Bilder unserer Nutzer

Shop

Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden plus CD-ROM
ISBN 978-3-411-10060-6
149,00 € [D]

Weitere Informationen

Kurden

Verbreitungsgebiet d...
vergrößern
Verbreitungsgebiet d...

Kurden, Volk in Vorderasien mit iranischer Sprache. Die Kurden leben im Grenzbereich (etwa 200 000 km2) Türkei/Irak/Iran sowie in Nordostsyrien und Südwestarmenien. Durch Migration und Umsiedlung gelangten Kurden auch nach Jordanien, Libanon, Zentralanatolien, Ostiran, Georgien und Mittelasien, als Arbeitskräfte auch in die Westtürkei (Istanbul, Adana u. a.) und nach Europa (v. a. Deutschland). Schätzungen über die Zahl der Kurden schwanken zwischen 12 und 30 Mio., wobei die Zahl von 22,5 Mio. wahrscheinlich ist. Trotz gemeinsamer Sprache, Geschichte und Kultur konnten die Kurden keinen eigenen Nationalstaat errichten; sie bilden Minderheiten in der Türkei (12 Mio.), in Iran (5,5 Mio.), Irak (3,7 Mio.), Syrien (0,5 Mio.), in transkaukasischen GUS-Staaten (0,15 Mio.) und im westlichen Europa (0,62 Mio.). 75–80 % sind Sunniten, die Übrigen Schiiten meist extremer Richtungen. Ackerbau und Viehhaltung (Schafe, Ziegen) spielen eine bedeutende Rolle. Der Anteil von Nomaden ist heute gering. Die Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Jesiden betrachten sich, trotz kurdischer Muttersprache, selbst nicht als Kurden.

Geschichte: Erstmals 2150 v. Chr. in Sumer als »Land der Karda« erwähnt, im 3./4. Jahrhundert n. Chr. fand die ethnische Konsolidierung ihren Abschluss. Zwischen 637 und 643 nahm die Mehrheit der Kurden den Islam an. Die Zugehörigkeit des Siedlungsgebietes der Kurden, Kurdistan, zum Seldschukenreich (11./12. Jahrhundert), später zum Persischen und Osmanischen Reich war selten mehr als nominell, vielmehr bildeten sich einheimische lokale Feudalherrschaften heraus. 1514 erstmals zwischen Persern und Osmanen aufgeteilt, kam Kurdistan 1639 fast ganz unter osmanische Herrschaft, die im Zuge der Zentralisierung bis zum 19. Jahrhundert die kurdischen Emire durch türkische Gouverneure ersetzte. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wanderten Kurden (Jesiden) nach Armenien und Georgien aus. Entgegen dem Frieden von Sèvres (10. 8. 1920), der den Kurden erstmals die Eigenstaatlichkeit zusprach und die Entstehung einer kurdischen Nationalbewegung förderte, wurde der ehemals osmanische Teil Kurdistans Irak, Syrien und der Türkei eingegliedert (2. Teilung Kurdistans; vorbereitet im britisch-französischen Sykes-Picot-Abkommen von 1916). Der Frieden von Lausanne (24. 1. 1923) gestand den Kurden keinen Minderheitenschutz in der Türkei zu; zwischen 1925 und 1937 schlug die türkische Armee mehrere größere Aufstände nieder (Türkei, Geschichte). Mit unterschiedlicher Intensität betrieben die türkischen Regierungen seitdem gegenüber den »Bergtürken« genannten Kurden eine Politik der Türkisierung.

In Nordwestiran erstarkte unter sowjetischer Besatzung (1941–46) die kurdische Nationalbewegung. Unter Ghasi Mohammed bestand dort 1946 die »Kurdische Republik Mahabad«. In Irak kam es nach Konflikten mit der Regierung (1931/32 und 1944/45) unter Führung von Mulla Mustafa Barsani 1961–70 zu einem allgemeinen Kurdenaufstand. Unzufrieden mit der Umsetzung der nach der neuen irakischen Verfassung (1970) gewährten Autonomie, erhoben sich die Kurden 1974 unter Barsani erneut (bis Frühjahr 1975).

Mit dem 1. und 2. Golfkrieg kam es abermals zu Aufständen der irakischen Kurden in Nordirak. Nach dem 1. Golfkrieg setzte Irak im März 1988 Giftgas gegen die irakischen Kurden ein (Stadt Halabja; über 5 000 Opfer); 500 000 Kurden flüchteten in die Türkei und nach Iran. Nach der blutigen Niederschlagung eines weiteren Kurdenaufstandes in Nordirak (März 1991; Zentrum: Kirkuk) im Anschluss an den 2. Golfkrieg flohen etwa 1,5–2 Mio. Kurden nach Iran sowie ins Grenzgebiet zur Türkei. Um die kurdischen Flüchtlinge vor irakischer Verfolgung zu schützen, richteten amerikanische, britische und französische Truppen im April 1991 in Nordirak (nördlich des 36. Breitengrads) eine Sicherheitszone ein. In deren Schutz entstand – ohne Zustimmung Iraks – ein faktisch autonomes Gebiet, in dem am 19. 5. 1992 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen durchgeführt wurden; dabei erhielten die Demokratische Partei Kurdistans (Abkürzung DPK) und die Patriotische Union Kurdistans (Abkürzung PUK) von 105 Sitzen je 50. Am 5. 10. 1992 beschloss das kurdische Parlament in Erbil die Bildung eines kurdischen Teilstaates innerhalb Iraks. 1994–97 kam es immer wieder zu schweren Kämpfen zwischen DPK und PUK um die Führung der kurdischen Autonomiebewegung.

In der Türkei begann die PKK in Südostanatolien ab 1984 den bewaffneten Guerillakampf für einen eigenen kurdischen Staat (seit 1993/94 offiziell für Autonomie innerhalb der Türkei); viele kurdische Exilorganisationen orientierten sich fortan an der PKK. Seit 1991 gesteht die türkische Regierung den Kurden auf ihrem Staatsgebiet größere Rechte zu (v. a. Anerkennung als ethnische Minderheit). Gleichzeitig verschärften sich, besonders ab 1992/93, die Auseinandersetzungen zwischen PKK-Kämpfern und der türkischen Armee (u. a. Großoffensive in der Südosttürkei, Juli 1993, Angriffe in die PKK-Rückzugsgebiete v. a. in Nordirak); zahlreiche kurdische Dörfer in Südostanatolien (1987 Ausnahmezustand) wurden zerstört, massenhaft flohen Kurden. Mit blutiger Härte geführt von Generalsekretär A. Öcalan, richtete sich der PKK-Terror (neben Armee und touristischen Zentren in der Türkei; etwa 37 000 Todesopfer) zunehmend auch gegen türkische Einrichtungen in europäischen Städten, darunter in Deutschland, wo zwischen 350 000 und 550 000 Kurden leben.

Eine vorübergehende Wende im türkisch-kurdischen Konflikt bewirkten Verhaftung und Hochverratsprozess gegen Öcalan (1999; 2002 Todesurteil in lebenslange Haftstrafe umgewandelt). In der Folge begann die Umwandlung der PKK in eine politische Partei, während ein radikaler Flügel den bewaffneten Kampf fortsetzte. Gegen diese im Grenzgebiet zum Irak operierenden etwa 3000 Guerilleros ging die Türkei im Dezember 2007 militärisch vor.

2002 wurde im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union in der Türkei die kurdische Sprache wieder zugelassen sowie eine angemessene Berücksichtigung der Kurden in den Bereichen Bildung und Medien beschlossen, Friedensverhandlungen lehnte die türkische Regierung jedoch ab.

Nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen im März 2003 in Irak und dem Sturz des Präsidenten S. Husain erlangten die kurdischen Provinzen Autonomie (endgültig mit der am 15. 10. 2005 per Referendum gebilligten irakischen Verfassung) und stellen seit 2005 mit J. Talabani den Präsidenten des Landes. In der irakischen Verfassung vom 15. Oktober 2005 wurde die föderale Region Kurdistan-Irak anerkannt (Provinz Dahuk, den Großteil der Provinz Sulaimaniya, etwa die halbe Provinz Arbil und kleine Teile der Provinzen Ninawa und Diyala). Massud Barzani wurde am 13. 6. 2005 vom kurdischen Parlament zum Präsidenten der föderalen Region Kurdistan-Irak gewählt.

Mit der Hoffnung auf internationale Unterstützung werden Autonomierechte im gesamten Siedlungsgebiet angestrebt; Syrien, Iran und v. a. die Türkei beharren auf Abwehr aller Bestrebungen zur Errichtung eines unabhängigen Kurdenstaates.

Sekundärliteratur: C. Kartal: Der Rechtsstatus der Kurden im Osmanischen Reich u. in der modernen Türkei (2002); G. Deschner: Die Kurden. Volk ohne Staat. Geschichte ohne Hoffnung (2003); M. Strohmeier u. L. Yalçin-Heckmann: Die Kurden. Geschichte, Politik, Kultur (22003); Die Kurden. Studien zu ihrer Sprache, Geschichte u. Kultur, hg. v. S. Conermann u. G. Haig (2004); A. Salih: Freies Kurdistan – die selbstverwaltete Region Kurdistans. Hintergründe, Entwicklungen u. Perspektiven (2005).

Weiterführende Artikel aus dem Archiv der Wochenzeitung DIE ZEIT

© DIE ZEIT