Kolumne

Martin Wolf: Die andere Krise

Nicht nur die wachsende Rezessionsgefahr bedroht die amerikanische Wirtschaft, sondern auch die hohe Inflation. Das schränkt den Spielraum der Notenbanker für weitere Zinssenkungen ein.

ZUM THEMA

Rasch kletternde Rohstoffpreise, Anstieg der Gesamtinflation, langsameres Wirtschaftswachstum: Diese Kombination weckt schmerzhafte Erinnerungen an die 70er-Jahre. Damals begingen die Zentralbanken Fehler, die die Zunahme der Inflationserwartungen eher begünstigten als eindämmten. Zwar wurde die Inflation Anfang der 80er-Jahre endlich wieder unter Kontrolle gebracht. Aber es wurde ein enormer Preis dafür gezahlt, dass sie so aus dem Ruder gelaufen war. Begehen wir heute dieselben Fehler erneut?

In den zwölf Monaten bis Januar belief sich in den USA die Gesamtinflation der Verbraucherpreise auf 4,3 Prozent, innerhalb der Euro-Zone waren es über das Jahr 2007 gerechnet 3,1 Prozent. In beiden Fällen klaffte zwischen der Gesamtinflation und der um die stark schwankenden Preise für Energie und Lebensmittel bereinigten Kerninflation eine Lücke - im Fall der USA sogar eine gewaltige.

Das ließe sich ignorieren, handelte es sich um eine vorübergehende Abweichung. Aber speziell in den USA besteht diese Kluft seit Jahren. Zyniker könnten deshalb zu dem Schluss kommen, die US-Notenbank Fed habe bereits vor Jahren alle Vorsicht fahren lassen. Anfang der 70er-Jahre tat das der damalige Fed-Chef Arthur Burns auf Druck von Präsident Richard Nixon. Es drängt sich die Frage auf, ob sich dies in den vergangenen Jahren wiederholt hat.

Die unmittelbare Ursache für den Anstieg der Gesamtinflation ist der weltweite Zuwachs bei den Rohstoffpreisen. In den sechs Jahren bis Februar 2008 legte der Goldman-Sachs-Rohstoffindex um 288 Prozent zu, der Energiepreisindex um 358 Prozent, der Nichtenergieindex um 178 Prozent, der für Industriemetalle um 263 Prozent und der Agrarindex um 220 Prozent. Ein Anstieg auf breiter Ebene, allerdings waren auch zwei Jahrzehnte zunächst fallender und später stagnierender Preise vorausgegangen. Ein Anstieg auf breiter Ebene, allerdings waren auch zwei Jahrzehnte zunächst fallender und später stagnierender Preise vorausgegangen.

Rohstoffpreise explodieren

Ein Anstieg der relativen Rohstoffpreise könnte Inflationsdruck signalisieren oder auch Inflation verursachen. Aber für sich genommen stellt er keine Inflation dar. Eine derartige Verteuerung ist genau das, was wir derzeit erleben. Zieht man von den genannten Verteuerungen der Rohstoffpreise den Anstieg beim Stückwert von Fertigproduktexporten aus Hochlohnländern ab, ergeben sich folgende Zahlen: 147 Prozent Preiszuwachs für alle Rohstoffe, 192 Prozent für Energie, 77 Prozent für Nichtenergie, 131 Prozent für Industriemetalle und 104 Prozent für Agrarrohstoffe.

Was steckt hinter dieser Explosion der Rohstoffpreise? Es sind vor allem die Schwellenländer und dabei insbesondere China. Sie machen den Großteil des weltweit gestiegenen Bedarfs an industriellen Rohstoffen aus. Zwischen 2000 und 2006 entfielen 31 Prozent der zusätzlichen globalen Nachfrage auf China, auf Nordamerika nur 20 Prozent.

Inflationserwartungen auf der Kippe

Die starke Nachfrage in Schwellenländern erklärt die höheren Rohstoffpreise jedoch nicht vollständig. So hatte auch die Politik vieler Industriestaaten, stärker auf Biotreibstoffe zu setzen, Auswirkungen auf die Nachfrage nach einigen Agrarrohstoffen. Eine zentrale Rolle spielten auch Lieferengpässe durch Missernten, mangelnde Investitionen und gestiegene Kosten, vor allem für Energie. Spekulationen scheinen dagegen keine allzu wichtige Rolle zu spielen, ansonsten würden die Lagerbestände rasant zunehmen.

Durch den Wertverfall des US-Dollar gegenüber dem Euro wirkt sich ein Anstieg der globalen Rohstoffpreise stärker auf die Gesamtinflation in den USA aus als auf die Euro-Zone und andere Volkswirtschaften mit verhältnismäßig starker Währung. Deshalb überrascht es auch nicht, dass die Kluft zwischen Gesamt- und Kerninflation in den USA besonders groß war.

Was bedeutet der große Anstieg der relativen Rohstoffpreise für die Geldpolitik? Die gemessene Inflation steigt, der Ausstoß der Industriezweige, die auf Rohstoffen basieren, wird eher zurückgehen, ebenso Reallöhne und die reale Nachfrage. Noch ist unklar, welcher dieser Effekte dominieren wird. Angesichts der Ungewissheiten ist es zwar noch zu früh zu sagen, wie die Geldpolitik im Einzelnen reagieren sollte. Die generellen Regeln stehen aber fest.

Drei goldene Regeln

Erstens müssen Zentralbanken die Öffentlichkeit daran erinnern, dass Geldpolitik den Druck höherer Rohstoffpreise auf die Reallöhne nicht wegzaubern kann. Zweitens müssen die Banken die scheinbar temporären Schwankungen der relativen Preise ignorieren. Eine Reaktion würde die Wirtschaft unnötig destabilisieren. Und drittens sollten sie auf längere und anhaltende Anstiege der relativen Preise reagieren. Tun sie das nicht, ist mit einer höheren Inflationserwartung und einer Zunahme des Zinsaufschlags wegen Inflationsrisiken zu rechnen.

Solche Entwicklungen hätten negative Auswirkungen und beinhalten die Gefahr eines Fehlschlags, wenn man wie die USA auf eine Krise mit Zinssenkungen reagiert. Der Gouverneur der Fed Dallas sagte Anfang März: "Seit dem Januartreffen des Offenmarktausschusses sind die langfristigen Zinssätze inklusive derer auf Festzinshypotheken eher gestiegen, anstatt der Federal Funds Rate nach unten zu folgen." Unter diesen Umständen könnte eine aggressive Geldpolitik schwache oder gar abwegige Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben.

In den USA steht die Inflationserwartung derzeit auf der Kippe, und die Fed ist mittlerweile in einer unbequemen Lage: Sie kann nicht ohne Rücksicht auf die Folgen die Zinsen senken.

Sind die Zentralbanken zuversichtlich, dass die Rohstoffpreise nicht weiter steigen oder sogar fallen, sollten sie die Zinsen senken, um auf Anzeichen für eine ernste Wirtschaftsschwäche zu reagieren. Angesichts des anhaltend schnellen Wachstums der Schwellenländer können sie sich dessen aber nicht sicher sein. Und was noch schlimmer ist: Die Kerninflation selbst scheint bereits anzusteigen.

Die Fed unternimmt alles in ihrer Kraft Stehende, um die Negativrisiken zu beseitigen. Die EZB lehnt sich dagegen entspannt zurück. Ich schätze, die richtige Politik liegt irgendwo dazwischen, doch wir wissen es nicht. Der Grund hierfür ist klar: Erstmals seit einem Vierteljahrhundert ist der Hintergrund für die Geldpolitik schwierig geworden. Eines ist aber klar: Verantwortungsbewusste Zentralbanken würden eine Rückkehr in die 70er-Jahre nicht riskieren.

Martin Wolf ist FT-Kolumnist. Die Kolumne von Thomas Fricke erscheint wieder am 4. April.

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Aus der FTD vom 14.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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