Dossier Grüne wollen Mittelschicht stärken

von Henning Jess und Andreas Theyssen (Berlin)

Der designierte Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl 2009, Jürgen Trittin, plädiert für eine Stärkung der Mittelschicht in Deutschland. Er nannte im FTD-Interview auch einen Grund für den Erfolg der Linkspartei.

"Es galt immer das Versprechen: In der Krise muss der Arbeitnehmer den Gürtel enger schnallen, und wenn der Aufschwung kommt, wird er daran beteiligt. Dieses Versprechen wurde nicht eingelöst", sagte Trittin der FTD. Gerade in der Mittelschicht, nicht nur in der Unterschicht, habe diese Frage an Wichtigkeit gewonnen. Und das sei auch der tiefere Grund, warum viele aus diesen Schichten die Linkspartei gewählt hätten.

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Trittin, der auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag ist, bezog sich auf eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, wonach die Mittelschicht in den vergangenen Jahren dramatisch geschrumpft sei. Zur Mittelschicht werden die Bürger gerechnet, die zwischen 70 und 150 Prozent des Durchschnittseinkommens verdienen.

Trittin schlug vor, die Zeitarbeit in Deutschland umzustrukturieren. "Der Versuch, Zeitarbeit einzuführen, um eine größere Flexibilität zu erreichen und die Einstellungsschwelle zu senken, war zwar die bessere Alternative als die Abschaffung des Kündigungsschutzes", sagte Trittin. Die Zeitarbeit sei aber nicht vollständig erfolgreich gewesen, weil Regelarbeitsverhältnisse systematisch unterlaufen worden seien. Es müsse der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" wiederhergestellt werden.

Soziales Profil soll geschärft werden

Seit einigen Wochen wieder im Rampenlicht: Der Ex-Umweltminister Jürgen Trittin
 Seit einigen Wochen wieder im Rampenlicht: Der Ex-Umweltminister Jürgen Trittin

Die Grünen hatten bereits im vergangenen Jahr auf ihrem Parteitag in Nürnberg beschlossen, ihr soziales Profil zu schärfen. Danach soll eine Investitionssumme von 60 Mrd. Euro vor allem in Schulen und Universitäten, aber auch in Betreuungseinrichtungen für Kinder fließen. Der Spitzensteuersatz soll auf 45 Prozent von heute 42 Prozent angehoben werden.

Trittin zeigte sich besorgt über den Zustand der SPD. Die Beschäftigung der Partei mit sich selbst sorge dafür, dass ein Bündnis aus Union und FDP auf Bundesebene wahrscheinlicher werde. "Die Schwäche der Sozialdemokratie kreiert akut die Gefahr einer schwarz-gelben Mehrheit", sagte er. Er sei hochgradig daran interessiert, dass die Krise der SPD beendet werde und die Partei wieder anfange, mit der CDU um jene Wählerschichten zu kämpfen, die sie erreichen kann.

Der ehemalige Bundesumweltminister hält die Linkspartei auf Bundesebene momentan für keinen verlässlichen Partner. Wenn ein Bündnis von ehemaligen Trotzkisten und ehemaligen Wählern der Schill-Partei geschmiedet werde, dann sei es für die Linke sehr riskant, sich auf eine Regierung einzulassen, sagte Trittin. Denn dort müssten sie Realpolitik machen.

Während die Ökopartei in Hamburg momentan mit der CDU verhandelt, wollte sie sich in Hessen auf eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linkspartei einlassen. Das ist allerdings an parteiinternen Streitigkeiten in der SPD gescheitert. In beiden Bundesländern hatten die Grünen zuvor eine Koalitionsaussage zugunsten der SPD gemacht. "Wir müssen, wenn wir mit der CDU kooperieren, sehr viel präziser nachweisen, warum und mit welchem Ergebnis, als die Sozialdemokraten, die sich in eine Große Koalition flüchten", sagte Trittin.

Der ehemalige Bundesumweltminister geht davon aus, dass die Grünen auch künftig weiterhin eher mit der SPD als mit der CDU koalieren werden. "Aufgrund der inhaltlichen Schnittmengen wird es auch in Zukunft mehr und häufigere Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie als mit der Christdemokratie geben", sagte Trittin.

Mit der FDP kann er sich momentan nicht vorstellen, eine Koalition einzugehen. Dafür gebe es zu wenig Gemeinsamkeiten mit der Partei. "Die inhaltlichen Probleme mit der FDP sind wahrscheinlich die größten von allen", sagte er. Er rechnet damit, dass die kommenden Wahlen sehr offen werden. "Mit dieser Verunsicherung werden alle leben müssen, die Wähler wie die Parteien", sagte Trittin. "Es gibt keine automatische Mehrheit mehr, für niemanden."

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Aus der FTD vom 18.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: AP

 

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