die Liechtenstein-Affäre zu genießen, echauffieren wir Deutschen uns. Dabei übersehen wir eigene Defizite.

ZUM THEMA

Ist sie nicht herrlich, diese Liechtenstein-Affäre? Da stehen plötzlich Steuerfahnder im Wohnzimmer eines Dax-Vorstands, der gerade noch auf einem Führungskräfte-Meeting proklamiert hatte: "Führungskräfte sind Vorbilder." Wir lernen also von ihm: Leute, bunkert Schwarzgeld im Fürstentum! Herrlich!

Putzig auch, was die Fahnder aus der Vorstandsvilla berichten. Wir Simpel dachten ja immer, so ein Top-CEO lebe in Saus und Braus, so in etwa mit vergoldetem Jacuzzi im Wohnzimmer. Alles nebbich, wenn man den redseligen Beamten glauben darf. Ein wenig abgewohnt habe das Interieur der Villa Zumwinkel ausgesehen, berichteten sie nach ihrer Razzia beim Post-Chef.

Köstlich auch dieser Fall aus Bayern. Da besorgt der BND auf höchst umstrittenen Wegen die Daten deutscher Steuersünder, und wessen Name wird als einer der ersten als Schwarzgeldbunkerer bekannt? Ausgerechnet der Gemahl einer höherrangigen BND-Beamtin, die ganz gewiss nichts von den klandestinen Finanztransaktionen des Göttergatten gewusst hat. Unterstellen wir zumindest mal. Aber es kommt noch besser: Der Herr, der da über die Daten aus Liechtenstein stürzt, ist ausgerechnet Bayerns oberster Datenschutzbeauftragter.

Das ist Gaudi, das ist Slapstick pur! Doch was machen wir Deutschen? Anstatt das Schauspiel zu genießen, entrüsten wir uns. Motto: Wir hier unten müssen buckeln, von Inflation, Arbeitsplatzverlustängsten und Reallohneinbußen gebeutelt. Und die da oben nehmen sich einfach alles heraus. Unverschämtheit!

Bei der Steuergestaltung überkreativ

Unterstützung erhalten wir dabei ausgerechnet von jenen, die sich ansonsten vehement gegen Pauschalverurteilungen wehren, zumindest sobald es um Diätenerhöhungen geht oder Bonusmeilen-Abgeordnete: die Politiker. Parteiübergreifend warnen sie, der Fall Zumwinkel bringe die deutschen Eliten in Verruf, und fürchten dadurch soziale Verwerfungen.

Bullshit ist das! Auch wenn wir ein Monatsgehalt darauf verwetten, dass neben Zumwinkel noch ein paar weitere deutsche Manager bei ihrer Steuergestaltung überkreativ waren - bis zum Beweis des Gegenteils müssen wir unterstellen, dass bei der überwiegenden Masse der deutschen Eliten die Steuerkreativität im legalen Rahmen bleibt. Genauso, wie nicht alle Politiker Abzocker sind, bloß weil ein paar von ihnen ihre dienstlich erworbenen Bonusmeilen privat verfliegen.

Und völlig absurd wird es, wenn Politiker, Professoren oder gar ehemalige Verfassungsrichter den Herrn Zumwinkel zu exkulpieren versuchen, indem sie das komplizierte deutsche Steuerrecht für die Flucht nach Liechtenstein verantwortlich machen. Nein, es ist nicht das - in der Tat verkorkste - Steuerrecht, die kriminelle Energie Einzelner ist verantwortlich.

Und nun schauen wir uns mal jene an, die so rasch dabei sind, sich über Zumwinkel et altera zu entrüsten: uns Deutsche. Wer von uns zahlt denn Sozialabgaben für seine private Putzfrau? Kaum jemand, obwohl uns der Gesetzgeber schon sehr weit entgegengekommen ist. Zu diesen Konditionen putzt doch keine bei uns, rechtfertigen wir uns. Oder auch mit dem Argument: Unter diesen Bedingungen könnte ich mir keine Putzfrau leisten.

Von wem lassen wir denn unsere Wohnung streichen oder den Garten machen? Doch nicht vom geprüften Meisterbetrieb um die Ecke, sondern von einem, der uns keine Mehrwertsteuer abfordert. Ganz galant ignorieren wir dabei, dass die Bundesregierung uns kürzlich erst für solche Fälle recht ordentliche Freibeträge eingeräumt hat, um das Handwerk zu stärken und um die Schwarzarbeit einzudämmen. Und selbstverständlich vergessen wir, dass wir uns ansonsten gern über Hartz-IV-Empfänger mokieren, die nebenher schwarzarbeiten. Wenn es um unseren privaten Vorteil geht, muss eben das Grundsätzliche etwas zurückstecken.

Sind wir obendrein nicht immer recht stolz auf uns, wenn es uns gelungen ist, dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen. In der Steuererklärung ein Arbeitszimmer angegeben, obwohl man in einem Loft, vulgo einer Einzimmerwohnung, residiert - haben die nicht gemerkt, toll! Das Geburtstagsdinner für die Erbtante beim Finanzamt als Geschäftsessen angegeben - wird man ja wohl noch dürfen, zumal der Steinbrück später die Erbschaftsteuer kassiert!

Schwarzgeld und Schokoriegel

Oder die Sache mit der Snackbox. Das sind diese Kästen mit Schokoriegeln oder Tütensuppen, die in vielen Büros herumstehen. Leckerei herausnehmen, Geld passend einwerfen - so sollte es laufen. Tut es aber so gut wie nie; die Kasse stimmt eher selten. Jeder Zweite zahlt nichts ein, so zeigt die Privatempirie. Hatte gerade kein Kleingeld dabei, so eine beliebte Entschuldigung, danach vergessen zu zahlen; ist ja auch kein Wunder bei dem Stress, den wir hier haben. Oder aber: Sind doch eh völlig überteuert, diese Weingummitütchen; das rechnet sich für die trotz des Kassendefizits immer noch.

Moooment, werden nun einige sagen. Das kann man doch nicht vergleichen, die Schwarzgeld-Millionen des Herrn Zumwinkel auf der einen und auf der anderen Seite die gemopsten Schokoriegel oder die paar Kröten, die ein Arbeitsloser nebenher schwarz verdient. Das sind doch Peanuts.

Doch, das kann man miteinander vergleichen. Denn das Prinzip ist das Gleiche. Wir nehmen uns etwas, das uns nicht zusteht. Und raffen damit etwas an uns, das für andere bestimmt ist. Wir biegen uns die Gesetze und gesellschaftlichen Regeln so zurecht, wie es uns gerade passt. Vor allem gehen wir nach dem alles andere dominierenden Gesichtspunkt vor: Was ist für uns vorteilhafter? Und deshalb gibt es keinen Unterschied zwischen einem Zumwinkel und einem, der seine Putzfrau schwarz beschäftigt. Aber auch gar keinen.

Wir haben derzeit also zwei Möglichkeiten. Entweder wir ergötzen uns an den feinen Absurditäten der Liechtenstein-Affäre und halten uns mit Vorwürfen und Verallgemeinerungen zurück. Oder aber: Wir reißen die Entrüsterklappe auf - aber bitte erst, nachdem wir unseren inneren Zumwinkel überwunden haben.

Andreas Theyssen leitet das Politikressort der FTD.

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Aus der FTD vom 25.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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