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Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden plus CD-ROM
ISBN 978-3-411-10060-6
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Nahostkonflikt

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Nahostkonflikt

Nahostkonflikt, im Nahen Osten der Konflikt zwischen dem Staat Israel und arabischen Staaten sowie der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und anderen Gruppierungen in der Region (v. a. Hamas, Islamischer Djihad, Hisbollah), der sich im Kern als Konflikt um die Existenz(rechte) eines jüdischen Staates Israel und eines arabischen Staates Palästina auf dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet zwischen Mittelmeer und Jordan unter Ausschluss der jeweils anderen Volksgruppe erweist, verbunden mit regionalen und weltpolitischen Interessenverflechtungen; entstand mit dem Rückzug Großbritanniens aus Palästina (15. 5. 1948) und der Proklamation des Staates Israel (14. 5. 1948). Mit unterschiedlicher Intensität sind alle arabischen Staaten im Nahostkonflikt engagiert.

Geschichte: 1880er-Jahre bis 1948: Erste blutige Konflikte zwischen arabischen Palästinensern und der jüdischen Bevölkerung entstanden mit der im Zeichen des Zionismus zunehmenden Einwanderung von zunächst v. a. russischen Juden in das zum Osmanischen Reich gehörende Palästina seit den 1880er-Jahren und der gleichzeitigen Zunahme der ansässigen arabisch-palästinensischen Bevölkerung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges; Bevölkerungszunahme und blutige Auseinandersetzungen hielten auch nach der Bildung des britischen Mandatsgebietes Palästina nach dem Sykes-Picot-Abkommen vom 16. 5. 1916 an (Höhepunkt »arabischer Aufstand« 1936–39). Am 29. 11. 1947 beschlossen die UN die Teilung des Mandatsgebietes in einen jüdischen und einen palästinensisch-arabischen Staat. Wegen ihrer Ablehnung dieses Teilungsplanes wollten die Palästinenser die 1948 erfolgte Gründung des Staates Israel nicht hinnehmen.

Palästinakrieg bis Sechstagekrieg: Im Palästinakrieg (1. Israelisch-Arabischer Krieg, 15. 5. 1948–15. 1. 1949; aus israelischer Sicht Unabhängigkeitskrieg) setzten sich die israelischen Streitkräfte gegen die arabischen Armeen aus Ägypten, Transjordanien, Irak, Syrien und Libanon durch und behaupteten etwa 77 % des früheren Mandatsgebietes als ihr Staatsgebiet, das damit über das im Teilungsplan von 1947 den Juden zugedachte Gebiet hinausging. Ostpalästina (einschließlich Ostjerusalem) wurde von Transjordanien annektiert, der Gazastreifen kam unter ägyptische Verwaltung. Die palästinensischen Araber wurden aus dem israelischen Staatsgebiet vertrieben oder flohen. Ihre Situation in den Palästinenserlagern in den arabischen Aufnahmeländern (besonders Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien) wurde dort zunehmend zu einem politischen und sozialen Problem. Der israelisch-arabische Konflikt verschärfte sich in den 1950er-Jahren ständig. In Verhandlungen mit Israel setzten die UN, gestützt von den USA und der UdSSR, nach dem Sinaifeldzug (2. Israelisch-Arabischer Krieg, 29. 10.–8. 11. 1956) den Rückzug der israelischen Truppen aus den eroberten Gebieten und die Stationierung einer UN-Friedenstruppe am Golf von Akaba durch (1956/57). – Die arabischen Staaten unter Führung Ägyptens verschärften ihren Kampf gegen die staatliche Existenz Israels. Die UdSSR, um den Aufbau einer politischen Einflusssphäre im Nahen Osten bemüht, unterstützte besonders Ägypten und Syrien mit Waffen; die USA suchten mit gleichen Mitteln die Sicherheit Israels zu fördern. Schon bei Beginn des Nahostkonflikts hatten sich palästinensische Guerillaorganisationen (Fedajin) gebildet, die sich 1964 unter dem Patronat der arabischen Staaten in der PLO zusammenschlossen. Seitdem betrachtet sich die PLO als einzige legitime Vertreterin der Palästinenser. – Im Mai 1967 erzwang der ägyptische Präsident G. Abd el-Nasser den Abzug der UN-Friedenstruppe. Im Sechstagekrieg (3. Israelisch-Arabischer Krieg, 5.–10. 6. 1967) konnte Israel den Gazastreifen, die Halbinsel Sinai (bis zum Sueskanal), Westjordanien (einschließlich der Altstadt von Jerusalem) und Teile Syriens (Golanhöhen) besetzen.

Jom-Kippur-Krieg bis »erste« Intifada: Nach 1967 verschärfte sich der Nahostkonflikt. Palästinensische Guerillaorganisationen (u. a. Al-Fatah) weiteten ihre Aktionen gegen Israel auch auf dessen Einrichtungen im Ausland aus. Mit dem Angriff Ägyptens und Syriens auf Israel erfuhr der Nahostkonflikt eine neue militärische Zuspitzung (Jom-Kippur-Krieg oder 4. Israelisch-Arabischer Krieg, 6.–22./25. 10. 1973). Er weckte jedoch auch die Bereitschaft, den Konflikt zu lösen. Der amerikanische Außenminister H. A. Kissinger regte den Zusammentritt (1973) einer Genfer Nahostkonferenz an und vermittelte Truppenentflechtungsabkommen (1974) zwischen Israel und Syrien. Dennoch kam es im November 1975 zur Verurteilung des Zionismus durch die UN (Dezember 1991 zurückgenommen). 1977 bemühte sich der ägyptische Präsident A. As-Sadat mit einer Reise zu M. Begin nach Jerusalem um einen Durchbruch zu Friedensverhandlungen. Unter Vermittlung des amerikanischen Präsidenten J. Carter verständigten sich beide auf der Konferenz vom Camp David (September 1978) über Rahmenbedingungen einer Lösung des Nahostkonflikts und eines ägyptisch-israelischen Friedensvertrages (am 26. 3. 1979 unterzeichnet; Verzicht Israels auf Sinai zugunsten Ägyptens). Die Erklärung ganz Jerusalems zur Hauptstadt Israels (1980), die Annexion von Teilen der Golanhöhen und die Besiedlung der Westbank (Westjordanland) durch Israel (seit 1977) stießen auf den wachsenden Widerspruch der arabischen Staaten und auf Kritik in der Weltöffentlichkeit. Mit dem Einmarsch seiner Truppen in den Libanon (Libanonfeldzug oder 5. Israelisch-Arabischer Krieg, Juni 1982) suchte Israel v. a. seine durch starke Guerillatätigkeit gefährdete Nordgrenze zu sichern. 1985 zog Israel seine Truppen aus Libanon zurück (bis auf eine Sicherheitszone im Süden; Mai 2000 geräumt). Am 9. 12. 1987 brach im Gazastreifen und im Westjordanland ein Aufstand (v. a. jugendlicher) palästinensischer Araber (Intifada) aus. Am 15. 11. 1988 rief die PLO in Algier (Algerien) einen unabhängigen – international nicht anerkannten – Palästinenserstaat in den von Israel besetzten Gebieten aus (Präsident: J. Arafat), nachdem Jordanien im Juli 1988 zugunsten der PLO auf das Westjordanland verzichtet hatte.

Nachbarländer: Der Nahostkonflikt wurde von innerarabischen Konflikten überlagert. In Jordanien (1967–70) und in Libanon (1967–82) entwickelte sich die PLO zu einem Staat im Staate. Jordanien, dessen Herrscherhaus der palästinensischen Bevölkerung 1921 von der britischen Kolonialmacht aufgezwungen worden war, wurde zudem von den Palästinensern als Teil des Palästinenserstaates betrachtet; König Husain II. bemühte sich in Abwägung seiner dynastischen Interessen und des Willens der mehrheitlich palästinensischen Bevölkerung um vermittelnde diplomatische Aktionen, z. B. beim Abschluss des israelisch-ägyptischen Separatfriedens von 1979 sowie im Konflikt am Persischen Golf 1990/91. Syrien versuchte im Konflikt mit Israel seine nationale Interessenpolitik im Libanon durchzusetzen; Irak wollte mit seiner Palästinapolitik – neben Ägypten und Syrien – seine Ansprüche als regionale Führungsmacht verwirklichen, deutlich z. B. ab August 1990 durch Verknüpfung des Golfkonflikts mit dem Nahostkonflikt (besonders nach Ausbruch des 2. Golfkriegs).

»Osloer« Friedensprozess und »zweite« Intifada: Nach dem 2. Golfkrieg (1991) und der Schwächung der PLO verstärkten sich die v. a. von den USA und der UdSSR/Russland seit 1989 forcierten Bemühungen um eine Regelung des Nahostkonflikts; im Oktober 1991 kam es mit der (Madrider) Nahostfriedenskonferenz erstmals zu direkten Gesprächen zwischen Israel und arabischen Staaten sowie Vertretern der Palästinenser/PLO. Kernproblem des damit eingeleiteten Friedensprozesses blieb der Ausgleich zwischen Israel und Palästinensern/PLO. Israel strebte dabei vorrangig eine Vereinbarung über den Status der besetzten Gebiete (Gazastreifen, Westjordanland) an. Weiteres Ziel der Regierung Rabin (ab Juli 1992) war eine umfassende Friedensregelung v. a. mit Syrien und Jordanien.

Unter dem Leitgedanken »Land gegen Frieden« schuf die Regierung Rabin die Grundlage für ein besseres israelisch-arabisches Gesprächsklima, besonders zwischen ihr und der PLO. In Geheimverhandlungen in Oslo vereinbarten beide unter norwegischer Vermittlung die gegenseitige Anerkennung und ein Rahmenabkommen über die Teilautonomie der palästinensischen Araber im Gazastreifen und im Gebiet von Jericho (»Gaza-Jericho-Abkommen« vom 13. 9. 1993; Beginn des sogenannten Osloer Friedensprozesses). In weiteren Abkommen (vom 4. 5. 1994 und vom 28. 9. 1995) legten Israel und die PLO den (als vorläufig aufgefassten) territorialen Umfang und den stufenweisen Rückzug der israelischen Streitkräfte bis 1999 aus diesen Gebieten fest. Im Januar 1996 fanden in den vereinbarten Autonomiegebieten Wahlen statt; Arafat wurde zum Präsidenten der Autonomiebehörde gewählt. Am 17. 10. 1994 schloss Jordanien mit Israel einen Friedensvertrag.

Die palästinensisch-israelischen Ausgleichsbemühungen wurden ständig begleitet von Versuchen extremistischer Palästinenser (v. a. Hamas, Djihad Islami) und radikaler Israelis (v. a. aus der Siedlerbewegung), den Friedensprozess zu torpedieren. Während der israelische Ministerpräsident S. Peres nach der Ermordung Rabins (November 1995) die mit der PLO geschlossenen Vereinbarungen Zug um Zug realisieren wollte, suchte sein Nachfolger B. Netanjahu (1996–99) diese zu modifizieren. Israelische Bauprojekte im von Palästinensern bewohnten Teil Jerusalems sowie palästinensische Selbstmordattentate führten den Friedensprozess auf einen Tiefpunkt, der erst Ende 1998 durch das Wye-Abkommen überwunden werden konnte, ergänzt Anfang September 1999 durch ein Umsetzungsabkommen (»Wye II«). Nach Auslaufen der Interimsverträge (4. 5. 1999) wurden Verhandlungen über den Endstatus der palästinensischen Autonomiegebiete überfällig, aber erst im September 1999 unter dem israelischen Ministerpräsidenten E. Barak, im Amt Mai 1999 bis Februar/März 2001, aufgenommen. Dieser strebte seit Ende 1999 auch wieder verstärkt den Ausgleich mit Libanon (Rückzug im Mai 2000) und Syrien (Golanhöhen) an. Am 7. 7. 1998 hatte die UN-Vollversammlung den offiziell noch nicht existierenden Staat Palästina als nicht stimmberechtigtes Mitglied aufgenommen. Die schon für Anfang Mai 1999 geplante Proklamierung eines palästinensischen Staates wurde von der PLO vorerst bis September 2000 ausgesetzt (verbindlich durch »Wye II«) und auch dann nicht realisiert. Im Juli 2000 scheiterten die auf dem Nahostgipfel in Camp David unter Vermittlung von B. Clinton erstmals aufgenommenen Gespräche um eine umfassende Lösung des Nahostkonflikts (v. a. Absicherung einer palästinensischen Staatlichkeit, einschließlich der Grenzfestlegung), ebenso eine letzte Verhandlungsrunde zu einem neuen Rahmenabkommen im Januar 2001 in Taba nach dem »Clinton-Plan« von Ende 2000. Als Schlüsselproblem des Nahostkonflikts erwies sich erneut die Frage des Status von Jerusalem (Anspruch beider Seiten auf Jerusalem als Hauptstadt); aber auch die Frage des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge sowie der Zukunft der 140 000 bis 200 000 israelischen Siedler im Gazastreifen und im Westjordanland blieben strittig. Dem Ausbruch einer neuen Gewaltwelle (»zweite« Intifada) folgte die Wahl A. Scharons zum israelischen Ministerpräsidenten, im Amt ab März 2001.

Das Fehlschlagen der »Osloer« Vereinbarungen: Seitdem verschärfte sich der Konflikt weiter. Scharons aus sieben Parteien bestehende Regierung der »nationalen Eintracht« erklärte, nur noch Übergangslösungen, aber nicht mehr ein Abkommen über den Endstatus der Autonomiegebiete mit den Palästinensern verhandeln zu wollen; dabei wurde die Sicherheit Israels als vorrangig betrachtet (neues Konzept des Übergangs zur Politik der einseitigen Trennung von den Palästinensern). Ende März 2001 begann Israel wegen der nicht abbrechenden Gewaltanwendung seitens radikaler Palästinenser mit präzisen Angriffen gegen Einrichtungen der palästinensischen Autonomiebehörde (v. a. Polizeistationen) sowie wenige Tage später mit »präventiven Liquidierungen« von mutmaßlichen palästinensischen Terroristen (Höhepunkt: März 2004 gezielte Tötung von Hamas-Gründer Scheich Ahmed Yassin). In den folgenden Jahren wurde so aus der 2. Intifada ein asymmetrischer Kleinkrieg: Während radikale Palästinensergruppen, insbesondere die Al-Aksa-Brigaden, Hamas und Djihad Islami (Islamischer Djihad), vorwiegend durch Selbstmordattentate im israelischen Kernland zahlreiche Opfer forderten, aber auch mit Kassem-Raketen jüdische Siedlungen und israelische Städte angriffen, antwortete Israel u. a. mit Militäraktionen sowie wiederholten, manchmal monatelangen Besetzungen fast aller großen Städte in den Autonomiegebieten. So führte der Aufstand zu einer neuerlichen antiisraelischen Feindschaft im arabischen Lager.

Am 5. 5. 2001 legte eine auf dem Gipfeltreffen in Scharm-esch-Scheich im Oktober 2000 vereinbarte Kommission unter Leitung des ehemaligen US-Senators G. Mitchell den »Mitchell-Bericht« über die Ursachen der palästinensischen Unruhen vor, der eine Internationalisierung der Intifada vermied, aber die außerordentliche Gewaltanwendung beider Seiten als Grund für die schleichende Eskalation des Konflikts kritisierte. Der Bericht enthält als Empfehlungen einen Dreistufenplan zur Beendigung des Nahostkonflikts (Waffenruhe, Periode vertrauensbildender Maßnahmen, Beginn politischer Verhandlungen). Trotz prinzipieller Zustimmung beider Seiten konnte dieser Plan nicht umgesetzt werden, weil die israelische Regierung erst nach einer mindestens sieben Tage andauernden Waffenruhe zu vertrauensbildenden Maßnahmen bereit war. Damit machte Scharon jeglichen Fortschritt von jenen Palästinensern abhängig, die keinen Frieden wollen. Doch obwohl einige dieser Kräfte (z. B. Djihad Islami oder Hamas) in Opposition zu Arafat standen, beschuldigte Scharon diesen, für die negative Entwicklung verantwortlich zu sein. Er erklärte ihn am 13. 12. 2001 sogar für »nicht mehr relevant« und verhängte über ihn einen Hausarrest, bis Arafat wenige Tage vor seinem Tod am 11. 11. 2004 nach Paris ausfliegen durfte. Scharons negative Fixierung auf Arafat führte zu einer Solidarisierung der Palästinenser mit ihrem Präsidenten.

Am 25. 2. 2002 veröffentlichte der saudische Kronprinz Abdallah einen Friedensplan, dem zufolge Israel sich hinter die Grenzen von 1967 zurückziehen und im Gegenzug von den arabischen Ländern diplomatisch anerkannt werden und Sicherheitsgarantien erhalten sollte. Der Abdallah-Plan wurde im März 2002 von der Arabischen Liga angenommen, scheiterte aber letztlich an Scharon – ebenso wie die »historische« Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 13. 3. zur Zwei-Staaten-Vision in Palästina. US-Außenminister Powell präsentierte am 10./11. 5. 2003 der israelischen und der palästinensischen Regierung eine schon im Herbst 2002 vom »Nahost-Quartett« erarbeitete »Roadmap«, in der Umrisse des Weges für die Staatsgründung Palästinas in drei Stufen (ursprünglich geplant bis 2005, jedoch nicht realisiert) beschrieben sind, und forderte beide Seiten auf, diese als Handlungsrichtlinie anzuerkennen. Erst nachdem US-Präsident G. W. Bush wenige Tage später den Druck auf Scharon erhöhte, ihm aber gleichzeitig auch eine Garantie für das Existenzrecht Israels zusicherte, konnte der israelische Ministerpräsident am 25. 5. im Kabinett eine Annahme der »Roadmap« durchsetzen.

Nach dem Irakkrieg (März/April 2003) kam gewisse Hoffnung auf einen friedenspolitischen Neuanfang auf: Bestärkt durch ihren militärischen Erfolg, später mehr angesichts der schweren Rückschläge bei den Versuchen, im Nachkriegsirak eine Friedensordnung zu schaffen, versuchten die USA, nun endlich den Weg in die Zweistaatlichkeit im ehemaligen Mandatsgebiet Palästina zu ebnen (Dreiergipfel von Bush, Abbas und Scharon am 4. 6. 2003 in Akaba). Doch der von den palästinensischen Extremisten am 29. 6. 2003 für drei Monate erklärte Waffenstillstand wurde wegen nur geringer Erfolge in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen schon nach sechs Wochen gebrochen, und Israel begann erneut mit der präventiven Tötung mutmaßlicher Terroristen. Anfang September 2003 erklärte Arafat die »Roadmap« sogar für gescheitert. Es zeigte sich erneut, wie schwer es ist, das Grunddefizit an Vertrauen zwischen den Konfliktparteien und den Grunddissens über die Kernfragen zu überwinden.

Im Herbst 2003 legten gemäßigte israelische und palästinensische Politiker in Genf ein Friedensabkommen vor, das detailliert aufzeigt, wie eine zweistaatliche Zukunft im Nahen Osten aussehen könnte. Obwohl diese »Genfer Initiative« international sehr viel Anerkennung fand, wurde sie von der israelischen Regierung abgelehnt.

Das Scheitern des »Osloer« Friedensprozesses ab 2001 lag zum einen an dem fehlenden Willen beider Seiten zu substanziellen Kompromissen in den Hauptstreitpunkten. Zum anderen ist der Nahostkonflikt (nicht erst seit Beginn der zweiten Intifada) durch eine besondere »Regelmäßigkeit« gekennzeichnet: Immer dann, wenn vonseiten einer der Konfliktparteien versucht wird, der anderen entgegenzukommen, oder auch von dritter Seite ein Kompromissvorschlag ins Gespräch gebracht wird, verüben diejenigen Kräfte, die sowohl in Israel als auch unter den Palästinensern jegliche Annäherung ablehnen, Anschläge, die dann zu neuer Eskalation führen.

Israels Politik der einseitigen Abtrennung der Autonomiegebiete: Scharon blieb bei seiner Grundeinstellung, mit der Autonomiebehörde keine Friedensverhandlungen nach dem alten Konzept »Land gegen Frieden« zu führen, sondern durch einseitige Maßnahmen die Sicherheit Israels zu vergrößern und den Palästinensern zu einem von ihm bestimmten Termin und auf einem von Israel festgelegten Territorium einen Staat zuzugestehen. Zu diesem Konzept gehörte seit Juni 2002 der Bau einer Befestigungsanlage (teils Zaun, teils acht Meter hohe Mauer und Graben) um das Westjordanland, die allerdings nicht auf der »grünen Linie« von 1967, sondern auf palästinensischem Territorium verläuft und somit einen Teil davon, insbesondere einige große, nahe dem Kernland liegende Siedlungsgebiete, Israel zuschlägt. Der zweite Schwerpunkt war die einseitige Räumung sämtlicher jüdischen Siedlungen im Gazastreifen und dessen vollständige Übergabe (sowie von 4 Siedlungen im Westjordanland) an die palästinensische Autonomiebehörde.

Die ab Spätsommer 2003 immer wieder eskalierende Gewalt demonstrierte das anhaltende Unvermögen beider Seiten, substanzielle Fortschritte im Lösen der immer wieder vertagten Kernprobleme ihres Konfliktes zu erreichen. Dennoch verstärkten sich nach Arafats Tod (11. 11. 2004) und der Wahl von M. Abbas zu seinem Nachfolger als palästinensischer Präsident (Januar 2005) neue Hoffnungen auf friedenspolitische Fortschritte. So verfolgte die neue israelische Regierungskoalition unter Beteiligung der Arbeitspartei von S. Peres das einseitig erklärte Ziel der vollständigen Räumung des Gazastreifens seit Januar 2005 weiter. Auf vereinzelte Brüche des im Februar 2005 vereinbarten Waffenstillstands durch die Palästinenser reagierte Israel zurückhaltend. Im Mai 2005 bekräftigte US-Präsident G. W. Bush beim Treffen mit Abbas abermals seine Unterstützung für die Bildung eines Staates Palästina.

Die Durchführung des Abzugs aus dem Gazastreifen und die Übergabe der geräumten Siedlungen an die Autonomiebehörde im August 2005 verliefen planmäßig (offizielle Übergabe: 12. 9. 2005). Allerdings setzte bald danach die Gewalt wieder ein, als aus dem Gazastreifen heraus Kassem-Raketen auf Israel geschossen wurden und Israel darauf mit Luftangriffen, gezielten Tötungen und der Schaffung einer »Sicherheitszone« am Nordrand des Gazastreifens reagierte.

Neuerliche Verhärtung des Konfliktes und Zweifrontenkrieg im Sommer 2006: Mit dem gesundheitsbedingten Ausscheiden Scharons aus der Politik (Anfang Januar 2006; Nachfolger: E. Olmert) und dem eindeutigen Sieg der Hamas bei den Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten am 25. 1. 2006 entstand eine neue, komplizierte Situation für die weitere Entwicklung im Nahostkonflikt. Sie wurde verschärft, als kurz nach den Wahlen zur Knesset (28. 3. 2006), aus denen zwar Kadima als stärkste Kraft, jedoch nur in einer Mehrparteienkoalition regierungsfähig hervorging, am 17. 4. ein Selbstmordanschlag des Djihad Islami in Tel Aviv von der neuen palästinensischen Hamas-Regierung unter Ministerpräsident I. Hanija (ab März 2006) als »Akt der Selbstverteidigung« gerechtfertigt wurde. Danach verweigerte Israel den Palästinensern vertraglich zustehende Zoll- und Steuereinnahmen. Auch die westlichen Staaten hatten vorübergend ihre finanzielle Unterstützung der Autonomieverwaltung eingestellt. Die »Kohabitation« führte zu einem Machtkampf zwischen Fatah und Hamas, der sich im Frühjahr 2006 weiter zuspitzte. Nachdem Hamas‐Aktivisten am 24. 7. mit der Entführung eines israelischen Soldaten in den Gazastreifen dort eine umfangreiche Militäroperation Israels gegen die Hamas provozierten (ab 27. 6.), stellten Abbas und Hanija ihren Machtkampf vorübergehend ein und einigten sich auf ein »Dokument der nationalen Versöhnung«, das u. a. vorsah, den künftigen Staat Palästina nur auf dem Territorium zu errichten, das im Juni 1967 von Israel erobert wurde. Mit der Entführung zweier israelischer Soldaten in den Libanon am 12. 7. 2006 durch ein Kommando der schiitischen Hisbollah-Miliz sollte die Hamas bei ihren Kämpfen gegen Israel durch den Aufbau einer zweiten Front unterstützt werden. Da der Norden Israels schon vorher von Katjuscha-Raketen der Hisbollah getroffen wurde und Libanon der UN-Forderung (Resolution 1559 von 2004) nach Entwaffnung der Hisbollah-Milizen bisher nicht nachgekommen war, reagierte Israel sofort mit Luft‐ und ab 27. 7./1. 8. auch mit Bodenoffensiven sowie einer Seeblockade. Dieser zweite Libanon- oder 34-Tage-Krieg forderte 1 360 Todesopfer (1 200 auf libanesischer sowie 160 auf israelischer Seite). Die neuerliche Verhärtung des Konfliktes im Sommer 2006 ließ zunächst Vermittler aus der Region aktiv werden, insbesondere Ägyptens Präsidenten Mubarak und Jordaniens König Abdullah II. In dem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah riefen zwar der G‐8-Gipfel in Sankt Petersburg am 17. 7. und UN-Generalsekretär K. Annan sowie zahlreiche andere Politiker zum Waffenstillstand auf. Jedoch tut sich der UN-Sicherheitsrat sehr schwer damit, eine Resolution zu verabschieden, die diesen Krieg verurteilt und das Mandat der im Südlibanon auf der Grundlage des Kapitels VI der UN-Charta tätigen, aber hilflosen UNIFIL-Blauhelmtruppe durch einen »robusten« Auftrag nach Kapitel VII ersetzt. Nach der Resolution 1701 des UN‐Sicherheitsrates vom 11. 8. 2006, die zur Einstellung der Kämpfe zum 14. 8. 2006 führte, wurden die UNIFIL‐Truppen von 2 000 auf 15 000 Mann aufgestockt. Am 13. 9. beschloss die deutsche Bundesregierung zur Unterstützung der Libanonmission der UN den ersten bewaffneten Einsatz deutscher Soldaten im Nahen Osten. Nach blutigem und sich bürgerkriegsähnlich verschärfendem Machtkampf zwischen Hamas‐ und Al‐Fatah‐Milizen 2006/07 sowie der völligen Übernahme der Herrschaftsgewalt durch die Hamas im Gazastreifen im Juni 2007 wurde die politische und die territoriale Spaltung der Palästinenser offenbar; in der Folge zeigte sich für die Regelungsbemühungen im Nahostkonflikt eine neue Ausgangslage. Beidseits neue Strategien erscheinen notwendig. Die USA und Israel verstärkten ihre Bemühungen zur Isolierung der radikalislamischen Hamas und zur Unterstützung der Fatah unter Abbas im Westjordanland.


Weiterhin offene Kernprobleme: Die im Sommer 2006 an zwei Fronten geführte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas beziehungsweise der Hisbollah hat die Hoffnung schwinden lassen, durch die Übergabe der Verwaltung des gesamten Gazastreifens an die Autonomiebehörde im September 2005 das Problem der palästinensischen Staatlichkeit – einschließlich der Grenzfestlegung – in absehbarer Zeit lösen zu können, zumal Israel über dem Gazastreifen weiterhin die Lufthoheit besitzt und auch das angrenzende Mittelmeer kontrolliert. Außerdem muss fast der gesamte Außenhandel des Gazastreifens über Israel abgewickelt werden. Die Frage der Rückgabe des Westjordanlandes und von Ostjerusalem ist weiterhin offen. Neben den insofern weiter offenen Territorialproblemen sind substanzielle Fortschritte auch bei den bisher immer wieder vertagten Kernproblemen des Nahostkonfliktes nötig: Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge, Zukunft der 200 000 israelischen Siedler im Westjordanland sowie der 150 000 jüdischen Bewohner Ostjerusalems, Klärung der Statusfrage Jerusalems.

Im Gefolge der von den USA unterstützten Nahostkonferenz von Annapolis (Ende 2007) kam es seitens Israels und des palästinensischen Präsidenten Abbas zu neuen Dialogbemühungen. Ziel ist ein Endstatusabkommen und damit die Implementierung der Zweistaatenlösung bis Ende 2008. Unter Leitung der israelischen Außenministerin Tsipi Livni und des früheren palästinensischen Ministerpräsidenten A. Qurei begannen so am 14. 1. 2008 mit Verzögerung erstmals seit 2000 wieder Verhandlungen über die offenen Kernfragen. Dabei geht es auch um konkrete Vereinbarungen zum Grenzverlauf, zur Sicherheit und zur Verteilung der knappen Wasserressourcen in der geostrategisch bedeutsamen Region. Mit einer fünftägigen Militäraktion Israels im Gazastreifen vom 27. 2. bis 3. 3. 2008, die der Bekämpfung der fortgesetzten Raketenangriffe auf israelische Grenzstädte seitens radikaler Palästinenser und der Schwächung der Hamas dienen sollte, kam es erneut zur blutigen Konfrontation; Abbas setzte aufgrund der über 100 Todesopfer der israelischen Militäroffensive die erst im Januar begonnenen Friedensgespräche seitens der Palästinenser aus.

Sekundärliteratur: F. Schreiber u. M. Wolffsohn: Nahost. Geschichte u. Struktur des Konflikts (41996); B. Tibi: Pulverfass Nahost. Eine arabische Perspektive (1997); R. Bernstein: Der verborgene Frieden. Politik u. Religion im Nahen Osten (2000); Berthold Meyer: Aus der Traum? Das Scheitern des Nahost-Friedensprozesses u. seine innenpolitischen Hintergründe (2001); L. Watzal: Feinde des Friedens. Der endlose Konflikt zwischen Israel u. den Palästinensern (22002); M. Pott: Der Nahost-Konflikt. Schuld u. Sühne im gelobten Land. Israels Sonderrolle im Schutz der westlichen Welt (2004); I. J. Bickerton u. C. L. Klausner: A concise history of the Arab-Israeli conflict (Upper Saddle River, New Jersey, 42005); C. Faure: Dictionary of the Israeli-Palestinian conflict. Culture, history and politics (Detroit, Michigan, 2005); J. L. Gelvin: The Israel-Palestine conflict. One hundred years of war (Los Angeles, Kalifornien, 2005); R. Steininger: Der Nahostkonflikt (32006).

Weiterführende Artikel aus dem Archiv der Wochenzeitung DIE ZEIT

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