MAGNA CARTA
Lexikon des Mittelalters:
********************
Magna Carta
-----------------
die »Große Freiheitsurkunde«, 1215 von König Johann I. von England
erlassen (Originale: London, Britisches Museum; Lincoln, Kathedrale;
Salisbury, Kathedrale), entspricht in Form und Inhalt den im 12. und
13. Jh. so häufig an städtische Gemeinden und andere
Gruppen übertragenen typischen Freiheitsurkundne (charters). Sie ging von der
Vorstellung einer communitas
des Königreiches aus (community
of the realm). Außerdem orientierte sie sich an der
Krönungs-Urkunde Heinrichs I.
von 1100, die eine weniger willkürliche Eintreibung der feudalen
Abgaben zugestanden hatte und von den baronialen Opponenten (Baron,
III) Johann
gegenüber als Grundlage für ihre Reformforderungen benutzt
wurde. Die Magna Carta ist
eine Reaktion auf die Regierungsform im Angevinischen Reich, die
durch eine wachsende Ausnutzung der feudalen Abgaben und die
Willkürlichkeit des königlichen Gerichtsverfahrens
gekennzeichnet war. Durch Johanns
Verlust der Normandie (1204) und
seine Niederlage in der Schlacht
von Bouvines
(1214) verschärfte sich die Situation, da die Krone in steigendem
Maße Geld benötigte und ihre politische Position
geschwächt
wurde. Johanns
geplanter Feldzug im Poitou 1213 wurde durch die
Weigerung der Barone verhindert, auf dem Kontinent außerhalb der
Normandie Kriegsdienst zu leisten. Dieser Widerstand begann im
nördlichen
England, verbreitete sich in den
östlichen Midlands sowie in Essex und
erfuhr auch von opponierenden Klerikern Unterstützung,
insbesondere von
Stephen Langton. Er
verstärkte sich, als Johann
beabsichtigte, die
scutage für einen Feldzug
im Poitou 1214 zu erheben. In den ersten
Monaten des Jahres 1215 faßten die Rebellen ihre Forderungen in
dem als »Unknown Charter«
bekannten Entwurf zusammen. Im
Mai wurde in den »Articles of
the Barons« die Einsetzung
eines Ausschusses von 25 Baronen vorgeschlagen, der für die
Erfüllung der baronialen Forderungen sorgen sollte. Nachdem London
in die Hand der Opponenten gelangt war, mußte Johann ihren
Bedingungen wahrscheinlich in der Zeit zwischen dem 15. und 19. Juni
1215
zustimmen. Die Magna Carta,
die im Wortlaut im wesentlichen auf den
»Articles of the Barons«
basiert, enthält Fiskal- und
Rechtsklauseln, die unter anderem die Festsetzung der Höhe der
Lehnware
und den Schutz der Rechte minderjähriger Erben und der Witwen
betreffen. Die Erhebung von scutage und
aid sollte nur »per
commune consilium regni« erfolgen, ausgenommen waren die
drei
Fälle, bei denen sie dem König als Oberlehnsherrn zustand.
Obwohl
diese Forderungen vor allem von den Baronen erhoben wurden, stimmten
die
Kronvasallen zu, die Abmachungen gegenüber ihren eigenen Vasallen
zu befolgen. Viele Klauseln betrafen rechtlich-soziale Bestimmungen:
Maße und Gewichte wurden festgesetzt, ungerechte Forderungen der
königlichen Beamten verboten, willkürliche Geldbußen
sollten nicht den
Lebensunterhalt eines Mannes gefährden, und das Gericht durfte
weder verkauft noch verweigert werden. Das Gerichtsverfahren sollte
einem anerkannten Prozeßverlauf folgen. Die Barone waren
bestrebt, den Geltungsbereich ihrer privaten Gerichte zu erhalten, doch
wollten sie ihn nicht ausdehnen. Versuche, die Magna
Carta sofort nach ihrer
Ausstellung zu veröffentlichen und durchzuführen, blieben
weitgehend erfolglos, da die beiden Parteien bald in Streit gerieten.
Nach Johanns Tod
wurde 1216 von königstreuen Baronen, die den
minderjährigen Heinrich III.
unterstützten, eine modifizierte
Fassung der Magna
Carta
publiziert. Eine nochmals revidierte Fassung wurde
1217 mit Bestimmungen über die Forste (»Charter of the
Forest«) verkündet.
J. Barrow