Hartz IV treibt Demonstranten auf die Straße - und dies nicht nur zum 1. Mai.
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Vor einiger Zeit noch war der 1. Mai ein Feuerwehr- und Schützenfest für halbbeamtete Gewerkschaftsfunktionäre. Die Reden, die an diesem Tag gehalten wurden, rochen nach Bratwürsten, Bier und Zufriedenheit. Die Leute glaubten noch an den alten Satz, den ihnen einst Kanzler Helmut Schmidt gepredigt hatte: "Die Unternehmensgewinne von heute sind die Investitionen von morgen, und die Investitionen von morgen sind die Arbeitsplätze von übermorgen." Aber auf einmal merkten die Leute, dass das nicht mehr stimmt - und seitdem riecht der 1. Mai wieder anders. Die Gewinne der Unternehmen stiegen und stiegen; aber die Arbeitnehmer wurden und werden gleichwohl "freigesetzt", also entlassen, und neue Arbeitsplätze gab und gibt es, wenn überhaupt, in Rumänien und noch weiter östlich. Es stieg und steigt die Kapitalrendite, aber auch die Angst der Belegschaften; Angst macht unsicher. Als der in den alten Mai-Liedern besungene "Mann der Arbeit aufgewacht" war, erkannte er nämlich nicht mehr seine Macht, sondern seine Ohnmacht. Das Kapital aber fand, von Grenzen befreit, die große Freiheit: Es setzte und setzt auf Reduzierung von Lohnkosten, auf das Gegeneinander-Ausspielen von Standorten und auf Entlassungen. Und deshalb wurde aus dem 1. Mai zunächst einmal eine sehr kleinlaute Veranstaltung. Der erste Mai, der Tag der Arbeit, stand in der postindustriellen Gesellschaft da wie übriggeblieben aus einer alten Welt, in der die Arbeit noch mehr Kraft und Wert hatte. Er war also eine Reminiszenz an alte Zeiten. Aber das hat sich wieder geändert: der 1. Mai hat neues Leben. Das hat weniger damit zu tun, dass sich die Gewerkschaften reformiert, neu aufgestellt oder gar europäisiert hätten; von solchen Reformen wird zwar seit ewigen Zeiten geredet, denn: Wer von der Gesellschaft verlangt, dass sie sich reformiert, muss auch selber dazu bereit sein. Gewerkschaftlicher FrühstücksdirektorAber davon spürt man bei den deutschen Gewerkschaften nicht viel. Der DGB-Vorsitzende ist zwar ein wackerer Mann, aber nach wie vor ein gewerkschaftlicher Frühstücksdirektor. Jede Einzelgewerkschaft hat nach wie vor ihre eigene sozialpolitische Abteilung. Das macht die deutsche Gewerkschaftsbewegung nicht gerade stärker. Und trotz des immer noch vielen Geldes, das sie hat, ist es ihr nicht gelungen, den IFO- und sonstigen Wirtschaftsinstituten wissenschaftlich ordentlich Paroli zu bieten. Die neue Vitalität des 1. Mai hat nichts mit neuer Gewerkschaftsstrategie, sondern mit Hartz IV zu tun: Seitdem die Arbeitslosenhilfe abgeschafft ist und so die Langzeitarbeitslosen zu Fürsorge-Empfängern gemacht wurden, seitdem ist die Sorge vieler Menschen vor einem Abrutschen in prekäre Verhältnisse gewachsen. Diese Sorge hat neue Widerständigkeit geweckt. Es wird wieder gestreikt - für mehr Lohn, für bessere Arbeitsbedingungen, für Beschäftigungsgarantien. Und diese Streiks stoßen durchaus auf das Wohlwollen der Allgemeinheit. Die Leute spüren wieder, dass sie nichts geschenkt bekommen, dass sie also - das verpönte Wort wird wieder ernsthaft benutzt - "kämpfen" müssen; und neuerdings merken sie auch, dass der Arbeitskampf oder zumindest die Drohung damit doch noch Wirkung hat; es lassen sich eben nicht alle Arbeitsplätze auslagern. Soziale Gerechtigkeit ist wieder ein Kernthema der Politik geworden. Wer vor fünf, sechs Jahren von "Gerechtigkeit" redete, wurde als Traditionalist verspottet; die CDU wollte den Begriff durch "Fairness" ersetzen. Das ist vorbei. Sicherlich: In der Volks-Empörung über "die da oben" mischt sich viel zusammen, was nicht zusammengehört. Die Debatte über frivole Managergehälter und deren Begrenzung kann zu neuer Verteilungsgerechtigkeit wenig beitragen. Aber das Thema ist ein Symbolthema. Und so ist auch der 1. Mai wieder Symbol - für neue soziale Sensibilitäten. (SZ vom 30.4./1.5.2008/beu)
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