Auswahl und Urteil - FTD-Autoren berichten über Wirtschaft, Politik und Gesellschaft


Diese Serie als RSS-Feed abonnieren FTD-Serie als RSS-Feed
Kolumne

Tobias Bayer: Jahrmarkt der Halbwahrheiten

von Tobias Bayer

Ob Bankbilanz, Ölpreis oder Devisenkurs: An den Finanzmärkten herrscht heiteres Zahlenraten.

ZUM THEMA

Der Traumberuf ist ausgemacht. Nicht Lokomotivführer, nicht Popstar, nicht Paris-Hilton-Freund ist die Profession der Stunde. Nein, Finanzmarktguru ist angesagt. Die Stimme erheben, die Worte sprechen "Die Wahrscheinlichkeit eines Bärenmarkts liegt bei 57,9 Prozent" und dann weltweit für Aufruhr an den Börsen sorgen - was bitte gibt es Schöneres?

Die Chancen, es zum Guru zu bringen, stehen jedenfalls so gut wie selten. Richtig Orientierung hat angesichts der Turbulenzen eh keiner mehr. Ja, die Banken kennen sich selbst in der eigenen Bilanz nicht mehr aus. Ob nun ein Geldhaus 400.000, 40 Mio. oder 400 Mrd. Euro abschreiben muss, ist eine reine Interpretationsfrage und abhängig davon, wann in Bayern Kommunalwahl ist. Auch die Frage nach der Rezessionsgefahr wird höchst unterschiedlich beantwortet. "Ist schon da", sagt der Erste, "Kommt noch", sagt der Zweite, "Ist alles nur fantasiert", sagt der Dritte. Wer sich als Guru profilieren will, kann sich zuerst bei Rohstoff- und Devisenpreisen versuchen. Denn da präsentiert sich die Finanzwelt bereits als das, was sie ist: ein Jahrmarkt der Halbwahrheiten.

Baby Ölmarkt sucht den Preis

Beispiel Ölmarkt. Dort ist die Ahnungslosigkeit besonders groß. Gern wird auf dunkle Finanzjongleure, dicke Nebelschwaden vor dem Hafen in Houston und atomgeile Iraner verwiesen, wenn die argumentative Not allzu groß wird. Immerhin ist eines sicher: Dass der Ölpreis die Marke von 100 $ durchbrochen hat, ist nicht zuletzt auch Verdienst der Finanzindustrie. Banken, Hedge-Fonds und Pensionsfonds treten in großem Stil an den Terminmärkten als Käufer auf und heizen die Notierungen an. Mag der Einfluss dieser Spieler aus New York oder London groß sein - ihn konkret beziffern zu wollen ist unseriös. Den Ölpreis in einen fundamentalen und spekulativen Teil, auch "Risikoprämie" genannt, tranchieren zu wollen ist nichts weiter als Finanzalchemie.

Statt Erkenntnisse zu liefern, erlaubt das Konzept der "Risikoprämie" den Analysten und auch dem Förderkartell Opec dagegen nur, Falschprognosen mit irrationalen Märkten zu begründen. Genauso gut könnten sie aber auch zugeben, dass sie mit ihren Einschätzungen chronisch falsch liegen und mit dem Wort "Risikoprämie" nur all das beschreiben, was sie beziehungsweise ihre Modelle nicht erklären können. Der Fehler liegt im System. Die Bewertung aktueller Preise fußt auf den Annahmen der Vergangenheit. Kostete ein Barrel Rohöl vor zehn Jahren noch 10 $, so ist es schwer nachzuvollziehen, warum heute das Zehnfache für die gleiche Menge bezahlt werden muss. Denn Angebot und Nachfrage haben sich nicht in vergleichbarer Weise verändert.

Die entscheidende Frage muss lauten: Waren die Annahmen in der Vergangenheit zutreffend, oder mussten sie revidiert werden? Ein Blick auf das lange Ende der Terminmarktkurve nährt den Verdacht, dass die grundlegenden Preiserwartungen regelrecht aus den Angeln gehoben wurden. Der Preis für US-Rohöl zur Lieferung in sieben Jahren hat sich in den vergangenen vier Jahren jeden Monat um 1,50 $ erhöht und liegt derzeit bei 90 $. Paul Horsnell von Barclays Capital vergleicht den Ölmarkt deshalb mit einem Baby, das durch tapsiges Vortasten seine Grenzen auslotet, immer auf der Suche nach dem markträumenden Preis. Ob 20 $, 100 $ oder 150 $ gerechtfertigt sind, wird so zu einem reinen Spiel aus Versuch und Irrtum. Und der Analyst kann nur fröhlich Hadedudedu machen.

Beispiel Devisenmarkt. Da steht nur eines fest: Wechselkurse schwanken gern. Darüber hinaus gehen die Meinungen auseinander. Was Euro, Dollar, Yen und den südafrikanischen Rand antreibt oder auch nicht, ist ein gut behütetes Geheimnis. Zuletzt häufig vernommen war die Mär von den Zinsdifferenzen. Je höher der Leitzins in einem Land, desto stärker die Währung. In der Fachsprache: "Yield und Carry sind König." Meistens positiv aufgenommen wurde eine höher als erwartete Teuerungsrate. Wie bei der türkischen Lira, einer der beliebten Hochzinswährungen. Der britischen Großbank HSBC zufolge hätte ein Händler eine Rendite von 3,2 Prozent erzielt, wenn er nach Bekanntgabe einer größer als erwarteten Inflationszahl in der Türkei die Lira gekauft hätte. Wer jetzt sichere Gewinne vermutet, der wird enttäuscht: Zuletzt galt dieser Zusammenhang nicht mehr. "Nun steht wieder das Leistungsbilanzdefizit im Vordergrund", schreibt HSBC. Natürlich.

Leinen los in trübe Gewässer

Die Wissenschaftler Richard Meese und Kenneth Rogoff haben sich bereits in den 80er-Jahren mit der Prognosekraft von Wechselkursmodellen beschäftigt. Ihre Erkenntnis lässt sich so zusammenfassen: Auf kurze Sicht kann mit Leistungsbilanzen, Inflationsraten, Zinsdifferenzen und Budgetdefiziten herzlich wenig erklärt werden. Genauso gut könnte man die Währungskurse auswürfeln.

Immerhin eine frohe Botschaft gibt es: Die Theorie der Kaufkraftparität ist nicht völlig abwegig. Die besagt, dass sich ein handelbares Gut überall auf der Welt zum gleichen Preis verkaufen muss, dass also Wechselkurse langfristig Preisniveauunterschiede ausgleichen. Meese hat sich zusammen mit Jeffrey Frankel einen Datensatz über 116 Jahre angeschaut. Und siehe da: Die Abweichung der Wechselkurse von der Kaufkraftparität ist zwar groß, aber wenigstens gibt es überhaupt einen Zusammenhang. Wer also gute Gene hat und sich einer robusten Gesundheit erfreut, kann den fairen Wechselkurs womöglich noch zu Lebzeiten miterleben.

Welche Schlüsse lassen sich aus all dem ziehen? Erstens sollte man den Kapitalmarkt nicht immer allzu ernst nehmen. Ein bisschen Skepsis und Humor gegenüber den Gurus sind angebracht. Schließlich behaupten die viel, können aber nur wenig beweisen. Zweitens ist es mehr als unwahrscheinlich, dass irgendeiner weiß, ob die Rezession kommt oder nicht. Wenn einer der Auguren mit zittrigen Fingern auf das Frachtratenbarometer Baltic Dry Index zeigt und den ökonomischen Untergang heraufbeschwört, könnte es eine einfache Erklärung geben: Es sind einfach nur zu viele Schiffe auf den Weltmeeren unterwegs.

Tobias Bayer ist Redakteur im Finanzressort.

Google Tausendreporter Furl YiGG Mister Wong del.icio.us Webnews

Bookmarken bei ...

 

Aus der FTD vom 26.02.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

 FTD-Services 

 Nachrichten 

Casual Friday

Kambodscha-Pop ohne Zumwinkel

Abschiedsworte müssen kurz sein wie eine Liebeserklärung, meinte einmal Theodor Fontane. mehr

Kolumne

Thomas Fricke: Neue Ideologen braucht das Land

Das zur Norm gewordene Patt nach deutschen Wahlen hat nur vordergründig mit Oskar Lafontaine zu tun. mehr

Kolumne

Peter Ehrlich: Ideenlos im Kanzleramt

Angela Merkel ist täglich im Fernsehen - politische Akzente hat sie aber seit Monaten nicht mehr vermittelt. mehr

Kolumne

Wolfgang Münchau: Becks nächster Schachzug

Wie kaum ein anderer Politiker verinnerlicht der SPD-Chef die Prinzipien der modernen Spieltheorie. mehr

Kolumne

Andreas Theyssen: Der Zumwinkel in uns

Statt die Liechtenstein-Affäre zu genießen, echauffieren wir Deutschen uns. mehr

Kolumne

Thomas Fricke: Konjunkturgeist schwach, Flasche leer

Über Konjunkturpakete lässt sich trefflich streiten - ein deutsches Drama. mehr

Casual Friday

Mehr Sex-Appeal im Supermarkt?

Es war 1983, als man in Clearwater herausfand, dass sich Chicken Wings mit weiblichem Körpereinsatz deutlich besser verkaufen. mehr

Kolumne

Thomas Klau: Kosovo - eine Altlast für Europa

Europa muss den Nationalstaat uncool machen, wenn aus Regionalismus kein Separatismus werden soll. mehr

Kolumne

Wolfgang Münchau: Strategien eines Steuerhinterziehers

Nehmen wir einmal an, Steuersünder verhalten sich rational. Was passiert dann in diesen Tagen? mehr

Kolumne

Lucas Zeise: Von Spanien lernen

Kluge staatliche Regulierung kann gelegentlich Banken und die Volkswirtschaft vor Unheil bewahren. mehr

Kolumne

Christian Schütte: Der Unehrliche bleibt der Dumme

Es ist scheinheilig, aus dem Fall Zumwinkel/Liechtenstein eine Systemdebatte zu basteln. mehr

Kolumne

Lucy Kellaway: Geld oder Glück

Leider ist es nicht so, dass uns der tollste Beruf und der höchste Posten auf Dauer erfüllen. mehr

Mehr News aus Kolumnen

Kolumnen als