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Kolumne

Thomas Fricke: Ewig zu spät

von Thomas Fricke

Das Drama deutscher Lohnverhandlungen ist, dass sie immer irgendwie zu spät kommen - im Aufschwung wird endlos Geiz gepredigt, und mitten in den Abschwung kommen die Nachschlagsrunden. Ein teures Unterfangen.

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Der Trend scheint klar. Weg vom Geiz. Hin zum Lohnplus. Und die Beteiligten geben sich in diesen Tagen alle Mühe, den Rest der Republik darüber gezielt in Kenntnis zu setzen. Das ist menschlich wie ökonomisch in der Tendenz nachvollziehbar. Ein Aufschwung ist ja keine Veranstaltung zur Verhinderung steigender Einkommen.

Nur verabschieden sich die Deutschen just in dem Moment vom Geiz, wo es dafür wirtschaftlich nachlassende Gründe gibt und Prognosen wöchentlich gesenkt werden. Ein Zuspätkommen, das in Deutschland System hat. Die Löhne laufen der Realität recht regelmäßig fatal hinterher, in Auf- wie in Abschwüngen. Ein Grund, die Lohnfindung grundlegend zu revidieren.

Lohnzuwächse zur falschen Zeit

Beispiel 80er-Jahre. Als sich die Geschäftslage deutscher Firmen Ende 1987 stark zu bessern begann, lag das Lohnplus der westdeutschen Beschäftigten so niedrig wie seit Jahren nicht. Ein beschleunigter Anstieg setzte erst Anfang 1990 ein - mehr als zwei Jahre später.

Das Problem: Der Aufschwung näherte sich da schon dem Ende. Ein halbes Jahr später meldete das Ifo-Institut den Absturz der Geschäftslage. Zu dieser Zeit erreichten die Lohnzuwächse zum Vorjahr mehr als fünf Prozent. Tendenz weiter steigend. Absurd: Als die Wirtschaft Anfang 1992 in die Rezession ging, lag das (westdeutsche) Lohnplus bei atemberaubenden sieben Prozent. Erst Anfang 1994 sackte die Rate wieder unter vier, danach auch schnell unter zwei Prozent - da gab es im vereinten Deutschland schon vier Millionen Arbeitslose.

Gleiches Prozedere im Aufschwung Ende der 90er. Den ersten verspäteten Lohnschub gab es nach zwei Jahren Konjunkturerholung 1998 - als der Aufschwung wegen Asien- und Russlandkrisen wieder Pause machte. Der zweite kam ebenso spät, Mitte 2001, als die New Economy schon ein Jahr auf Crash-Kurs war und die Geschäfte deutscher Firmen einbrachen.

So schlimm muss es diesmal nicht kommen. Der Ablauf wirkt aber mindestens so zeitverzögert. Der deutsche Aufschwung begann etwa Mitte 2005, und 2007 lag der Zuwachs der Tarifverdienste laut Bundesbank noch immer bei atemberaubend nichtigen 1,3 Prozent.

Jetzt kursiert in den USA wieder Rezessionsangst, nach Prognosen droht auch die deutsche Wirtschaft nur noch halb so schnell zu wachsen wie 2006. Und die Straßen sind plötzlich voll von Leuten, die entweder keinen Busfahrer finden oder Transparente mit stark nach oben revidierten (Lohn-)Prozentzahlen tragen.

Dem Aufschwung stets hinterher
 Dem Aufschwung stets hinterher

Solche Spätreaktionen können rasch fatal wirken. In beide Richtungen. Steigen die Löhne im Aufschwung erst spät, passiert das, was 2007 passiert ist. Dann gibt es keine Konsumdynamik, und die Wirtschaft hängt relativ einseitig vom globalen Aufschwung ab, was sie für Rohstoffpreisschocks und wirre Steueranhebungsaktionen des Finanzministers anfällig macht.

Kommen anschließend dann große Lohnnachschläge, sind die Unternehmen wegen ohnehin steigender Zinsen, Einkaufspreise, Öl- und Euro-Kurse zunehmend anfällig für Kostenschocks. Dann hilft auch die Kaufkraft wenig. Weder im Abschwung Anfang der 90er noch zehn Jahre später haben die tarifbedingten Einkommenszuwächse den Abschwung noch verhindert, im Zweifel in solcher Lage über den Kosteneffekt sogar eher verstärkt.

Warum das tarifpolitische Timing so regelmäßig danebengeht, dürfte zum einen an der Logik von Konjunkturzyklen liegen. Der Eifer von Lohnforderungen korreliert eng mit der Entwicklung der Arbeitslosigkeit, was im Prinzip gut ist. Nur dass sich jeder Auf- und Abschwung erst mit Verzögerung am Arbeitsmarkt bemerkbar macht - weil Unternehmen auf bessere Geschäfte nicht sofort mit Einstellen reagieren; und umgekehrt. Was erklärt, warum es derzeit noch so viele gute Nachrichten über sinkende und lohnmotivierende Arbeitslosigkeit gibt - obwohl die Wirtschaft im schlimmsten (US-)Fall bald auf Crash-Kurs gehen könnte.

Das Reaktionstempo wird auch durch das sehr eigene deutsche Tarifbrimborium nicht gerade erhöht, bei dem schon mal Wochen vergehen zwischen dem ersten (Nicht-)Angebot der Arbeitgeber und der Ablehnung des (Nicht-)Angebots durch die zuständige Bezirkstarifkommission Soundso. Gemach.

Schluss mit dem Tarifbrimborium

Es lässt sich auch zweifeln, ob die beliebten Mehrjahrestarifverträge so toll sind. Das hat dazu geführt, dass der öffentliche Dienst im Aufschwung 2007 etwas befremdliche Stagnation praktizierte, wo Finanzminister republikweit kaum noch wohin wussten mit den vielen uneingeplanten Steuereinnahmen. Jetzt gibt es genau darüber aufgestauten Ärger - und entsprechend himmlische Nachschlagsforderungen. Just in dem Moment, wo der Finanzminister sich zu wundern beginnt, dass der Geldeingang nun konjunkturell wieder nachlässt.

Deutschlands Lohnprozedere ist wenig hilfreich bis grob fahrlässig: weil es den Aufschwung (der Einkommen) noch bremst, wenn die Unternehmen dank hoher Gewinne schon genug Geld hätten, höhere Löhne zu finanzieren. Wie 2007. Und weil es den Abschwung verschärft, wenn Betriebe dann noch höhere Lohnkosten wegstecken müssen.

Zu einer besseren Variante müsste gehören, dass die Löhne im Aufschwung schneller steigen, klar: ökonomisch vertretbar. Und Zurückhaltung nicht zum Fetisch wird in einer Wirtschaft, deren Leistung zu mehr als der Hälfte von Konsumdynamik abhängt. Das allein würde das Risiko verringern, dass dann im Abschwung die großen Nachschläge gefordert werden.

Da Löhne sowohl Kosten als auch Einkommen sind, liegt das Wunder womöglich in der Mitte. Am schlauesten wäre, das Hin und Her zwischen romantischem Geiz und spätkonjunktureller Großmut zu beenden, die Löhne relativ stetig wachsen zu lassen und den Unternehmen die Möglichkeit zu lassen, auch mal draufzulegen. Schluss mit Brimborium.

Thomas Fricke ist FTD-Chefökonom. Mehr unter: www.ftd.de/wirtschaftswunder

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Aus der FTD vom 07.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de

 

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