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Kolumne

Christian Schütte: Und täglich grüßt der Ackermann

von Christian Schütte

Im Polizeibericht nennt man so etwas einen "Unfallschwerpunkt": Alle Jahre wieder erreicht die Arbeitslosigkeit in Deutschland im Januar und Februar ihren saisonalen Höchststand. Und alle Jahre wieder um diese Zeit präsentieren auch viele große Unternehmen ihre Zahlen vom Vorjahr und geben Ausblicke auf die Zukunft. Wobei es dann heftig krachen kann.

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Im Rückblick präsentiert sich ohnehin jeder stets als erfolgreich, und im Moment stehen viele Unternehmen tatsächlich glänzend da. In der Vorausschau gibt es aber immer auch Probleme, auf die zum Teil mit Stellenstreichungen reagiert wird. Kommen gleichzeitig miese Arbeitsmarktdaten in der "Tagesschau", ist der Katastrophenmix komplett: Gierige Manager kriegen wieder einmal den Hals nicht voll, werfen trotz Milliardengewinnen Tausende in eine joblose Kälte hinaus.

Den größten anzunehmenden Unfall produzierte auf diese Weise Anfang 2005 die Deutsche Bank: Ihr Chef Josef Ackermann - seinerzeit noch "Germany's Mister Super Bad Guy" vom Dienst - verkündete just in dem Moment einen Rekordgewinn und Stellenstreichungen, als die offizielle Arbeitslosenzahl wegen einer Statistikänderung im Zuge der Hartz-Reformen erstmals die Fünfmillionengrenze übersprang.

Die damaligen Angriffe gegen den Jobkiller müssen hier nicht wieder aufgeblättert werden. Vergangene Woche waren sie fast wortgleich wieder zu hören, als es um den Jobabbau bei Henkel, Siemens und BMW ging. Dass in Bayern gestern Kommunalwahlen anstanden, sorgte noch für Extra-Lautstärke.

Aufgeregte Politiker, deprimiertes Publikum

Die Arbeitnehmer, die jetzt oder in Zukunft von Streichungen betroffen sind, kann das Geschrei nur extrem frustrieren. Denn an ihren tatsächlichen Problemen geht die ritualisierte Polit-Aufregung völlig vorbei.

Weder ist die flotte Behauptung richtig, dass es moralisch oder sozial am besten sei, Arbeitsplätze immer erst dann einzusparen, wenn ein Unternehmen tief in den roten Zahlen steckt. Noch wäre irgendeiner der so empörten Politiker überhaupt in der Lage, diesen von ihm behaupteten Grundsatz durchzusetzen. Und die allermeisten Empörer wissen das auch. Genauso wie ihr deprimiertes Publikum.

Das, was wirklich helfen würde, wird derweil dennoch zur politischen Nebensache: Wenn Arbeitsplätze nicht mehr lebenslang garantiert werden können, dann muss umso mehr dafür getan werden, dass an anderer Stelle immer wieder neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen. Da geht es um kräftiges Wachstum und eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik.

Im allgemeinen Um-die-Wette-Managerverprügeln kommt dies aber kaum noch vor. Seit Ackermanns PR-GAU von vor drei Jahren tritt die öffentliche Arbeitsplatzdebatte nicht bloß auf der Stelle - sie driftet immer weiter ab, in obskure Korruptionssümpfe und Gierdschungel, wo in den Erzählungen des Oskar Lafontaine die bösen Raubtiere des Kapitalismus zu Hause sind und Jobs verschlingen.

Über die menschlichen Qualitäten mancher Manager mag man aus gutem Grund diskutieren. Aber die Verheißung, dass sich Arbeitsplätze in international konkurrierenden Unternehmen dauerhaft schon halten ließen, wenn die Chefs nur eine sozialere Gesinnung hätten, ist einfach offenkundig hohl. Wie viele Mitarbeiter BMW beschäftigen kann, hängt am Ende nur davon ab, wie viele Autos zu welchem Preis zu verkaufen sind. Ein Management, das es zulässt, dass große Wettbewerber auf demselben Markt viel profitabler wirtschaften, gefährdet deshalb nicht nur einige, sondern alle Jobs.

Selbst die gern zitierte Moral des mittelständischen Unternehmers, der nur in allergrößter Not einen Mitarbeiter entlässt, bietet da keinen prinzipiellen Ausweg - so vorbildlich das Engagement im Einzelfall auch ist. Auch und gerade im deutschen Mittelstand leiden Unternehmen daran, dass harte, aber notwendige Schnitte verschleppt werden. Das tragische Aus solcher Firmen macht nur meist keine Schlagzeilen.

Der mittelständische Vorbildunternehmer setzt zudem sein ganz persönliches Vermögen aufs Spiel. Angestellte Manager haben den (gesetzlichen) Auftrag, das Kapital vieler großer oder kleiner, inländischer oder ausländischer Anteilseigner zu verwalten und zu mehren. Es geht also um die Ersparnisse Dritter, immer öfter übrigens um Pensionsgelder.

Die Manager auf ein nostalgisches Leitbild vom Unternehmenspatriarchen zu verpflichten ist da weder theoretisch sinnvoll, noch ist es juristisch-praktisch möglich.

Wie lange hält der Aufschwung?

Es ist aber auch gar nicht notwendig, um Arbeitnehmern in Zeiten globalisierten Wettbewerbs wieder mehr Sicherheit zu geben. Die beste Absicherung besteht schließlich darin, dass man im Fall des Jobverlusts schnell wieder einen neuen Arbeitsplatz findet.

Gerade in diesem Punkt hat sich die Lage seit dem Ackermann-Eklat drastisch verbessert: Während die politische Rhetorik um sich selber kreiste, stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs seit Anfang 2005 um mehr als eine Million, sind heute bei den Arbeitsämtern fast doppelt so viele offene Stellen gemeldet. Für von Kündigung bedrohte Arbeitnehmer macht das einen erheblichen Unterschied.

Die entscheidende Frage für sie ist jetzt, ob der wackelnde Aufschwung anhält und ob er auch irgendwann dazu führt, dass die realen Nettolöhne steigen. Sodass das Risiko sinkt, bei einem erzwungenen Arbeitsplatzwechsel dauerhaft hohe Einkommensverluste zu erleiden.

Genau dazu ist von der Regierung aber kaum mehr zu hören als ein: Schau'n wir mal, dann seh'n wir schon. Selbst über Ausmaß und Gründe des bisherigen Jobbooms wird so zaghaft diskutiert, dass der Eindruck entsteht: Die trauen den eigenen Zahlen nicht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Freitag mit Verbandsfunktionären der Wirtschaft demonstrativ über Ethik gesprochen. Sie würde ihren verunsicherten Wählern noch viel mehr helfen, wenn in ihrer Regierung auch einmal wieder ernsthaft von Impulsen für Wachstum und neue Arbeitsplätze die Rede wäre.

Christian Schütte ist FTD-Kommentarchef. Er schreibt jeden zweiten Montag an dieser Stelle.

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Aus der FTD vom 03.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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