Kreditkrise löst Kontroverse über Bilanzregeln aus

von Doris Grass (Frankfurt), Jennifer Hughes (New York) und Gillian Tett (London)

Angesichts der Turbulenzen an den Finanzmärkten haben Banker und Versicherungsexperten eine Verschärfung der Bilanzregeln gefordert. Politik und Börsenaufsicht reagieren bereits.

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Die weltweite Kreditkrise hat angesichts der notwendig gewordenen Milliardenabschreibungen im Finanzsektor auf breiter Front eine Diskussion über die Bilanzierungsregeln ausgelöst. Die Branche argumentiert, die vorgeschriebene Bewertung von Wertpapierbeständen in den Bilanzen nach dem so genannten Zeitwert (fair value) verschärfe die Panik der Anleger und zwingen die Branche Verluste auszuweisen, obwohl diese vielfach gar nicht wirklich eingetreten seien. Zudem sei es kaum möglich einen Großteil der Wertpapiere zu bewerten, weil für sie aktuell keine Marktpreise feststellbar seien, da die Märkte in weiten Teilen fast völlig ausgetrocknet sind.

Die Panik ist teilweise so groß, dass es in Teilbereichen der Finanzmärkte überhaupt keine Käufer mehr gibt. Weltweit summieren sich die Abschreibungen im Finanzsektor inzwischen auf rund 181 Mrd. $. Und kommende Woche könnten die Zahlen von US-Investmentbanken wie Bear Stearns, Goldman Sachs oder Lehman Brothers diese Summe weiter in die Höhe treiben.

Kein Wunder, dass sich die Stimmen mehren, die Änderungen an den Bilanzregeln fordern, um den Banken zumindest vorübergehend Erleichterung zu verschaffen. So fordert der Vorsitzende des Finanzdienstleistungsausschusses im US-Repräsentantenhaus, der einflussreiche Demokrat Barney Frank: "Es ist Zeit für uns, zu prüfen, die Frage der Marktwertbilanzierung (Mark-to-Market) neu zu überdenken, und ich bestehe darauf, dies sofort zu tun", sagte Frank diese Woche vor der US-Bankenvereinigung. Die Frage sei angesichts der Marktturbulenzen dringlich.

Versicherungskonzern AIG klagt sein Leid

Kritiker: AIG-Chef Martin Sullivan hält wenig von den Bilanzierungsregeln
 Kritiker: AIG-Chef Martin Sullivan hält wenig von den Bilanzierungsregeln

Aus Sicht von Frank und anderen Finanzmarktexperten führt die Fair-Value-Bewertung zu einer Abwärtsspirale aus immer weiteren Abschreibungen auf den schwinden Wert der Wertpapierportefeuilles, daraus folgenden Zwangsverkäufen, höherem Kapitalbedarf der Banken und einer Einschränkung der Kreditvergabe. Grund dafür ist, dass es in der gegenwärtigen Kreditkrise für immer mehr Anlageklassen keine Marktpreise mehr gibt.

Der weltgrößte Versicherungskonzern AIG musste allein im vierten Quartal 2007 einen Verlust von 5,1 Mrd. $ hinnehmen, nachdem der Konzern 11 Mrd. $ auf komplexe Hypothekenpapiere abschreiben musste. Konzernchef Martin Sullivan klagte: "Die Fair-Value-Bewertung hat unbeabsichtigte Konsequenzen. Er schlägt vor, die Verluste nicht nach dem aktuellen Marktwert zu berechnen, sondern den über die Laufzeit maximal zu erwartenden Verlust zu ermitteln. AIG hätte dann nur 900 Mio. $ abschreiben müssen. Die aktuelle Marktbewertungsvorschrift zwinge die Unternehmen, Verluste zu verbuchen, obwohl sie die betreffenden Vermögenswerte zu dem aktuellen Marktpreis gar nicht veräußern wollten. Auch die Gewinne sind direkt betroffen: So wurden von rund 600 Mio. Dollar an Abschreibungen, die der französische Versicherungskonzern Axa vor kurzem meldete, 300 Mio. Dollar direkt ergebniswirksam, der Rest verblieb in der Bilanz.

SEC arbeitet an neuen Regeln

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Auch die US-Wertpapier- und Börsenaufsicht SEC hat das Thema auf ihrer Agenda: Sie arbeitet an Plänen, den Firmen zu erlauben, ihren Investoren die tatsächlichen Auswirkungen der Bilanzierungsregel zu erläutern und zu verdeutlichen, dass die Abschreibungen gar keine echten Verluste sind. Demnach müssten die Firmen zwar weiterhin Marktpreise für die Bewertung ihrer Wertpapiere nutzen, egal wie stark die Wertverluste optisch aussehen mögen. Sie dürften den Anlegern aber auch eine Bewertungsspannen für die Papiere an die Hand geben, müssten hierbei allerdings erläutern, wie sie zu diesen Zahlen kommen und welche Berechungsmethoden sie angewandt haben. Dies soll den Investoren mehr Informationen über die schwierige Preisfindung an den Märkten geben. Die Aufsicht könnte die Pläne schon kommende Woche vorstellen.

Allerdings fürchten Experten, dass die Firmen dies dazu auszunutzen könnten, die Auswirkungen der hohen Verluste zu verharmlosen und ein zu rosiges Bild der Lage zu zeichnen. Analysten und Investoren könnten sich so in falscher Sicherheit wiegen. "Wenn die Märkte immer weniger funktionieren, welchen Nutzen hat ein solcher Preis dann für das Verständnis der Bewertung", gibt beispielsweise Christopher Walen von der Beratungsfirma Institutional Risk Analytics zu bedenken. "Wenn ich ein großer Kunde eines Brokers bin, kann ich jedes 'Preisschild'bekommen, das ich haben will."

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FTD.de, 14.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: Bloomberg

 

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