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Kolumne

Thomas Fricke: Neue Ideologen braucht das Land

von Thomas Fricke

Das zur Norm gewordene Patt nach deutschen Wahlen hat nur vordergründig mit Oskar Lafontaine zu tun. Der tiefere Grund könnte sein, dass dem Land vor lauter Pragmatismus und politischer Korrektheit die großen Ideen fehlen.

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Die Sache scheint zur Masche zu werden. Wenn die Deutschen wählen gehen, ist danach gar nichts mehr klar. Ob nach Bundestagswahlen, in Hessen oder in Hamburg. Und die Schuldigen scheinen ausgemacht. Ohne linke Stimmenfänger wie Oskar Lafontaine und Gregor Gysi wäre alles noch so schön wie früher. So klingt das seit Wochen.

Dabei könnte der tiefere Grund für die notorischen Nachwahlblockaden ein ganz anderer sein. Vielleicht wählen die Deutschen ja deshalb so unentschieden vor sich hin, weil dem Land vor lauter Pragmatismus und politischem Korrektheitsdrang nicht nur die charismatischen Politiker ausgegangen sind, sondern auch die großen Ideen, zwischen denen man mal ordentlich wählen dürfte. Könnte ja sein, dass die großen Probleme heute gar nicht mehr mit Pragmatismus zu lösen sind.

Vielleicht wirkt mittlerweile reichlich zweifelhaft, dass es vor ein paar Jahren einen Kanzler gab, dessen Berater den Marketingcoup landeten, es gebe nur noch eine einzige und deshalb "moderne Wirtschaftspolitik". Und die behaupteten, dass alle Probleme nach dem Ende des Kommunismus pragmatisch zu lösen sind. Was wiederum ökonomischen Denkern gefiel, die ohnehin überzeugt sind, dass es eine einzig wahre ökonomische Vernunft gibt, die es einfach nur umzusetzen gilt. Klar, pragmatisch.

Dazu kommen dann noch Medien, die verhaltensauffällige Personen des öffentlichen Lebens schon mal totschreiben. Oder sich fürchterlich über Dinge erregen, die zwar nicht strafbar sind, aber alle irgendwie unmöglich finden. Was mal Bundesbankchefs und mal NDR-Moderatorinnen aus der Arena wirft.

Charisma eines Hühnchenschenkels

Bei so viel Eifer wundert man sich nach einigen Jahren natürlich, dass es plötzlich Parteichefs gibt, die das Charisma eines Hühnchenschenkels haben. Oder dass es zur Schicksalsfrage der Nation wird, ob ein 55-jähriger Arbeitsloser in Deutschland jetzt 18 oder 24 Monate Stütze bekommt. Und wie viel Postboten verdienen. Man wundert sich auch darüber, wie Ökonomen etwas sinnentleert vor sich hin fordern, dass, Achtung, der Reformkurs fortgesetzt werden muss - und dann beleidigt sind, wenn die Massen nicht über ihre Schläue jubeln.

Klar wären noch mehr (Niedriglohn-)Jobs für Langzeitarbeitslose gut. Oder der ein oder andere gesparte Euro für womöglich überteuerte Gesundheitsleistungen. Und mit den Löhnen darf man natürlich auch nicht überziehen. Vielleicht wäre auch die siebte Fortsetzung der Steuerreformen denkbar. Und neue Umwelt- und Nichtraucherzonen gegen schlechte Luft. Oder ein Mindestlohn in sechs Branchen, die sich per Stichtag angemeldet haben. Und?

All das steht bei distanzierterer Betrachtung in atemberaubendem Widerspruch dazu, was an Ideen zu Beginn des 21. Jahrhunderts dringend nötig wäre. Nach einer spektakulären Umfrage der BBC vom Jahresanfang sagt eine Mehrheit der Menschen, dass ihnen die Globalisierung zu schnell geht. Und das ist kein deutsches Oskar- oder Gregor-Manko. In den USA sagen das 54, in China sogar 72 Prozent. Fast zwei Drittel der weltweit Befragten finden, dass der wirtschaftliche Fortschritt ungerecht verteilt ist. Das ist nichts, was man mit Mindestlöhnen im deutschen Wachgewerbe bewältigt.

Hinter der aktuellen Finanzkrise steckt mit einiger Sicherheit mehr als nur die Schludrigkeit von Notenbankern. Harvard-Ökonom Dani Rodrik zufolge liegt das Problem auch in mangelnder Regulierung. Bisher gebe es nicht mal einen Beleg dafür, dass die Finanzglobalisierung messbar zu mehr Investitionen oder höherem Wirtschaftswachstum in Schwellenländern beigetragen habe. Ein krasser Befund. "Es ist Zeit, ein neues Modell für die Finanzglobalisierung zu entwickeln", so Rodrik. Ein Modell, das darauf baue, dass ein Mehr (an Finanztransaktionen) nicht unbedingt ein Besser ist.

Ähnlich fundamentale Zweifel lassen sich an den politisch unheimlich korrekten Maßnahmen gegen Klimaschocks hegen. Nach einer Analyse von Ifo-Chef Hans-Werner Sinn bringt es wenig, bei uns Energiekosten zu erhöhen und abends früher das Licht auszumachen - solange es Länder gibt, die ihre Nachfrage ausweiten, wenn die Preise als Konsequenz unserer Enthaltsamkeit fallen, sodass am Ende nichts gerettet ist. (Wenn niemand dafür sorgt, dass das Angebot sinkt.) Mit marktwirtschaftlichen Mitteln sei da wenig zu machen, räumt Sinn ein.

Zu den großen Fragen könnte gehören, ob es sinnvoll ist, daran festzuhalten, dass Währungen regelmäßig gefährlich abstürzen oder hochschießen - wenn dadurch binnen Tagen die mühsam erzielten Wettbewerbserfolge von Firmen abrupt zunichte gemacht werden.

Zeit für eine Revolution am Arbeitsmarkt

Fraglich ist auch, ob es richtig war, die deutsche Wirtschaft in einer Konjunkturkrise ab 2002 sanieren zu wollen. Wobei neuere Forschungen des US-Ökonomen Philippe Aghion vermuten lassen, dass es darauf ankommt, für jedes Land den richtigen Mix (und konjunkturell günstigen) Zeitpunkt zu finden. Doch in Deutschland gilt platt: Irgendwie immer oder gar nicht reformieren. Je nach Vorliebe.

Vielleicht brauchen die Deutschen am Arbeitsmarkt noch eine richtige Revolution - mit einem Mix aus richtig hohen Kombilöhnen und Mindestlöhnen, wie in den USA oder Großbritannien. Und eine Debatte über Konjunkturpolitik, wie sie US-Ökonomen schon seit einiger Zeit führen - weil Finanzdebakel sonst zu wirklichen Depressionen führen.

Es hat etwas Absurdes, pragmatisch auf ökologische und finanzielle Desaster oder auf das weltweite Kippen der Zustimmung zur Globalisierung zu reagieren. Da ist mehr nötig, ein ganz neues Modell, wie die Weltwirtschaft nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte funktioniert - eine globale Ordnungspolitik.

Im deutschen Sprachgebrauch ist Ideologie stark negativ belegt. Verständlich. Frankreichs philosophische Ideologen verbanden damit einst neutraler, dass Ideen nur um sich greifen, wenn sie Menschen sinnlich packen. Kein Fall für Hähnchenschenkel oder linke Nostalgiker.

Thomas Fricke ist FTD-Chefökonom. Mehr unter: www.ftd.de/wirtschaftswunder

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Aus der FTD vom 29.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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