Erfahrene Politiker schauen zu Beginn einer schwierigen Pressekonferenz zuerst vom Podium in den Saal. Präsenz zeigen, schauen, wer so da ist, Witterung aufnehmen. Kurt Beck schaut eigentlich nirgendwohin. Nicht in den Saal, nicht auf seine Papiere, zu Beginn seines Vortrags verliert sich der Blick ins Ungefähre. So hält er es häufig, erst wenn seine Worte eine Weile fließen, sucht er wieder den Kontakt mit dem Publikum.
Diese Momente der Selbstbezogenheit passen zu einem Charakter, der wichtige Dinge mit sich selbst ausmacht oder mit engen Vertrauten und dann plötzlich mit einer einsamen Entscheidung um die Ecke kommt. Im Herbst hat er es so gemacht, als er sich gegen den Willen des damaligen Vizekanzlers Franz Müntefering für eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I entschieden hat, und vor drei Wochen, als er seine selbst errichtete Brandmauer gegen die Linkspartei urplötzlich wieder eingerissen hat.
Beck hat wieder einmal nicht rechtzeitig mit allen geredet. Er gibt das selbst zu: Eigentlich habe er am Mittwoch nach der Hamburg-Wahl mit seinen Stellvertretern in Ruhe sprechen wollen. Dann aber verplapperte er sich bekanntlich schon vor der Hamburg-Wahl, was zu einem "gewissen Galopp" in den Abläufen geführt habe. Nicht rechtzeitig zu reden scheint ein Dauerproblem der SPD mit ihren Chefs zu sein. Rudolf Scharping wurde einst von Heide Simonis "Autist" genannt, Franz Müntefering ignorierte 2005 im Streit über den Generalsekretärsposten alle Warnungen.
Beck will das Reden nun nachholen. Die engste Parteiführung hat er Sonntagabend beruhigt, die versammelten Funktionäre sollen spätestens bei einer großen Konferenz Ende Mai auf das eingeschworen werden, was der Chef mit den Worten umschreibt: "Wir müssen unsere Strategie weiterentwickeln."
Wer zwischendurch glaubt, für Unruhe sorgen zu können, den will sich Beck persönlich zur Brust nehmen. Er nennt das den "Katze-im-Haus-Effekt". Die Katze war zwei Wochen krank, aber jetzt ist sie wieder da, und die Mäuse dürfen nicht mehr tanzen. Mäuse sind Leute wie Ex-Staatssekretär Gerd Andres, der laut sagt, was viele in der SPD denken, nämlich dass jetzt nur noch ein Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier Chancen hat.
Aus Sicht der Parteilinken waren es aber auch die stellvertretenden Parteichefs Frank-Walter Steinmeier und vor allem Peer Steinbrück, die beim Mäusetanz heftig mitgemacht haben. Auf die aber lässt Beck nichts kommen, er lobt sie sogar. "Ü-ber-haupt nicht" gebe es da Probleme, betont er jede Silbe. Steinbrück schätze er in höchstem Maße, und schließlich habe er ja gewusst, "welche Persönlichkeiten ich frage". Im Umfeld der "Stones" zeigt man sich hochzufrieden mit der Pressekonferenz. Beck habe schließlich vor allem darüber geredet, was mit der Linken nicht gehe, und dem Treiben von Andrea Ypsilanti in Hessen vorerst einen Riegel vorgeschoben. "Es ist klar, dass die hessische SPD nicht zweimal mit dem gleichen Kopf gegen die gleiche Wand rennt", sagt Beck.
So gibt Beck den eigenen Linken die Öffnung zur Linkspartei in den Ländern und den Rechten die Zusicherung, dass die Linke weiter bekämpft und auf Bundesebene geschnitten wird. Er selbst sei eben der, der den Unmut ertragen müsse, "der sich ja über irgendjemanden ergießen muss". Der Unmut über Beck hat mit seinem ersten Auftritt allerdings schlagartig abgenommen, von allen Flügeln gibt es Lob für den Chef und die gewohnten Seitenhiebe auf das jeweils andere innerparteiliche Lager. Man merkt, dass die Katze wieder da ist."Ich bin wieder fit", sagt Beck
Aus der FTD vom 11.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: AFP
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