Mehr Macht für Opposition im Bundestag

von Nikolai Fichtner (Berlin)

Der Bundestag wird die Ratifizierung des EU-Reformvertrags mit einer Stärkung der Rechte der Opposition verbinden. Die Koalition einigte sich mit FDP und Grünen auf eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes, die im Bundestag beraten wird.

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Künftig kann demnach eine Minderheit von nur 25 Prozent der Abgeordneten eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof anstreben, wenn sie sich von der EU in ihren Zuständigkeiten verletzt sieht. Bislang darf dies nur die Bundesregierung.

Grund für die Änderung des Grundgesetzes sind die neuen Mitwirkungsrechte, die der EU-Reformvertrag den nationalen Parlamenten einräumt. Die Koalition wollte sie besonders minderheitenfreundlich ausgestalten, um auch die Oppositionsfraktionen für die Verfassungsänderung und den EU-Reformvertrag zu gewinnen. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Norbert Röttgen rechnet nun mit einer breiten Zustimmung im Parlament, auch von FDP und Grünen.

Gelbe und Rote Karten: Die wichtigsten Einspruchsmöglichkeiten in der EU durch den Reformvertrag
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Bislang konnte nur die Bundesregierung per Subsidiaritätsklage vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüfen lassen, ob die EU sich zu sehr in die Belange der Mitgliedsstaaten einmischt. Das ist jedoch nie vorgekommen, da die Regierung selbst am Zustandekommen aller Brüsseler Gesetze beteiligt ist. Mit der neuen Regelung können nun auch Oppositionsfraktionen die Bundesregierung zur Klage zwingen.

Der Entscheidung vorausgegangen waren langwierige juristische Prüfungen und Verhandlungen. Zunächst wollte die Koalition einfach die Regel übernehmen, die der Bundestag schon bei Ratifizierung der später gescheiterten EU-Verfassung angenommen hatte. Demnach hätte eine einzelne Fraktion die Klage anstrengen können, zwei Drittel des Parlaments hätten dem allerdings widersprechen können. Das Grundgesetz kennt jedoch den Begriff der "Fraktion" als Mindestzahl von Abgeordneten nicht. Das Quorum von 25 Prozent dagegen taucht bereits beim Recht der Parlamentarier auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses auf. Ein Nebeneffekt der Neuregelung: Auch das Recht, eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht anzustrengen, soll nun beim neuen Einheitsquorum von 25 Prozent liegen. Bislang ist ein Drittel der Abgeordneten dafür nötig.

Der Europarechtler Christian Calliess von der Uni Göttingen rechnet damit, dass der Bundestag das neue Klagerecht schon bald nutzen wird. Dort sei der Wunsch groß, den EuGH zu einer Entscheidung in einem Präzedenzfall zu zwingen. "Der Gerichtshof muss dann umdenken. Früher war er Motor der Integration, heute muss er auch darauf achten, dass die EU ihre Kompetenzen nicht überschreitet", so Calliess. Sollte die Kommission wie geplant demnächst den kommunalen Verkehr regulieren, könne das die erste Gelegenheit für eine Klage bieten.

Denn laut Subsidiaritätsprinzip soll die EU nur dann eingreifen, wenn die Staaten nicht alleine handeln können und die EU selbst es besser kann. Sprich: Verschmutzte Luft ist grenzüberschreitend und EU-Sache. Verschmutzte Badeseen sind dagegen Ländersache. Eigentlich müsste die EU sich in solchen Fällen mangels Grenzüberschreitung heraushalten - was sie allerdings nicht immer tut.

Im Bundestag hat in jüngster Zeit die Kritik zugenommen, dass die EU sich immer mehr in Belange einmische, die sie nichts angingen. Die Unions-Fraktionsspitze ärgert besonders das Engagement von EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla zum Schutz vor Diskriminierung. Am Montag schickten Fraktionschef Volker Kauder und sein CSU-Stellvertreter Peter Ramsauer einen Brief an sämtliche konservativen Fraktionschefs in den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten. Darin fordern sie, den Antidiskriminierungsplänen der EU-Kommission mit einer "gemeinsamen Initiative" entgegenzutreten. "Das Antidiskriminierungsgesetz ist die Nagelprobe dafür, ob das Subsidiaritätsprinzip in der EU funktioniert", sagte Ramsauer am Dienstag. Gleichzeitig sei es ein "Test für die Kampagnenfähigkeit der nationalen Parlamente".

Kampagnenfähigkeit brauchen die Parlamente für das zweite Instrument, das der neue Reformvertrag ihnen zuweist: das sogenannte Frühwarnsystem. Acht Wochen Zeit haben die Parlamente in Zukunft, um Bedenken gegen Gesetzentwürfe zu äußern. Kommen mehr als ein Drittel von ihnen zu dem Schluss, dass die EU ihre Kompetenz überschreitet, muss die EU-Kommission ihren Vorschlag noch einmal überprüfen.

Europarechtler Calliess erkennt in diesem neuen Recht der Parlamente allerdings auch eine Pflicht zur Mitwirkung. Die nationalen Volksvertreter müssten ihre neue Rolle als Wächter der Subsidiarität auch wahrnehmen. "Die Zeiten, dass man in den Hauptstädten einfach nur auf Brüssel schimpfen konnte, sollten jetzt vorbei sein."

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Aus der FTD vom 13.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de

 

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