EARL, EARLDOM
Lexikon des Mittelalters:
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Earl, Earldom
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I. England:
Earl, bedeutender Adelstitel in England.
Das Wort eorl wurde zuerst in
Gesetzen aus Kent aus dem 7. Jh. gebraucht, um einen Adligen von einem
gewöhnlichen Freien (ceorl)
zu unterscheiden. Der entsprechende
Terminus in westsächsischen Gesetzen von König Ine aus dem 7. Jh. und
dann allgemein im 8. Jh. war gesith
(lat. comes). In
literarischen Werken (so zum
Beispiel im Beowulf) war eorl
gebräuchlich für einen ranghöheren
Mann, besonders für Krieger oder Helden. Im 9. Jh. wurde das Wort
als
Bezeichnung für einige dänische Gefolgschaftsführer
benutzt,
die wahrscheinlich im Dänischen
jarl genannt wurden. Diese wurden von
Königen unterschieden, wie es die Angelsächsischen Chronik
s. a. 871 eindeutig
bezeugt (Schilderung der Teilung des dänischen Heeres in zwei
Abteilungen, die des Känigs und die des Earls: eorla getruman; Bericht
über den Tod von neun earlas
und eines Königs). Der Titel
bezeichnete im 10. Jh. die Führer dänischen
Kampfverbände,
die sich in England niederließen, so zum Beispiel Earl Thurcetel von Bedford
und Earl Thurferth von Northampton
(Angelsächsische Chronik s. a. 915,917). Einige Urkunden des
10. Jh., die die Midlands und den Norden
betreffen, wurden sowohl von Ealdormen
als auch von Earls
unterzeichnet,
wobei die Earls, welche
skandinavische Namen führen, wohl die zum
Danelaw
gehörigen Amtsbezirke befehligten. Eorl wurde später anstelle
von Ealdorman gebraucht. So
berichtet die Angelsächsische Chronik
D. s. a.
966 von der Ernennung Oslacs
zum Ealdordom von Northumbria,
aber
anläßlich seiner Verbannung um 975 wird er als Eorl
bezeichnet. Während der Regierungszeit Knuts des
Großen wurde dieser
Wechsel in der Bezeichnung üblich. In Zusammenhang mit der
Verbannung des Ealdorman
Æthelweard 1020 wird dieser Titel zum
letzten Mal in der Angelsächsischen Chronik gebraucht, abgesehen
von einem
zurückblickenden Hinweis (siehe auch 1035 Earl) auf den Ealdorman
Ælfhelm (†1006). Wie zahlreiche
Ealdormen des
10. Jh.
verwalteten auch die Earls im
Zeitraum zwischen Knuts
Regierung und der normannischen
Eroberung mehrere Grafschaften (shires).
Nach dem Tod Eduards
des Bekenners
gab es nur sieben Earls,
unter
ihnen Harold
von Wessex (Harald, König),
Edwin von Mercia und Morcar von Northumbria. Alle
diese
Earls waren bis
1075 entweder getötet oder aus ihren Earldoms verdrängt
worden. Um 1068 hatte Wilhelm der Eroberer einen Earl of East Anglia
ernannt, aber im Jahre 1075 wurde dessen Sohn das Amt entzogen. Wilhelms
andere Earldoms waren alle
mit einzelnen Grafschaften verbunden, an der
Küste oder entlang der Grenzen zu Wales und Schottland, zum
Beispiel
Kent, Sussex,
Hereford, Shrewsbury, Chester und Northumberland.
Offenbar sollte dies die Verteidigung Englands stärken, aber
einige trugen auch zur Konsolidierung der normannischen Macht in den
Grenzgebieten bei. Sehr wenige neue Earldoms
wurden vor dem
Regierungsantritt König Stephans von Blois (1135)
geschaffen. Es gab
damals nur sieben englische Earldoms
- wobei Huntingdon
und Northampton als
ein Earldom gezählt
werden, da beide in der Hand einer Person,
Davids I.,
Königs von Schottland,
waren. Viele Earldoms wurden
während des Bürgerkriegs zwischen König Stephan und Königin Mathilde
geschaffen; 1142 gab es 22 Earldoms,
wobei neun vom König und
sechs von
der Königin neu errichtet worden waren. Zwischen 1154 und 1500
kann man nur 12
völlig neue Earldoms zählen,
aber viele, die durch Einzug
oder Fehlen von Erben erloschen waren, wurden neu kreiert, einige sogar
mehrmals (so zum Beispiel zwischen 1337 und 1500 fünf der sieben Earls of
Huntingon). Die dynastischen Kämpfe im 15. Jh. führten
dazu,
daß viele Earldoms
eingezogen und von Konkurrenten beansprucht
wurden.
Im und nach dem 12. Jh. waren die Earldoms
erblich, wobei zumeist die
allgemeinen Regeln für die Vererbung von Landbesitz Anwendung
fanden, manchmal allerdings besondere Beschränkungen auferlegt
wurden.
Ein neuer Earl wurde mit dem Schwert seiner Grafschaft umgürtet,
aber nach
1272 fand diese Zeremonie nur noch statt, wenn ein neues Earldom
kreiert wurde. Wenn ein Earldom
an mehrere Mit-Erben überging,
konnte es als zeitweise erledigt gelten, doch konnten auch andere
Nachfolgeregelungen getroffen werden. So wurden zum Beispiel nach dem
Tod von
Humphrey
X. de Bohun (1373) seine beiden Earldoms
von Essex
und Hereford
geteilt zwischen den Ehemännern seiner beiden Töchter, Thomas von
Woodstock und Heinrich (IV). Bolingbroke,
also dem Sohn und dem Enkel
von König Eduard III. Durch
solche Heiraten sowie durch
Neueinrichtungen gingen viele Earldoms
in den Besitz von Mitgliedern
des Königs-Hauses über.
Earls besaßen üblicherweise größeren Landbesitz
in
ihren Grafschaften, aber der Earl-Titel
verlieh ihnen wenig mehr als
den Titel
und den Rang. Während der unsicheren Verhältnisse unter König
Stephans Regierung
konnten viele Earls ihre
Machtstellung ausbauen, die
aber durch König Heinrich
II. eingeschränkt wurde. Die
administrativen Aufgaben der Earls vor der normannischen Eroberung
waren um 1100
an die vom König ernannten sheriffs
übergegangen; aber die Earls of
Hereford, Shropshire
und
Cheshire übten faktisch
die
Regaliengewalt in ihren Grafschaften aus. Um 1175 hatte nur ein solches
»pfalzgräfliches« Earldom
überlebt, nämlich
Chester.
Ein Earl hatte natürlich
als ein bedeutender Landbesitzer einen
großen Einfluß, und häufig übte er auch die
Tätigkeit eines Justitiars (justiciar)
oder sogar eines sheriff
aus. Er hatte auch häufig, aber nicht immer, das Recht auf den
dritten Pfennig bei den pleas
der Gerichtsversammlung (shire court).
P.H. Sawyer