Schwarze, schwere Erde. Die Rübenfelder erstrecken sich bis zum Horizont. Andreas Scheffrahn zeigt hinüber zum Rand seines Ackers und auf eine Reihe Lkw, die seine Zuckerrüben zur nahe gelegenen Fabrik fahren. Der Stau ärgert Bauer Scheffrahn ein bisschen. "So etwas kostet Zeit und Geld", sagt er. Hochgewachsen und mit schmaler Metallrandbrille sieht Scheffrahn aus wie ein Manager aus dem Mittelstand - stünde er nicht mit beiden Füßen tief im Matsch.
Seit Butter im Laden 1,20 Euro kostet statt 0,77 Euro und Milch um acht Prozent teurer ist als noch vor einem Jahr, macht es wieder Spaß, Bauer zu sein. Das Konjunkturbarometer des Bauernverbands zeigt auch für 2008 nach oben: "Die Umsätze steigen, und die Investitionen ziehen an." Scheffrahn neigt nicht zum Überschwang. "Wir sind froh, dass die Getreidepreise nach oben gehen", sagt er. Die Preise, so viel ist jetzt schon klar, werden auch 2008 nicht sinken. Trotzdem ist Bauersein nichts für schwache Nerven.
Die EU will die Landwirtschaft in den kommenden Jahren weiter für den Weltmarkt öffnen und den Bauern mehr Freiheiten lassen. Auf sie wartet ein extrem volatiler Markt. Die Tonne Weizen kostete im September 270 Euro, im Juli waren es 180 Euro. "Das sind Preisschwankungen, die wir bislang nicht kannten", sagt Scheffrahn.
Für Zocker ist Weizen derzeit pures Adrenalin. 20 Prozent der Weizenpreise sind nach Schätzungen der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) nichts als heiße Luft. Bauer Scheffrahn weiß nicht, zu welchem Preis er seine Ernte verkaufen soll. Er greift mit beiden Händen in den Weizen hinein, und was er hochhebt, rinnt ihm zwischen den Fingern hindurch. Das klingt wie ein heftiger Regenschauer auf einem Flachdach. Der Weizen wird wohl noch eine Weile in der Scheune bleiben.
Gemeinsam mit zwei Kollegen baut Scheffrahn im niedersächsischen Dorf Cramme auf 575 Hektar Zuckerrüben und Getreide an. Scheffrahn kommt aus der Landwirtschaft und hat die Jahre erlebt, in denen Bauersein in der Öffentlichkeit mit Subventionen, EU-Bürokratie und Butterberg gleichgesetzt wurde. Die Interventionspreise der Europäischen Gemeinschaft sicherten den Bauern ein bescheidenes Auskommen und sorgten vor allem dafür, dass die Lebensmittel billig blieben. Dieser Politik naht das Ende.
"Die Welternährungslage wird von neuen Antriebskräften auf den Kopf gestellt", schreibt das internationale Nahrungsmittelforschungsinstitut IFPRI - und nennt Stichworte wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum und hohe Energiekosten.
Der frische Schub für das Geschäft setzt Kräfte frei. "Jetzt können wir investieren, Ställe bauen und an günstige Kredite kommen", sagt Milchbauer Jürgen Hirschfeld. Von seinem Stall aus hat der 50-Jährige einen weiten Blick über den Harz. Eine Tasse Kaffee und ein Keks sind sein Frühstück um 4.30 Uhr. Er liebt es zuzuschauen, wenn der Morgen ein grünes Band in den Himmel zeichnet. Hirschfeld besitzt 175 Hektar Land und 250 Milchkühe und spürt seit Langem wieder so etwas wie Aufbruchstimmung. "Hochwertige Lebensmittel zum Schnäppchenpreis, diese Zeiten sind vorbei", sagt er.
Etwas weiter westlich von Hirschfelds Heimatort Seesen fahren bereits niederländische Milchhändler übers Land und kaufen die Milch direkt vom Bauern. Hirschfeld liefert seine Milch noch immer an seinen Stammabnehmer, die Humana-Molkerei in Erfurt. Er hat auch keinen Grund zu wechseln. Für einen Liter Milch bekommt er derzeit 41 Cent. Ein Superpreis.
Magermilchpulver ist teuer wie nie zuvor, Butter wird so hoch bewertet wie zuletzt Anfang der 80er-Jahre. Grund ist die steigende Nachfrage auf dem Weltmarkt. Die Russen essen mehr Käse, weil mehr Menschen im Land höhere Löhne haben und sich teurere Lebensmittel leisten können. Indonesien ist auf den Geschmack von Schokolade gekommen, die Preise für Milchpulver und Kakao steigen. Und die Ukrainer führen keinen Weizen mehr aus, um Brot im Land erschwinglich zu halten. Wenn ZMP-Geschäftsführer Ralf Goessler von den weltweiten Agrarmärkten berichtet, klingt das so, als habe er am Abend zuvor einen Hollywoodfilm über Ameiseninvasionen gesehen. "Die Situation hat sich dramatisch verändert. Die Preise explodieren", sagt er. Die Weltproduktion von Getreide lag 2006 bei 2000 Milliarden Tonnen - und damit 2,4 Prozent niedriger als 2005. Gleichzeitig aber steigt seit Jahren die Nachfrage. Die weltweiten Reserven sind zusammengeschmolzen. "Für schlechte Getreideernten gibt es in Zukunft keine Puffermöglichkeiten mehr", sagt Goessler.
Vor 80 Jahren sattelte Hirschfelds Großvater nach der Weltwirtschaftskrise von Friseur auf Landwirt um. Damals war die Landwirtschaft übersichtlicher. Heute interessiert sich der Enkel für das Wetter in Neuseeland und Argentinien. Denn wenn es in Neuseeland zu trocken war, müssen die Farmer dort teures Viehfutter ankaufen.
"Dann sind sie nicht mehr billiger als wir. Wir begegnen uns auf Augenhöhe", sagt Hirschfeld. In Argentinien bedroht Frost das Getreide. Auf den Philippinen, dem weltweit zweitgrößten Hersteller von Rohzucker, haben im Dezember Unwetter die Straßen fortgespült, sodass die Zuckerproduktion um ein Drittel einbrach. Häufen sich solche Ausfälle, geht der Preis für Zuckerrüben nach oben.
Auf dem Ackerboden von Bauer Scheffrahn spiegeln Wasserpfützen den Himmel wider. Er sagt rückblickend, er wäre vielleicht auch mit einem anderen Beruf glücklich geworden. Das klingt nach einer großen Liebe, die in die Jahre gekommen ist.
Ratternd befördert das Transportband die Rüben auf die Lkw. Das Band wird Verlademaus genannt. Warum, weiß Scheffrahn auch nicht. "Weil sie so mausschnell arbeitet", sagt Scheffrahns neunjähriger Sohn Paul. Er will Journalist werden. Aber vielleicht überlegt er es sich noch einmal.
Aus der FTD vom 16.01.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD/Mark Mühlhaus, FTD/Quelle: ZMP, FTD/Quelle: USDA
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