Wachsende Kritik

"Saakaschwili muss Antworten geben"

von Nils Kreimeier und Eva Weikert (Berlin)

In Georgien wenden sich nach dem Krieg mit Russland Teile der politischen Elite von Staatspräsident Saakaschwili ab. Die frühere Parlamentspräsidentin Burdschanadse, die im Westen als eine Nachfolgerin Saakaschwilis gehandelt wird, fordert interne georgische Untersuchungen über den Beginn des Kriegs mit Russland.

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"Wenn ein Land so eine Tragödie erlebt hat, haben die Menschen das Recht, die Wahrheit zu erfahren", sagte Nino Burdschanadse im FTD-Interview. Präsident Michail Saakaschwili stecke wegen des Kriegs "in ernsthaften Schwierigkeiten". Zugleich kündigte Burdschanadse an, sie werde eine eigene Partei gründen.

Burdschanadse bringt sich damit für eine mögliche Ablösung Saakaschwilis in Stellung. Sie war von 2001 bis Mai 2008 Parlamentspräsidentin und ist eine langjährige Weggefährtin des Präsidenten. Als dieser im vergangenen Jahr Proteste gewaltsam niederschlagen ließ, ging sie jedoch auf Distanz. Im Westen wird Burdschanadse als mögliche Nachfolgerin Saakaschwilis gehandelt. Nach Berlin war sie gestern gekommen, um nach der faktischen Spaltung Georgiens durch den Krieg mit Russland bei der Bundesregierung für die territoriale Integrität ihres Landes zu werben. Ende August war sie zu Gesprächen im State Department nach Washington geflogen.

Einst Weggefährtin, heute Kontrahentin: Nino Burdschanadse strebt die Nachfolge von Präsident Michail Saakaschwili an
 Einst Weggefährtin, heute Kontrahentin: Nino Burdschanadse strebt die Nachfolge von Präsident Michail Saakaschwili an

In der Opposition Georgiens wird zunehmend Kritik am Vorgehen Saakaschwilis im Konflikt um die abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien laut. Dem Präsidenten wird vorgeworfen, er habe überreagiert, als er den Angriff auf Südossetien befahl. Die Stimmung im Land drohe zu kippen, sagt David Aphrasidze, Politikprofessor der Universität Tiflis: "Die große Frage ist, warum das georgische Militär nach Südossetien reinging. Niemand konnte ernsthaft glauben, dass Russland nicht reagiert."

Saakaschwili rechtfertigt sich stets damit, dass 150 russische Panzer nach Südossetien vorgerückt seien - den Beweis dafür aber ist er bis heute schuldig geblieben. Allerdings gilt auch unter seinen internen Kritikern als unstrittig, dass Russland den Krieg in Südossetien provoziert hatte. Auch Burdschanadse zeigte sich in der allgemeinen Bewertung des Konflikts mit Saakaschwili weitgehend einig.

Die Details des Einmarschs jedoch gelten noch als ungeklärt. "Ich will wissen, was zu Kriegsbeginn passiert ist", sagte Burdschanadse, "denn ich weiß nicht, ob nur eine Antwort auf die russischen Provokationen möglich gewesen ist." Außer einer internationalen Untersuchungskommission müsse eine von der Regierung in Tiflis ins Leben gerufene interne Ermittlergruppe nach dem Auslöser der Kämpfe forschen und dabei auch klären, warum Georgiens Armee gegen die russischen Truppen so schnell scheiterte. Sollten die Antworten der Regierung auf die Fragen der Ermittler "inakzeptabel sein, dann müssen die Schuldigen genannt werden", sagte die Politikerin. Georgien habe nach dem Krieg gravierende Probleme. Zu deren Lösung wolle sie mit einer neuen Partei beitragen

Burdschanadse appellierte an die EU und die USA, sich konsequent für den Verbleib Südossetiens und Abchasiens im georgischen Staat einzusetzen. Dafür müsse der Westen "aber in Einigkeit" gegenüber Moskau auftreten. Russland habe internationales Recht verletzt, indem es die Provinzen als Staaten anerkannt habe. Die mehr als 300.000 Flüchtlinge aus den Gebieten hätten "kein anderes Zuhause und ein Recht auf Rückkehr".

Russland warf sie vor, durch die Errichtung von umstrittenen Pufferzonen und die Verzögerung des Truppenabzugs aus Kerngeorgien gezielt von den umkämpften Gebieten ablenken zu wollen. "Moskau handelt sehr clever, indem es den Westen zwingt, über etwas anderes als die Konfliktregionen zu reden", sagte die Politikerin. Entgegen seinen Beteuerungen interessierten den Kreml die russischen Minderheiten in den umkämpften Provinzen gar nicht. Russlands Regierung ziele auf die Kontrolle des gesamten georgischen Staats ab, weil das Land eine wichtige Transitstrecke für Energielieferungen nach Westen sei. Sie selbst wisse von handfesten Beweisen, dass das russische Militär bis nach Tiflis vorstoßen wollte. Allein die Initiative der EU für einen Waffenstillstand habe Moskau gestoppt. Russland habe durch sein gewaltsames Vorgehen erreicht, dass die Beziehungen zwischen Russen und Georgiern "nun total zerstört sind".

Gleichwohl wirbt Burdschanadse für einen Dialog mit dem Kreml. "Wir sind Nachbarn und können nicht 50 Jahre auf eine Wiederannäherung warten." Eine internationale Isolierung Russlands sei schädlich: "Die Effekte sind dann noch viel schlimmer, wie der Kalte Krieg uns ja gezeigt hat."

Auch der Westen brauche "Raum für Verhandlungen mit Moskau", könne dessen Expansionsstreben aber mit strengen Sanktionen stoppen. Als Beispiele nannte Burdschanadse Einschränkungen von Freihandelsvereinbarungen und von Visaerleichterungen. Gleichzeitig müsse sich der Westen unabhängiger von russischen Energielieferungen machen.

Nino Burdschanadse

Wechselvoller Weg Die heute 44-jährige Juristin war von 2001 bis Mai 2008 georgische Parlamentspräsidentin. Auch amtierte sie in den Krisenmonaten nach der Rosenrevolution 2003 sowie nach den Wahlen vorigen Winter vorübergehend als Präsidentin. Kürzlich gründete sie eine Stiftung zur Entwicklung der Demokratie. Bevor sie ins Saakaschwili-Lager wechselte, arbeitete sie in den 90er-Jahren im Stab des damaligen Präsidenten Eduard Schewardnadse.

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FTD.de, 09.09.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD/Goetz Schleser

 

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