Als Herr Niederbörster seine Tochter zeugt, ahnt er nicht, dass dies auch ein Akt der Rechtsgeschichte ist. Herr Niederbörster ist ein alter Mann. Er ist 70, als er Vater wird. Bis das letzte Gericht in dieser Sache geurteilt hat, wird er ein sehr alter Mann sein.
"Vor und nach der Geburt des Kindes kommt es zu Spannungen zwischen den Eltern", notieren die Richter später. Er sei zwanghaft gegenüber seiner Tochter, wirft ihm seine Ex-Freundin vor. 1990, da ist die Kleine fünf Jahre alt, verbietet die Mutter ihm jeglichen Umgang mit dem Kind.
Niederbörster hat die Gesetze gegen sich. Der damalige Paragraf 1711 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sagt: Die Mutter eines nichtehelichen Kindes dürfe dem biologischen Vater den Umgang untersagen, wenn das nicht dem Wohl des Kindes diene. 1992 klagt Niederbörster das erste Mal. Da ist er 77.
Er verliert vor dem Amtsgericht Bonn, er scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht. Er geht vor das Landgericht, wieder vor das Amtsgericht, zieht erneut vor das Bundesverfassungsgericht; dieses Mal will er den verhassten Paragrafen 1711 zu Fall zu bringen. 1995 ersucht er die Richter, seine Beschwerde vorrangig zu bearbeiten; er sei ein 80-jähriger, herzkranker Mann.
Die Richter antworten, dass sie sein Verfahren zurückstellen. Es gebe weitere Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit von Paragraf 1711. Deren Ausgang müsse abgewartet werden.
1998 gewinnt Niederbörster. Aber nicht, weil ein Gericht entscheidet. Sondern weil Paragraf 1711 nicht mehr existiert. Der Bundestag schafft die Norm ab. Ein Jahr später darf Niederbörster seine Tochter wiedersehen. Sie ist 14.
Niederbörster könnte es dabei bewenden lassen. Doch er klagt noch ein letztes Mal. Unter dem Rubrum "Niederbörster gegen Deutschland" geht es nicht mehr sein Umgangsrecht, nicht mehr um Paragraf 1711. Es geht darum, ob es hinnehmbar ist, wenn Bürger den Streit um eine Baugenehmigung, um ihr Sorgerecht oder um Schadensersatz zu ihrer Lebensaufgabe machen müssen, die ihnen 28, 17 oder auch nur acht Jahre raubt. Niederbörster zieht vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
Dort kennt man die Bundesrepublik gut. Seit 1998 ist sie von den Straßburger Richtern in über 20 Fällen wegen überlanger Verfahrendauern verurteilt worden. Denn Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert das Recht auf ein faires Verfahren. Und "fair" bedeutet zumindest auch: einigermaßen hurtig.
FTD.de, 11.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de
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