Denn dass es weniger Interesse als erhofft und mehr Ärger als gedacht gibt, ist wohl unbestritten. Doch ungerührt dieser Tatsachen interpretiert Scholz (SPD) die Zahlen in einem staunenswerten Akt der Autosuggestion als "gigantischen politischen Erfolg". All die Arbeitgeber, die für einen Mindestlohn plädierten und die Aufnahme ins Entsendegesetz wünschen, hätten ein mutiges Bekenntnis gegen den Mainstream abgegeben, so der Minister. Der gesetzliche Mindestlohn gewinne an Kraft.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Statt der erhofften zehn bis zwölf Branchen haben sich nun sieben gemeldet, immerhin konnte Scholz im letzten Moment noch mit zwei zusätzlichen Branchen aufwarten und so den Total-Flop verhindern. Die Tarifpartner der Pflegedienste und die Bergbauspezialisten wollen noch mitmachen. Doch berauschend ist das nicht. Gerade mal 1,4 Millionen Arbeitnehmer wären künftig über das Arbeitnehmerentsendegesetz geschützt. Eigentlich hatte die SPD gehofft, durch die Hintertür der Branchenmindestlöhne möglichst viele "weiße Flecken" ohne Tarifverträge oder Tarifbindung abzuschaffen - und deutlich mehr Arbeitnehmer zu erfassen. 4,4 Millionen Menschen wollte die SPD ursprünglich vor Lohndumping und Billigkonkurrenz schützen.
Zudem gibt es mit den Branchen, die nun Anwärter den Mindestlohn sind, große Probleme. So will das Wach- und Sicherheitsgewerbe gemeinsam mit den Christlichen Gewerkschaften sich einen so niedrigen Mindestlohn (5,65 Euro pro Stunde im Osten) absegnen lassen, dass Scholz diese Branche wohl am liebsten gar nicht dabei hätte.
Ärger gibt es auch mit der Zeitarbeitsbranche. Denn hier gelten konkurrierende Tarifverträge. So will ein Arbeitgeberverband der Zeitarbeit die Vereinbarung der beiden anderen Arbeitgeberverbände mit dem DGB nicht akzeptieren. Denn er hat eine eigene Tarifvereinbarung mit den Christlichen Gewerkschaften. Eine gerichtliche Auseinandersetzung ist programmiert.
Zudem gibt es jede Menge Knatsch zwischen den Sozialdemokraten und dem Regierungspartner Union. Die Konservativen lehnen zum Beispiel die Aufnahme der Zeitarbeit ins Entsendegesetz ab. Zudem gibt es nach wie vor massiven Widerstand der Christdemokraten bei beiden relevanten Gesetzesentwürfen. Weder das neue Entsendegesetz noch das veränderte Mindestarbeitsbedingungsgesetz sind fertig, so dass Scholz nun zwar eine Reihe von Anträgen hat, aber politisch nicht vom Fleck kommt.
Angesichts des derart selbstbewussten Themenverkaufs mutet Scholz' Ängstlichkeit in einer anderen Frage ziemlich hasenfüßig an. Gefragt danach, ob die SPD den Mindestlohn zum Wahlkampfthema mache, wich der Arbeitsminister hartnäckig aus. Es gehe bei dieser Frage um viel mehr als Parteienpolitik, es gehe um den Respekt vor dem Bürger, die tagtäglich arbeiten. Diese Menschen hätten es verdient, dass man sich um ihr Schicksal kümmere. Wahlkampf will der Minister mit seinem Prestigeprojekt offenbar nicht machen.
FTD.de, 31.03.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: AP
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