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Kolumne

Peter Ehrlich: Ideenlos im Kanzleramt

von Peter Ehrlich

Angela Merkel ist täglich im Fernsehen - politische Akzente hat sie aber seit Monaten nicht mehr vermittelt.

ZUM THEMA

2007 war das Jahr der Klimakanzlerin Angela Merkel, die in der EU und bei den G8, bei Entwicklungsländern und Industrie für die deutliche Verringerung des Ausstoßes an Treibhausgasen warb. 2007 war das Jahr der Europakanzlerin Merkel, unter deren Führung der neue EU-Grundlagenvertrag beschlossen wurde. 2007 war das Jahr der Transatlantikerin Merkel, die für eine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen EU und USA warb. Aber was für ein Merkel-Jahr wird 2008?

Seit vielen Monaten schon hat es keinen außen- oder europapolitischen Impuls der Kanzlerin mehr gegeben. Die Innenpolitik stand eben im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wird man in ihrem Umfeld erwidern. Das mag sein, aber auch in der Innenpolitik gab es in den vergangenen Monaten kein politisches Projekt, keine programmatische Idee, die sich mit dem Namen Merkel verbinden ließe. Die Kanzlerin arbeitet gewohnt professionell ihre Themen ab, hält eine auseinanderdriftende Koalition zusammen und betreibt die Öffnung der CDU für neue Wählerschichten. Umsichtig, konzentriert - langweilig. Merkels in Umfragen gemessene Beliebtheit scheint dieser Strategie recht zu geben. Aber sie reicht nicht, um 2009 wiedergewählt zu werden. Und sie reicht erst recht nicht, um Deutschlands Einfluss in Europa und der Welt zu stärken.

Mangel an europapolitischen Initiativen

Fangen wir mit Europa an. Nach der deutschen Präsidentschaft, die zu einer vermittelnden Position verpflichtete, hätte Merkel jede Freiheit gehabt, eigene europapolitische Initiativen zu ergreifen. Aber wo bleibt die Grundsatzrede über die Zukunft Europas, wie sieht ihre Vision aus? Soll die EU einmal die Ukraine und Israel umfassen oder nicht weiterwachsen? Ist die EU reif für einen gewählten Präsidenten? Auch wenn es über solche Fragen in der Regierung keinen Konsens geben wird, die Kanzlerin ist auch CDU-Vorsitzende und hat das Recht, wie einst Joschka Fischer ihre persönlichen Überlegungen zu äußern. Aber offenbar mischt sich ihre generelle Vorsicht mit der Vorsicht ihrer Berater, nur nicht die Gefühle anderer in der EU zu verletzen und damit spätere Verhandlungen zu erschweren.

Aber gerade eine Gemeinschaft wie die EU braucht Persönlichkeiten, die inhaltliche Führung übernehmen. In den kleinen Ländern kann man freier sprechen, aber die Impulse müssen aus den großen Staaten kommen. Großbritannien fällt hier wegen seiner EU-skeptischen Wähler aus, Italien ist mit sich selbst beschäftigt, es kommt also auf Deutschland und Frankreich an. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nutzt anders als Merkel seine Chance. Der Wirbelwind aus dem Élysée ist zwar stets in Gefahr, über die Vielzahl seiner Initiativen zu stolpern und sich in Widersprüche zu verwickeln. Die Idee einer Mittelmeerunion jenseits der EU etwa ist selbst auf der nordafrikanischen Seite umstritten. Merkel beschränkt sich aber darauf zu sagen, was mit ihr nicht geht. Sarkozy rennt los, Merkel bremst. Ohne diese Bremse würde Sarkozy Europa womöglich aus der Bahn werfen, aber wer stets die Initiative ergreift, bekommt auch häufiger etwas zugestanden. Entweder Merkel entwickelt mit Sarkozy gemeinsam Initiativen und Pläne, oder sie stellt ein eigenes Konzept auf.

Merkels erste wichtige Auslandsreise in diesem Jahr führt nach Israel. Ihr persönliches Engagement für das Land und für den Friedensprozess im Nahen Osten ist richtig und wichtig, aber der deutsche und europäische Einfluss ist begrenzt. Die EU bemüht sich gar nicht darum, die in Nahost seit Jahren von den USA gelassene Lücke zu füllen. In ihrer Politik für den Nahen und Mittleren Osten bis hin zur Iran-Frage warten Deutschland und Europa lieber auf die USA und deren künftigen Präsidenten. Gerade jetzt aber müsste eine in aller Welt anerkannte Politikerin wie Merkel ihre Stimme erheben und sagen, was sie etwa zur Lage in Afghanistan wirklich denkt. Merkel aber sagt nicht, dass ihr eine Zusammenfassung von Nato- und US-Operationen in einem einzigen Mandat für Afghanistan sinnvoll erscheint. Sie denkt an den Ärger, den es geben könnte, wenn eine neue Strategie die Entsendung zusätzlicher Bundeswehrsoldaten nötig machen könnte. Der europäische Ansatz, politische Lösungen rein militärischen vorzuziehen, wird so nie gewinnen.

Grundsatzreden sind auch in der Innenpolitik nicht verboten. Der wahrscheinliche SPD-Kanzlerkandidat Kurt Beck mag durch taktische und strategische Spiele Schlagzeilen machen, thematisch anspruchsvolle Reden liegen ihm nicht. Auch die CDU-Chefin ist keine glänzende Rednerin, aber sie hat gezeigt, dass sie dennoch viel beachtete Reden halten kann. Leider stammt die letzte große innenpolitische Rede, an die man sich erinnert, von Oktober 2003. Selbst die Regierungserklärung 2005 fiel dagegen ab.

Ein Fundament für Jamaikakoalitionen fehlt

Der platte wirtschaftsliberale Zeitgeist im Vorfeld des Leipziger Parteitags mag ausgedient haben. Umso wichtiger wäre es, den aktuellen Standort der CDU und ihrer Vorsitzenden zu bestimmen und Perspektiven für die Zeit nach der Bundestagswahl 2009 aufzuzeigen. Merkel müsste sagen, wie sie der breiten gesellschaftlichen Mitte mehr Einkommen verschaffen will, wie eine moderne Industriegesellschaft in Zeiten der Globalisierung aussehen könnte. Der Ansatz müsste ein Angebot an Liberale und Grüne zugleich sein, die theoretische Fundierung einer Jamaikakoalition. In Wahlkämpfen müssen Personen, Partei und Programm zusammenpassen. Solange sie die Kanzlerin stellt, steht die Union immer geschlossen hinter der Führungsfigur - aber ein Programm braucht sie schon auch. Gerade jetzt, wo sich die SPD mit Angeboten an die Mitte schwertut, müsste Merkel das Feld aktiv besetzen, statt einfach auf Plakate "Die Mitte" zu schreiben und abzuwarten, ob das irgendwen anspricht.

Merkel hat jetzt einige Monate verschenkt. In diesem Jahr wird sie ein paar neue Botschaften verkünden müssen. Sonst sagt man sich im Wahljahr 2009: Wo ist eigentlich Angela Merkel? Oder genauer: Sie sitzt zwar im Kanzleramt - aber man weiß nicht so genau, warum.

Peter Ehrlich ist Chefkorrespondent der FTD. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag an dieser Stelle.

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Aus der FTD vom 28.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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