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Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden plus CD-ROM
ISBN 978-3-411-10060-6
149,00 € [D]

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Libyen

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Libyen,

Fläche 1 759 540 km2
Einwohner (2005) 5,98 Mio.
Hauptstadt Tripolis
Verwaltungsgliederung 13 Regionen
Amtsprache Arabisch
Nationalfeiertag 1. 9.
Währung 1 Libyscher Dinar (LD.) = 1 000 Dirham
Zeitzone MEZ + 1 Stunde

amtlich arabisch Al-Djumhurijja al-Arabijja al-Libijja ash-Shabijja al-Ishtirakijja, deutsch Sozialistische Libysch-Arabische Volksrepublik, Staat in Nordafrika, grenzt im Norden an das Mittelmeer, im Osten an Ägypten, im Südosten an die Republik Sudan, im Süden an Tschad und Niger, im Westen an Algerien und Tunesien.

Inhaltsverzeichnis

S T A A T · R E C H T

Nach der Verfassung von 1977 ist Libyen eine islamische, sozialistische Volksrepublik. Die von der Verfassung proklamierte Volksdemokratie basiert auf Volkskongressen und -komitees, Gewerkschaften und Berufsverbänden. Oberstes Organ der Legislative ist der Allgemeine Volkskongress (AKV; 2 700 Mitglieder), der von einem Generalsekretariat geleitet wird. Der Generalsekretär des Allgemeinen Volkskongresses ist de jure Staatsoberhaupt, de facto übt der vom AVK gewählte Revolutionsführer, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, dieses Amt aus. Als Exekutive fungiert das Allgemeine Volkskomitee unter Leitung des Generalsekretärs. Parteien sind nicht zugelassen.

L A N D E S N A T U R · B E V Ö L K E R U N G

Landesnatur:

Libyen erstreckt sich von der rund 2 000 km langen Mittelmeerküste beiderseits der Großen Syrte südwärts bis weit in die Sahara. Auf den Küstenstreifen folgt im Nordwesten der Steilanstieg zu einem bis 968 m hohen Bergland. Südlich davon liegt ein Schichtstufen- und Plateauhochland, das in eine Hammada überleitet; weiter südlich der durch eine Steilstufe von ihr abgetrennte Fessan und die im Südwesten liegenden Ausläufer des Tassili. Auf den Golf der Großen Syrte folgt eine stark gegliederte unfruchtbare, erdölreiche Schichtstufen- und Plateaulandschaft. Im Osten, in der Cyrenaika, folgt auf einen Küstenstreifen ein bis 876 m hoher Gebirgszug. Er geht nach Süden in die Libysche Wüste über. In den Ausläufern des Tibesti im Süden werden 2 285 m über dem Meeresspiegel erreicht. 90 % des Landes sind Wüste. Der Küstenstreifen hat mediterranes Klima mit Winterregen, das Landesinnere Wüstenklima mit zum Teil völlig ausbleibenden Niederschlägen und extremen Temperaturen.

Bevölkerung:

Libyer arabischer Herkunft und arabisierte Berber bilden mit 97 % den Hauptteil der Bevölkerung, die zu 95 % in der Küstenzone lebt; hinzu kommen verschiedene Minderheiten. Die in Stammesgesellschaften lebenden Berber bewohnen den Norden (u. a. Djebel Nefusa), ferner einige Oasengebiete. Im Fessan nomadisieren Tuareg und Tubu; ferner leben dort schwarzafrikanische Gruppen. In der Erdöl- und Erdgaswirtschaft arbeiten zahlreiche Gastarbeiter, v. a. aus arabischen Nachbarstaaten. Libyen ist in hohem Maße verstädtert (Anteil der städtischen Bevölkerung: 87 %), größte Städte neben der Hauptstadt Tripolis sind Bengasi, Homs und Misurata. – Rund 97 % der Bevölkerung bekennen sich zum Islam. Die Araber und arabisierten Berber sind sunnitische Muslime der malikitischen Rechtsschule; die in ihren traditionellen Stammesgesellschaften lebenden Berber gehören mehrheitlich der islamischen Gemeinschaft der Ibaditen (Charidjiten) an. – Es besteht allgemeine Schulpflicht im Alter von 6 bis 15 Jahren. Die Alphabetisierungsrate wird auf (2004) 82 % (alle über 15 Jahre) beziehungsweise 97 % (15- bis 24-Jährige) geschätzt. Im Hochschulbereich gibt es drei große Universitäten, größte ist die Al-Fateh-Universität (1973 hervorgegangen aus bestehenden Fakultäten der 1957 gegründeten Universität von Libyen) in Tripolis, sowie mehrere kleinere Privatuniversitäten, berufliche Fachschulen und Lehrerbildungsinstitute.

W I R T S C H A F T · V E R K E H R

Wichtigster Wirtschaftsfaktor ist die Erdölwirtschaft; die großen Ölvorkommen im Syrtebecken, 1958 entdeckt, werden seit 1961 gefördert. Das OPEC-Mitglied zählt neben Nigeria und Algerien zu den größten Erdölproduzenten Afrikas. Erdöl und Erdgas haben einen Anteil von rd. 95 % an den Exporterlösen. Außerdem werden Eisenerz, Kali-, Steinsalz, Kalk, Gips, Phosphat und Schwefel gewonnen. Die wichtigsten Industriezweige sind Erdölraffinerien und Erdgasverflüssigungsanlagen; Metallerzeugung und -verarbeitung, Nahrungsmittel-, Textil- und Baustoffindustrie. Zentren der petrolchemischen Industrie sind Marsa el-Brega, Ras Lanuf und Abu Kammash. Die landwirtschaftliche Nutzfläche (etwa 9 % der Landesfläche) in den Küstenregionen Tripolitanien und Cyrenaika sowie den Oasen hat sich durch ehrgeizige Erschließungsprojekte seit 1970 verdreifacht. Hauptanbauprodukte sind Weizen, Gerste, Gemüse (Tomaten), Kartoffeln, Orangen, Oliven, Mandeln, Datteln und Weintrauben. Große Anstrengungen zur Ausdehnung des Kulturlandes wurden besonders in den Oasen der Sahara unternommen. Mit dem Projekt »Großer künstlicher Fluss« (Baubeginn 1984, drei der insgesamt fünf Bauphasen bereits abgeschlossen; Fertigstellung für 2010 geplant) soll fossiles Wasser aus dem Südosten über eine 3 000 km lange Rohrleitung nach Adjedabia geleitet und von dort in der Küstenregion verteilt werden. Trotzdem ist Libyen nach wie vor auf umfangreiche Nahrungsmittelimporte aus Europa angewiesen. Viehhaltung wird besonders von Nomaden betrieben (Schafe, Ziegen, Kamele, Pferde), in staatlichen Betrieben v. a. Rinder- und Geflügelzucht. Der Tourismus ist wenig entwickelt; attraktiv sind v. a. die antiken Stätten und die Mittelmeerstrände. – Haupthandelspartner sind Italien, Deutschland und Spanien.

Der 1965 offiziell eingestellte Eisenbahnverkehr in Libyen soll wieder aufgenommen werden (geplante Gesamtlänge: 3 170 km). Das Straßennetz umfasst 25 000 km, besonders gut ausgebaut entlang der Küste. Libyen hat die drittgrößte Handelsflotte in Afrika. Haupthäfen sind Tripolis, Tobruk, Bengasi, Misurata und die Erdölhäfen an der Großen Syrte. Internationale Flughäfen gibt es in Tripolis, Bengasi, Sebha und in Ben Gashir (34 km von Tripolis entfernt).

G E S C H I C H T E

Im griechischen Altertum war Libyen der Name für Nordafrika westlich von Ägypten. Während im Osten das griechische Kyrene entstand (Cyrenaika), gehörte der westliche Küstenstrich (Tripolis) zum karthagischen Machtgebiet. 46 v. Chr. kam Tripolis zum Römischen, später zum Byzantinischen Reich. Die Araber eroberten um 650 n. Chr. das ganze Land, das im 16. Jahrhundert unter osmanische Oberhoheit geriet. Tripolis bildete bis 1835 ein von der Beidynastie Karamanli regiertes, fast autonomes Staatswesen, bis ab 1835 der Sultan seine Herrschaft wieder durchsetzte. Neben den osmanischen Statthaltern regierten in Libyen seit 1843 die Senussi.

Im italienisch-türkischen Krieg (1911/12) kamen die beiden türkischen Provinzen Tripolitanien und Cyrenaika an Italien und wurden 1934 mit Fessan zur Kolonie Libyen (Libia) vereinigt. 1940–43 war das Land Kriegsschauplatz. 1947 verzichtete Italien auf Libyen. Am 24. 12. 1951 wurde Libyen unabhängiges föderatives Königreich unter König Idris as-Senussi, der 1963 die Gebiete Cyrenaika, Tripolitanien und Fessan zum vereinigten Königreich Libyen zusammenfasste.

Nach einem Militärputsch am 1. 9. 1969 unter Führung von Oberst M. al-Gaddhafi wurde die Arabische Republik Libyen ausgerufen. Als »Führer der Revolution« bestimmte Gaddhafi fortan die Politik des Landes, die sich an einem panarabischen Nationalismus orientierte (Fusionspläne mit mehreren arabischen Staaten scheiterten jedoch). 1970/71 wurden fast alle Italiener ausgewiesen, ausländische Erdölgesellschaften, Banken und Versicherungen verstaatlicht; eine allmähliche Privatisierung der Wirtschaft begann schließlich 1992. Unter Verkündung einer »Kulturrevolution« (»dritte Universaltheorie« zwischen Kapitalismus und Kommunismus) erklärte Gaddhafi 1973 den Islam zur Grundlage des politischen Lebens. Mit der Verfassung von 1977 sollte eine sozialistische Volksrepublik auf der Basis des von ihm verfassten »Grünen Buches«, eine Handlungsanleitung für die dritte Universaltheorie, verwirklicht werden.

Außenpolitisch knüpfte Libyen ab etwa 1974 intensive Beziehungen zur UdSSR. Im Nahostkonflikt ist Libyen einer der schärfsten Kritiker Israels. Ein Grenzkonflikt (1976) sowie v. a. die Aussöhnungspolitik des ägyptischen Präsidenten A. as-Sadat gegenüber Israel (seit 1977) führten zu einem mehrjährigen Bruch mit Ägypten. 1980 griffen libysche Truppen in den Bürgerkrieg in Tschad ein. Nachdem Libyen seine Herrschaft über den Nordteil des Landes gesichert hatte, zog es sich 1987 zurück (Friedensvertrag 1989), nach einer Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag (1994) auch aus dem zu Tschad gehörenden Aouzou-Grenzstreifen. Im 1. Golfkrieg unterstützte Libyen den Iran, im 2. Golfkrieg den Irak.

Das Verhältnis zu den westlichen Staaten war lange Zeit durch die libysche Unterstützung terroristischer Organisationen gespannt. Terroranschläge vergalten die USA 1986 mit einem Luftangriff auf Bengasi und Tripolis. Nachdem Libyen 1999 die beiden mutmaßlichen Flugzeugattentäter von Lockerbie einem Gerichtshof überstellt hatte (Lockerbie-Attentat), wurden die in diesem Zusammenhang vom UN-Sicherheitsrat 1992 verhängten Sanktionen ausgesetzt und 2003 endgültig aufgehoben, da sich Libyen für dieses Attentat schuldig bekannt und Entschädigungen für die Angehörigen der Opfer dieses Anschlags sowie eines Bombenanschlags auf ein französisches Verkehrsflugzeug 1989 (170 Tote) gezahlt hatte. Mit den 2004 vereinbarten Entschädigungszahlungen an die 163 deutschen Opfer des von Libyen initiierten Anschlages auf die Westberliner Diskothek »La Belle« 1986 (insgesamt rund 230 Verletzte, drei Tote) normalisierten sich auch allmählich die Beziehungen zwischen Libyen und Deutschland.

Seit Beginn der 1990er-Jahre bemüht sich Libyen zum Teil erfolgreich, seine internationale politische Isolierung zu überwinden, sich als Vermittler v. a. in afrikanischen Krisen- und Kriegsregionen zu engagieren sowie seine Position in der hauptsächlich von Gaddhafi initiierten Afrikanischen Union zu stärken.

Ende 2003 kündigte Libyen die Zerstörung seiner Massenvernichtungsmittel sowie den Verzicht auf die Entwicklung derartiger Waffen an. Den Abrüstungsprozess, der 2004 abgeschlossen wurde, überwachten internationale Inspektoren. Außerdem gestattete Libyen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), die Einhaltung des Kernwaffensperrvertrages zu kontrollieren. Daraufhin hoben die USA 2004 die seit 1986 verhängten Sanktionen gegenüber Libyen zum großen Teil auf und erneuerten die seit 1980 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen. Auch die Europäische Union beendete 2004 ihre seit 1986 bestehende Embargopolitik.

Sekundärliteratur: I. Schnurbusch: Libyen im Fadenkreuz (1994); Libyen im 20. Jahrhundert, hg. v. S. Frank u. M. Kamp (1995); Das antike Libyen, bearbeitet v. R. Polidori u. a. (aus dem Französischen u. Italienischen, 1999); H. Strunz u. M. Dorsch: Libyen. Zurück auf der Weltbühne (2000); H. Mattes: Bilanz der libyschen Revolution (2001); G. Göttler: Libyen (62004).

Weiterführende Artikel aus dem Archiv der Wochenzeitung DIE ZEIT

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