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Kolumne

Thomas Fricke: Keine Bange vor großen Ländern

von Thomas Fricke

Das wachsende Gewicht Chinas weckt Sorgen und düstere Ahnungen über den nahenden Auf- oder Untergang von Mächten. Dabei kommt es auf die Größe in globalisierten Zeiten gar nicht mehr richtig an.

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Die Schlagzeilen werden jetzt öfter kommen. Erst überholt uns der Chinese beim Exportieren, dann beim Medaillenholen und bei der Gesamtwirtschaftsleistung. Das hat mächtig Potenzial für Angstszenarien und düstere Prophezeiungen. Vom Aufstieg (die) und Niedergang (wir) der Nationen. Oder vom Ende des weißen Manns. Schluss mit lustig. Ein Schicksal, das ja auch Griechen, Römer und das britische Empire ereilte.

Könnte allerdings sein, dass es diesmal ganz anders kommt, als die historischen Erfahrungen vom Rise and Fall of Nations vermuten lassen. Und dass Größe in globalisierten Zeiten gar nicht mehr unbedingt so toll ist. Im Gegenteil. In kleinen Ländern lebt es sich im Zweifel auskömmlicher. Und vielleicht bedeutet der Aufstieg der einen ja diesmal auch gar nicht, dass andere deshalb absteigen müssen. Mal was Neues für die Geschichtsbücher.

Kein Jackpot für den Exportweltmeister

Ob die Chinesen mehr exportieren als wir oder weniger, ist per se egal und macht uns auf Anhieb nicht ärmer, schon weil es - anders als bei Olympischen Spielen - keine Zahl von Medaillen gibt, die man teilen müsste. Wenn alle wachsen, ist das prima. Und für einen Exportmeistertitel gibt es auch keinen Jackpot.

Klein, aber reich
 Klein, aber reich

Ähnliches gilt womöglich in Sachen Wirtschaftsgröße insgesamt. Von den fünf Ländern mit den weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen hat kein einziges eine Bevölkerung von mehr als fünf Millionen Menschen. Und die top fünf erwirtschaften zusammen in einem Jahr so viel wie die Deutschen in einem Quartal.

In einem großen Land zu leben macht auch nicht unbedingt glücklich. Unter den acht Staaten, die nach jüngsten Erhebungen weltweit als diejenigen mit den glücklichsten Menschen eingestuft werden, haben acht eine Bevölkerung von weniger als zehn Millionen: Schweizer, Iren, Finnen, Schweden, Dänen, Norweger und Isländer. Die Großmacht USA folgt glücklich erst auf Rang zehn, alle anderen dreistelligen Millionenstaaten weit dahinter.

Vielleicht erklärt das auch, warum der Trend in den vergangenen Jahrzehnten eindeutig hin zum Kleinland ging. Und dass die Zahl der Staaten so stark gestiegen sei, sagt Felipe Larraín Bascunán, Ökonom an der Universidad de Chile. Gegenüber 1990 gibt es heute ein Fünftel mehr Länder. Und die Ausnahme scheint eher die Regel zu bestätigen. Es wäre zumindest gewagt zu behaupten, die Deutschen seien dank einheitsbedingter Vergrößerung heute glücklicher. Oder wirtschaftlich viel mächtiger. Das war eher ein ziemliches Desaster.

Womöglich ist es heute gar nicht unbedingt von Vorteil, groß zu sein. Weil kleine Länder überproportional vom Wegfall von Grenzen und Handelsbeschränkungen profitierten, so Larraín. Als die Grenzen noch geschlossener waren, zahlte sich für Großstaaten aus, dass sie ihren Firmen einen voluminösen Binnenmarkt mit entsprechenden Skalenvorteilen bieten konnten. Bei offenen Grenzen nutzen Firmen kleiner Länder, dass es um sie herum große (und zugängliche) Absatzmärkte gibt - ohne selbst für die Infrastruktur eines großen Landes aufkommen zu müssen. Was wiederum erklären könnte, warum gerade Iren, Belgier, Finnen und Österreicher seit Öffnung der EU-Grenzen so tolles Wirtschaftswachstum hatten - und nicht Deutsche, Italiener und Franzosen.

Zumal es in globalisierten Zeiten auch einfacher ist, vom Fortschritt zu profitieren, ohne selbst jährlich Nobelpreisträger zu generieren (was in der Masse schneller geht). Nach Rangliste des World Economic Forum stehen fünf kleine Länder global an der Spitze, wenn es darum geht, wie gut verfügbar neue Technologien sind: Einwohnerzahl im Schnitt fünf Millionen.

Nach Urteil von Unctad-Chefökonom Heiner Flassbeck ermöglicht es die Globalisierung kleinen Ländern auch, auf Nischenstrategien zu setzen. Beispiel Nokia, Finnland. Wenn Irland per Niedriglohnstrategie und Abwertung anderen Marktanteile abnimmt, reicht das kaum, um den US-amerikanischen Kongress zu beschäftigen. Wenn die Chinesen das tun, gehen wöchentlich neue Protektionsvorschläge ein.

So etwas ist noch keine Gewähr, dass China sein ökonomisches Gewicht nicht machtpolitisch nutzt. Nur spricht einiges dafür, dass sich auch das historisch eher in Grenzen hält.

Chinesen wollen Globalisierung bremsen

Gerade weil die Chinesen so viel auf boomende Exporte gesetzt haben, machen allein die Ausfuhren von Waren mittlerweile fast 40 Prozent des gesamten chinesischen Bruttoinlandsprodukts aus. Da ist es auf Dauer eher kontraproduktiv, mit sehr vielen anderen (Absatz-)Ländern Streit anzufangen. Zumal der Druck zur Selbstkorrektur ökonomisch ohnehin größer wird: Die chinesische Leistungsbilanz erreichte 2007 einen enormen Überschuss von mehr als 300 Mrd. $. So etwas erhöht über kurz oder lang den Druck zur Aufwertung der eigenen Währung - und damit den Verlust bisheriger Wettbewerbsvorteile. Deutsche und Japaner können davon berichten (die beiden waren für den Rest der Welt übrigens auch einmal Angstgegner - bis ihre Währungen enorm aufwerteten).

Nach einer gerade veröffentlichten BBC-Umfrage zählen die Chinesen zu denen, die von der Globalisierung am wenigsten begeistert sind und den Prozess am liebsten bremsen würden. Komische Exportweltmeister in spe. Auch das spricht eher gegen als für die These vom Auf- und Abstieg der betreffenden Nationen.

Wenn die Globalisierung dazu beigetragen hat, dass der Wettbewerb stärker ist, Wissen schneller die Runde macht und die Größe von Staaten ökonomisch nicht mehr so wichtig ist, könnte die Geschichte diesmal anders ausgehen. Dann könnte es künftig einfach mehr wohlhabendere Länder geben - ohne dass irgendwer deshalb gleich absteigen muss.

Für uns stünden die Chancen dann halbwegs gut, dass uns trotz des Verlusts unseres schönen Exportweltmeistertitels der wirtschaftlich-politisch-kulturelle Untergang erspart bleibt. Und dass wir künftig keine Hunde kochen müssen.

Thomas Fricke ist FTD-Chefökonom. Mehr unter: www.ftd.de/wirtschaftswunder

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Aus der FTD vom 15.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de

 

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