Jens Leschmann macht es zur Entspannung. Wenn er sich vor lauter Gutachten mal wieder ganz rammdösig fühlt, wird er für eine Weile zum Lexikon-Autoren: Auf Wikipedia.de bearbeitet Leschmann Artikel zu Themen wie Bankwesen, Kapitalbeteiligungen oder Fonds. Lange einlesen muss er sich dafür nicht: Der Bremer ist Sachverständiger für das Kreditwesen. Vor zwei Jahren suchte er vergeblich nach einem Eintrag zu Depositendarlehen, seitdem schreibt er am Online-Lexikon mit.
Neben Leschmann haben sich im Wikipedia-Portal Wirtschaft derzeit 30 weitere Autoren registriert. Die Hobby-Enzyklopädisten verwalten eine Plattform, die für Unternehmen von wachsender Bedeutung ist. Zum Suchwort "Henkel" etwa erscheint bei Google unmittelbar unter der Firmenhomepage der Wikipedia-Eintrag. "Das wird von uns schon regelmäßig beobachtet", sagt eine Sprecherin des Konsumgüterkonzerns.
Wie ernst Firmen Wikipedia nehmen, zeigten wiederholte Manipulationen an Einträgen, die zu Rechnern der betroffenen Firmen zurückverfolgt werden konnten. Für Aufsehen sorgte etwa der Versuch, die Online-Biografie des früheren Siemens-Chefs Klaus Kleinfeld aufzuhübschen. "Kleinfeld leitete selbst verschiedene Projekte in unseren weltweit operierenden Bereichen", stand kurzfristig auf Wikipedia - ein Siemens-Mitarbeiter hatte offenbar Passagen aus der offiziellen Firmenbiografie kopiert.
Man habe bei neuen Unternehmensartikeln auch heute noch "mitunter den Eindruck, die PR-Abteilung macht sich sofort auf die Socken", sagt Leschmann. Plumpe Änderungen sind mithilfe spezieller Software zwar schnell enttarnt. Doch Korrekturen kosten viel Zeit - allein Leschmann verbringt damit täglich rund eine Stunde. Für diesen Aufwand aber ist die Gruppe der Wirtschafts-Schreiber laut Leschmann eigentlich viel zu klein: "Es fehlt da ganz einfach an guten Autoren, die entsprechendes Hintergrundwissen haben."
"Es ist noch nicht so gut, wie wir es gerne hätten", sagt auch Autor Kai Geisslreither. Der Diplom-Ökonom ist Geschäftsführer eines Unternehmens, das in Südosteuropa Agrarflächen erschließt. Täglich bearbeitet er etwa 20 Artikel aus seiner persönlichen Beobachtungsliste. Rund 100 Artikel stehen darauf, zu Studentenzeiten waren es sogar 400.
Ihre Informationen besorgen sich die Wikipedianer zum Teil aus Presseberichten, zum Teil von den Unternehmen selbst. "Ein Geschäftsbericht ist für mich glaubwürdig", sagt Leschmann, der Firmen auch per Email kontaktiert. Zuletzt fragte er den Zahnarztdiscounter MacDent nach den Hintergründen seiner Umbenennung in TruDent - ohne Erfolg, wie er bedauernd hinzufügt. Dass ein Unternehmen wegen seines Wikipedia-Eintrags selbst anfrage, habe er in zwei Jahren erst ein einziges Mal erlebt.
FTD.de, 17.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: Agroyield
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