Per Daumenticket unterwegs

"Hier fährt keine Sau nach Stralsund"

von Matthias Oden (Hamburg)

Autofahren wird immer teurer - es sei denn, man fährt per Anhalter. Das kostet nichts, dafür muss man jedoch einiges in Kauf nehmen. Unser Autor etwa weiß jetzt, wie Müll schmeckt. Ein Erfahrungsbericht.

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Wer wissen will, wie die Suppe schmeckt, die unten im Abfalleimer übrig bleibt, der stelle sich an einem regnerischen Tag an die Ostseeautobahn A 20 bei Rostock und warte ab. Irgendwo in der Nähe muss dort eine Müllkippe sein, denn eine Müllabfuhr nach der anderen nimmt diese Route. Jede von ihnen stinkt. Und die aufgewirbelte Gischt von der nassen Fahrbahn funktioniert wie ein Parfumzerstäuber: Kleinste Wassertropfen, angereichert mit dem Miasma Rostocker Abfälle, zerplatzen auf der Haut und den Lippen. Großartig.

Es ist nicht die einzige bittere Erfahrung dieses Tages, aber mit Abstand die mit dem schlechtesten Geschmack. Ich reise per Anhalter. Und das bedeutet emotionales Wechselbaden.

Ich will gar nicht trampen, ich bin ein Zugtyp. Doch in Zeiten, in denen Benzinpreise scheinbar exponentiell wachsen, hatte mein Chef eine Idee: auszuprobieren, ob das heutzutage überhaupt noch funktioniert, das Trampen, das Autofahren-für-lau. In Kindertagen hieß es bei uns in so einer Situation immer: "Vorgeschlagenes Schwein muss sein". Doch in der Erwachsenenwelt hat diese Argumentation ihren moralisch zwingenden Charakter verloren. Und so bin ich es, der diese Reise unternimmt, und nicht mein Chef.

Einer muss doch anhalten - wenn nicht der, dann der oder der...
 Einer muss doch anhalten - wenn nicht der, dann der oder der...

Sie beginnt am Hamburger Verkehrsknotenpunkt Horner Kreisel. Mein Ziel ist Sassnitz auf Rügen, das ist knapp 320 Kilometer entfernt. Weit genug weg, um als Reise zu gelten. Aber noch nah genug an Hamburg, um bei Anbruch der Dämmerung auch am Ziel zu sein. Außerdem liegt Sassnitz am Meer, und zumindest etwas Erfreuliches sollte diese Fahrt ja schon zu bieten haben. Die Bahn will für die Strecke 54 Euro sehen, laut Online-Routenplaner braucht man 27 Liter Benzin, um mit dem Auto hinzufahren. Viel billiger wird das auch nicht. Mich soll die Reise nur Zeit kosten - und Nerven. Wird sich zeigen, was besser ist.

Die Karmagötter sind milde gestimmt - noch

Der Horner Kreisel soll dem Internet zufolge bei Trampern beliebt sein - wegen hoher Mitnahmequoten. Es gibt sogar eine Petition, um dort mit Haltebuchten und Hinweisschildern die erste offizielle Trampstelle Deutschlands zu errichten. Hört sich alles gut an, doch ich bleibe skeptisch: Heute trampt doch niemand mehr. Meinen letzten Anhalter habe ich irgendwann in den 90-ern gesehen, und da fiel er bereits als seltenes Autobahnphänomen auf. Am Horner Kreisel bin ich dann wie erwartet auch der Einzige.

Mit düsteren Vorahnungen hole ich um 7.55 Uhr mein Schild heraus, ein Stück Pappe mit aufgeklebter Klarsichtfolie, in der die Zettel mit den Zielorten ausgewechselt werden können. Als erste Zwischenstation peile ich Lübeck an, doch die Autofahrer interessiert das herzlich wenig: Sie fahren vorbei. Vorbei zieht in Gedanken auch die Schlagzeile meines Textes - "Von einem der auszog, nach Sassnitz trampen. Die Geschichte einer Niederlage" - als Friedemann hält. Es ist 7.59 Uhr.

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FTD.de, 08.08.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: dpa

 

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