Interview mit Steuerrechtler Kirchhof

"Es fliehen die Köpfe, nicht das Kapital"

An der Reform der Erbschaftsteuer hagelt es weiter Kritik: Paul Kirchhof bezeichnet sie als schlecht gemacht. Doch Kirchhof spricht nicht nur über Erbschaftsregeln, sondern auch über den Durchbruch seiner Flat Tax und eine satte Familienförderung.

ZUM THEMA

Herr Kirchhof, was würden Sie der Regierung sagen, wenn Sie zur Erbschaftsteuer­re­form gefragt würden?

Der Ansatz ist richtig, die Ausführung nicht. Die Ausgangsüberlegung zur Reform ist zwar zutreffend und alternativlos: Wir brauchen eine wirklichkeitsnahe Bewertung von Firmenvermögen. Bisher gehen Unternehmen – anders als etwa Geld oder Aktien – nur mit 20 oder 30 Prozent des tatsächlichen Werts in die Berechnung ein.

Das kann so nicht bleiben. Aber der Gesetzgeber geht nun hin und will den Firmenerben einen Steuernachlass gewähren, wenn sie den Betrieb zehn Jahre mit ähnlicher Personalstärke wie heute fortführen. So wird der Unternehmer in seinen Dispositionen aus fiskalischen Gründen zehn Jahre gebunden. Das ist unerträglich.

Damit sollen viele Unternehmer von hohen Steuerzahlungen befreit werden. Ist das falsch?

Falsch ist, dass die Steuer die Unternehmerfreiheit zu sehr bindet. Ein Beispiel: Ein Firmenerbe stellt fest, dass der Betrieb zum Überleben unbedingt neu ausgerichtet werden muss. Er automa­tisiert Bereiche und muss Mitarbeiter entlassen. Er macht ökonomisch alles richtig. Nur der Erbschaftsteuer entkommt er nicht, weil er die Lohnsumme nicht hält. In einer Phase, wo er jeden Euro für Investitionen braucht, trifft ihn die Steuernachzahlung. Das ist absurd.

Und verfassungswidrig?

Das Urteil will ich den Richterkollegen von heute überlassen. Aber es stellt sich die Frage, ob die geplante Reform vereinbar ist mit der Berufsfreiheit, mit der Eigentümerfreiheit und mit der aus der allgemeinen Persönlichkeitsfreiheit abgeleiteten Unternehmerfreiheit.

Heißt das, Sie würden Firmen­erben gar nicht verschonen?

Ich würde ihnen durch Niedrigsteuersätze weit entgegenkommen. Mein Modell sieht vor, dass nach der Befreiung des Familienguts, also des berühmten Häuschens der Oma, alles in die zu versteuernde Erbmasse fällt. Es gäbe eine breite Bemessungsgrundlage mit niedrigen Sätzen. Drei, vier Prozent – das wäre für alle verkraftbar.

Und was halten Sie von der Abschaffung der Steuer, wie es andere Länder vormachen?

In der Tat leisten wir uns einen großen Aufwand, um vier Milliarden Euro Steuereinkommen zu erwirtschaften. Aber unser ganzes System beruht darauf, dass wir den Zuwachs an Leis­tungsfähigkeit beim Individuum besteuern. Insofern brauchen wir die Erbschaftsteuer. Sie schafft Gerechtigkeit.

Mit der Reichensteuer, der Unternehmen- und jetzt der Erbschaftsteuerreform wird das deutsche Steuersystem immer komplizierter. Von Ihrem 25-Prozent-Steuerstaat sind wir weit entfernt. Wie groß ist Ihr Frust?

Ihre Aufzählung enttäuschender Reformen ist verständlich. Aber es hat sich auch etwas ganz Erstaunliches ereignet, was ich im Oktober 2005 gar nicht für möglich gehalten habe – wir bekommen Anfang 2009 die Einheitssteuer von 25 Prozent. Allerdings noch mit einem Schönheitsfehler: Sie gilt nur für Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Die Menschen werden aber schnell die Frage stellen, ob es dann noch gerecht ist, Einkünfte aus Arbeit in der Spitze mit 45 Prozent zu belasten. Wir werden 2009 aus politischer Vernunft und wegen des verfassungsrechtlichen Gleich­heits­satzes eine gewaltige Reformbewegung bekommen, da bin ich zuversichtlich.

Man könnte sich ja auch wieder bei 45 Prozent treffen?

Unwahrscheinlich. Der Zug wird mit Blick auf die internationalen Finanzmärkte eher in die andere Richtung fahren.

Macht es Sie nicht skeptisch, dass die Union über höhere Freibeträge und abgesenkte Tarife für Lohneinkommen redet, aber nicht über eine 25-Prozent-Steuer?

Ich habe selbst eindrucksvoll erlebt, dass Wahlkampfzeiten nicht zu Konzeptdiskussionen taugen. Erst danach wird man sich Gedanken zum System machen. Es gibt in fast allen Parteien beachtliche Gruppen, die energisch auf ein Einfachmodell drängen.

Google Tausendreporter Furl YiGG Mister Wong del.icio.us Webnews

Bookmarken bei ...

 

impulse, 12.09.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de

 

 FTD-Services 

Streit am Arbeitsplatz, mit Vermieter oder Finanzamt? Aktuelle Urteile aus vielen Rechtsgebieten kostenlos in dieser Datenbank.  mehr

 Nachrichten 

Nach dem Sturz in Berlin

Gleichzeitig stellt sich der Ministerpräsident der Wiederwahl als Parteichef in Rheinland-Pfalz. mehr

Der neue Kanzlerkandidat

Zugleich kündigte der Außenminister eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Linkspartei an. mehr

Hartz-IV-Studie

Skandalprofessor Thießen kennt sich nicht nur mit Hartz IV aus - auch ansonsten fühlt er sich berufen. mehr

IKB-Untersuchungsausschuss

Die Liberalen warten noch auf einen Bericht des Bundesrechnungshofes. mehr

Arbeitsmarkt

Die Zeitarbeit bewahrt im Konjunkturknick viele Unternehmen vor schlimmeren Folgen. mehr

Attacke gegen Schröder

Der "Gazprom-Lobbyist" habe auf einer Konferenz des Umweltministeriums nichts verloren. mehr

Weniger Unternehmensgründungen

Die einzige Ausnahme bildet der Nebenerwerb. mehr

Beitragssenkung

Der BA-Chef rät der CDU und der CSU von einer starken Beitragssenkung ab. mehr

Gastauftritt bei der FDP

Der CDU-Politiker erklärt den Liberalen, warum es sinnvoll sein kann, den Bedürftigen weniger zu geben. mehr

Streit über VW-Gesetz

Der irische Kommissar solle sich lieber um das Ja seiner Landsleute zum EU-Vertrag kümmern. mehr

Senkung der Prognose

Die Ökonomen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) haben ihre Prognose für Deutschland drastisch gesenkt. mehr

Agenda

Bald beginnt die größte Umwälzung im Gesundheitssystem seit Jahrzehnten: der Gesundheitsfonds startet. mehr

Mehr News aus Deutschland

Deutschland als