Sie begann bei einem kalifornischen Hypothekenanbieter und hat inzwischen Märkte in aller Welt erfasst: Die Subprime-Krise um schlecht besicherte US-Immobilienkredite betrifft längst auch andere Branchen. Unter den Opfern sind zunehmend deutsche Unternehmen.


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Leitartikel

Hoffentlich staatsversichert

Dass AIG vom Staat gerettet wurde, während Lehman Brothers pleiteging, scheint auf den ersten Blick willkürlich. Dahinter steckt aber eine klare Logik.

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Nach der kontrollierten Sprengung einer maroden Investmentbank nun also der Rückbau eines taumelnden Versicherungskonzerns unter Staatsobhut. Das Rettungspaket, mit dem die US-Notenbank AIG beispringt, bedeutet faktisch die Verstaatlichung des vor einiger Zeit noch größten Versicherers der Welt.

Nachdem die US-Regierung nur wenige Stunden zuvor im Fall Lehman Brothers jede Hilfe verweigert und den Zusammenbruch des Instituts bewusst in Kauf genommen hatte, mag diese Stützung von AIG auf den ersten Blick ungerecht und völlig erratisch wirken. Tatsächlich zeichnet sich aber immer deutlicher das Muster ab, nach dem diese Krise gelöst werden wird: Unkalkulierbare Megarisiken landen letztlich auf den Büchern des amerikanischen Staates.

Auch dessen Finanzen sind aber schon jetzt extrem belastet, und die privaten Verursacher der Verluste dürfen nicht schadlos davonkommen. Also müssen die staatlichen Katastrophenmanager immer dann ihre Hilfe verweigern, wenn die volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer Pleite noch so eben verkraftbar erscheinen. Lehman war nach diesem Risikokalkül verzichtbar. AIG dagegen musste um jeden Preis überleben.

Über ihre genauen Beweggründe schweigen sich Notenbank und Regierung aus, aber auch so ist klar, was den Fall AIG brandgefährlich machte: Da ist die schiere Größe und Vielfalt der Geschäfte dieses Konzerns; da war die Tatsache, dass die Zuspitzung seiner Krise viele Marktteilnehmer offenbar völlig unvorbereitet traf; da ist aber vor allem die Schlüsselrolle, die AIG als Versicherer von Ausfallrisiken bei Bonds spielt.

Im Markt für solche Credit Default Swaps (CDS), der auf das gigantische Volumen von mehr als 60.000 Mrd. $ angewachsen ist, war und ist AIG ein zentraler Spieler. Wäre er kurzfristig kollabiert, niemand hätte die Dominoeffekte übersehen und kontrollieren können.

Kursinformationen + Charts

2,05 USD -45,33 % [-1,70]
Chart
AMERICAN INTER.. 2,05 USD -45,33 %
LEHMAN BROTHER.. 0,13 USD -56,67 %

Durch das dramatische Rettungsmanöver der Fed, die AIG über Nacht und auf hauchdünner Rechtsbasis 85 Mrd. $ injizierte, ist ein solches Szenario jetzt ausgeschlossen. Ähnlich wie zuletzt bei der (Rück-)Verstaatlichung der Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac, die rund die Hälfte aller US-Hypotheken absichern, ist eine Hauptsäule des Finanzsystems stabilisiert.

Weitere Großoperationen dürften folgen

Ob das schon die letzte Großoperation dieses Typs war, kann man nach den immer neuen Schocks der vergangenen Wochen bezweifeln. Wie dramatisch der Vertrauensverlust an den Märkten ist, zeigten am Mittwoch die heftig einbrechenden Aktienkurse nicht zuletzt von Goldman Sachs und Morgan Stanley, den beiden letzten großen unabhängigen Investmentbanken. Zugleich droht ein erneutes Einfrieren der Kreditbeziehungen. Geradezu verzweifelt versuchen alle Finanzinstitutionen, riskante Positionen abzubauen und ihr Kapital zu stärken.

Bei AIG sind die Verhältnisse jetzt aber erst einmal klar. Die drohende Herabstufung durch die Ratingagenturen, die plötzlich einen riesigen Kapitalbedarf ausgelöst hatte, ist nach dem Einstieg der Fed kein Thema mehr, die 85 Mrd. $ werden insoweit kurzfristig gar nicht mehr benötigt.

Die Notenbank verlangt für ihren Beistand aber von den Aktionären den Höchstpreis: Für den Staatskredit wird nicht nur ein zweistelliger Zinssatz fällig, wie ihn sonst der Normalbürger für den Dispo zahlt. 80 Prozent des Unternehmens werden zudem dem Staat überschrieben, der verbleibende Rest ist an der Börse inzwischen praktisch wertlos.

Die einstige Ikone AIG kann auf den meisten Versicherungsmärkten nur noch den geordneten Rückzug antreten. Da eine Notenbank nicht dazu da ist, Versicherungen zu führen, muss der Konzern dabei so schnell wie möglich an eine geeignetere Aufsichtsbehörde weitergereicht werden.

Aus Sicht des neuen Eigentümers Staat hängt dann alles davon ab, wie sich die fundamentalen Werte entwickeln, auf denen die Finanzwelt ihr riskantes Kartenhaus aufgebaut hat. Beruhigt sich die Lage - stabilisieren sich also Hauspreise und Wirtschaftsaktivität -, dann könnte die Fed ihre ungeplante neue Tochter AIG am Ende sogar mit Gewinn in Einzelteile zerlegen und verkaufen.

Setzt sich die Krise aber fort, dann rollen gigantische Lasten auf die amerikanischen Staatsfinanzen zu. Für die Kreditausfälle, die AIG abgesichert hat, haftet dann letztlich der Steuerzahler, der bereits für Fannie und Freddie, Milliardenrisiken bei Bear Stearns sowie für die versicherten Einlagen aller sonstigen Pleitebanken geradestehen muss.

Die Rechnung, die am Ende für all die Feuerwehreinsätze dieser Tage fällig wird, kann das wirtschaftliche Standing der USA dauerhaft beschädigen. Es droht das Ende eines Finanzsektors, der bis vor Kurzem eine Vorzeigebranche und Wohlstandsmaschine sondergleichen war. Es drohen Steuererhöhungen und/oder ein heftiger Inflationsschub. Es sieht nicht gut aus für das Land.

Kursinformationen

Name Aktuell
% abs.
AMERICAN INTERNATION.. 2,05 USD -45,33 % -1,70
LEHMAN BROTHERS HOLD.. 0,13 USD -56,67 % -0,17
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Aus der FTD vom 18.09.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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