In zweiter Instanz hat ein Wiener Gericht Paparazzi und Intimitätenschnüfflern jetzt gleichsam offiziell erlaubt, die Privatsphäre der Natascha Kampusch auszuspionieren. Natascha Kampusch, das ist die junge Frau, die von ihrem Entführer Wolfgang Priklopil als Zehnjährige in ein Kellerverlies gesperrt wurde und nach acht Jahren entkommen konnte. Seither sind ihr Schmuddelblätter und Bild-Kopfjäger auf den Fersen. Vergeblich hatte Kampusch nach ihrer Flucht versucht, ihr Verlies vor Voyeuren und Kameras zu bewahren, als ihren intimsten Raum. Kampusch fühlte sich jetzt erst recht bloßgestellt, klagte auf Achtung der Intimsphäre. Das Gericht entschied: Kampusch habe sich "freiwillig ins Schlaglicht der Medien begeben". Prominente, die aus "finanziellen Gründen" und "zur Befriedigung der Eitelkeit" in die Öffentlichkeit drängten, müssten derlei ertragen. An diesem Sonntagabend nun gibt sie ihr Debüt als TV-Moderatorin. In dem Wiener TV-Sender Puls 4 lädt sie zum monatlichen Prominentengespräch. Am Freitag wurde die erste Folge Journalisten in Wien vorgeführt. Sie wolle wissen, wie das Publikum reagiere, wenn sie selbst aktiv nach Träumen und Empfindlichkeiten, nach bitteren und glücklichen Momenten frage, sagte sie. Ihr erster Gast ist Niki Lauda. Der einstige Rennfahrer, Flugunternehmer und Liebling der Nation schien eine sichere Sache: Dem nimmt niemand was übel. Das Gespräch ist dann auch gar nicht so peinlich, wie man sich das hätte ausmalen können. Lauda und Kampusch, schweres Schicksal aber alles irgendwie gut ausgegangen - so könnte man den seltsamen, nicht unsympathischen Dialog umschreiben. Ungewöhnliche Wahl Nur Kampuschs Bemühen, einige Parallelen zwischen den Schicksalen, dem Autounfall des Rennfahrers und dem Lebensunfall der Eingesperrten zu ziehen, geht daneben. Sie sagt einiges über sich und ihre Gefühle, und doch sagt sie nicht viel, vielleicht, weil die vielen Berater, die sie hat, ihr soviel an Selbstbeherrschung antrainiert haben. Wenn sie erzählt, sie bearbeite jedes Problem im Kopf so lange, bis es keines mehr ist. Ist das später angeübt, oder hat es sie im Keller gelernt, um zu überleben? "Über mich wurde schon so viel berichtet. Da will man wissen, wie es auf der anderen Seite ist", sagte Kampusch zu ihren Beweggründen. Dabei räumt sie freimütig ein, als TV-Moderatorin eine eher ungewöhnliche Wahl zu sein. Sie sei selbst noch damit beschäftigt, alles auf die Reihe zu kriegen. Doch so lange man sich überwinde, komme man auch weiter, erklärte Kampusch, die derzeit auch ihr Abitur nachholt. Psychologen halten den Schritt der lange Eingesperrten für folgerichtig. Sie muss sich einen Beruf suchen, der - gar nicht so unlogisch - in dem Bereich der harten, ja bösen Wirklichkeit liege, mit dem sie als erstes nach ihrer Gefangenschaft konfrontiert worden sei. Mit dem TV-Gespräch suche die junge Frau überdies unwillkürlich etwas zu üben und zu perfektionieren, was im hermetischen Keller überlebenswichtig war: Sich in andere Persönlichkeiten hineinzudenken. Denn ohne Außenkontakt hat ihr Training, aktiv auch mit unerreichbaren Menschen geistig Kontakt aufzunehmen und so etwas wie Verständnis aufzubauen, dafür gesorgt, dass das Kind im Keller damals überhaupt überleben konnte.
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