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Kolumne

Christian Schütte: Die Logik des Notstands

von Christian Schütte

In der Finanzkrise soll der Staat nun als letzter Retter helfen. Sein Vorteil ist nicht, dass er klüger ist als die Privaten, sondern dass er selbst die Regeln setzt.

ZUM THEMA

Wenn überhaupt noch jemand diese Finanzkrise entschärfen kann, dann der Staat. Darüber sind sich inzwischen fast alle politischen Lager einig. Und fast immer wird darin auch so etwas wie ein ideengeschichtlicher Epochenbruch gesehen: Der reine Markt ist gescheitert, der starke Staat muss wieder her.

Die beliebte Rede von der notwendigen Rückkehr des Staates ist allerdings meist mit einem großen und gefährlichen Missverständnis verbunden. Der Staat, so wird unterstellt, ist jetzt der letzte Retter, weil doch nur er in dieser Stunde all die Moral und die Vernunft aufbringen kann, die bei den Marktakteuren augenscheinlich verloren gegangen sind.

Gier, Korruption und Inkompetenz, Kurzfristdenken und Herdenverhalten - all das sind eben typische Probleme des freien Kapitalismus. Staatliches Handeln ist dagegen von Rationalität und Sittlichkeit gesteuert, langfristig ausgerichtet, sozial und ökologisch sensibel. Das mag so sein - oder auch nicht. In der aktuellen Krisensituation führen solche Argumente aber einfach nur in die Irre.

Der Staat taugt jetzt keineswegs deshalb zum Retter in höchster Not, weil er klüger oder gerechter ist. Er kann das Chaos nur deshalb ordnen und die privaten Akteure nur deshalb aus der Klemme befreien, weil er nun einmal der einzige Akteur ist, für den letztlich keinerlei Regeln gelten - denn die Regeln macht sich die Politik selbst.

Der Ruf nach der starken Polizei

Es ist die Logik des Notstands, mit der jetzt operiert wird. Inwieweit die zur Blaupause für normalere Zeiten taugt, ist eine völlig andere Frage. Wenn in einem großen Saal Schlägereien und Panik ausbrechen, werden schließlich sogar ultraliberale Bürgerrechtler irgendwann nach der Bereitschaftspolizei rufen. Ihre grundsätzlichen Bedenken gegen ein "Law and Order"-System entwertet das aber noch nicht.

Im Gegenteil: Gerade in der Extremsituation wird vielleicht sichtbar, warum es wichtig ist, der Staatsmacht nicht blind zu vertrauen. Welche Bedeutung die schiere Macht des Staates in dieser Krise hat, zeigt sich drastisch an dem geplanten Rettungspaket der USA. Es ist notwendig geworden, weil sich viele Finanzinstitutionen einen Berg von verbrieften Forderungen zugelegt haben, deren Wert höchst fragwürdig geworden ist und für die es deshalb praktisch keinen Markt mehr gibt.

Das zwingt sie im Rahmen der geltenden Bilanzierungsregeln zu hohen Abschreibungen, was wiederum ihr Eigenkapital auszehrt, ihre Kreditwürdigkeit infrage stellt und sie schnell bis in die Insolvenz treiben kann. Der Plan der Regierung sieht nun im Kern vor, der Finanzwirtschaft diese toxischen Papiere abzukaufen und langfristig zu halten. Einige eifrige Optimisten versprechen, dass daraus am Ende sogar noch ein gutes Geschäft für den Staatshaushalt werden wird.

Ob diese Rechnung aufgeht und die Krise so tatsächlich entschärft werden kann, ist keineswegs sicher. Möglich ist ein solcher Weg aber überhaupt nur, weil der Staat für sich eben andere Regeln hat als für die Finanzinstitutionen.

Er bilanziert zum Beispiel nicht nach US-GAAP oder auch IAS - er bilanziert einfach gar nicht. Er muss auch keinerlei Eigenkapitalvorschriften erfüllen. So bleibt er auch jetzt noch völlig frei, einen riesigen Kredit aufzunehmen und sich den Keller mit dubiosestem Material vollzupacken, das bei privaten Instituten die sofortige Schließung zur Folge hätte.

Und das ist längst nicht alles. Selbstverständlich kann der Staat auch die Bilanzierungsregeln für die Wirtschaft kurzfristig lockern, so wie das die US-Börsenaufsicht SEC in der vergangenen Woche getan hat.

Er kann auch in bestehende Verträge eingreifen, Forderungen und Verbindlichkeiten mit neuen Gesetzen entwerten, so wie das in früheren großen Krisen schon geschehen ist.

Bei alledem genießt er in der Regel das Privileg der größten Kreditwürdigkeit, denn er kann sich im Notfall ja immer noch so zuverlässig refinanzieren wie kein anderer: durch die Eintreibung von Zwangsabgaben im Land. Ja, wenn alle Stricke reißen, dann druckt er das Geld eben einfach selbst und entwertet die Forderungen indirekt per Inflation.

In der größten Not kann sogar manches eherne Gebot von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beiseite geschoben werden. Im Angesicht des Abgrunds erzwingt sich die US-Regierung dieser Tage faktisch einen Blankoscheck über mindestens fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts; die irische Regierung hat über Nacht sogar rund das Doppelte ihres BIP für Haftungszusagen verpfändet. Die milliardenschweren Rettungsaktionen des deutschen Finanzministers sind dagegen geradezu Peanuts.

3 Mrd. für mein Lieblingsprojekt

Sicher: Außergewöhnliche Umstände erfordern auch außergewöhnliche Maßnahmen. Die Not im Finanzsystem ist in diesen Tagen außergewöhnlich groß, und deshalb spricht viel dafür, dass einige massive Staatsinterventionen jetzt im Interesse der Bürger sind, die dafür ungefragt in Haftung genommen werden.

Es wäre aber offenkundig absurd, diese Logik des Ausnahmezustands nun einfach in den Alltag zu verlängern - frei nach dem Motto: Die privaten Akteure können es eben grundsätzlich nicht. Oder: Wenn wir so schnell mal 30 Mrd. für eine Bank heraushauen, gibt es ja wohl auch 3 Mrd. für mein Lieblingsprojekt.

Märkte brauchen im wirtschaftlichen Alltag kluge staatliche Regeln und in sehr seltenen Extremsituationen auch einmal den sich einmischenden Staat als letzte Ordnungsmacht. Das ist nichts Neues, und abgesehen von einem versprengten Häuflein akademischer Anarchokapitalisten hat kein Verfechter des Marktsystems jemals etwas anderes behauptet.

Die entscheidende Frage ist und bleibt, wie genau denn nun diese klugen Marktregeln für den Alltag aussehen müssen. Die schlaue Idee, dass sich Fehler und Ungerechtigkeiten doch ganz einfach vermeiden lassen, wenn der Staat nicht nur als Schiedsrichter, sondern auch als Regisseur in allen Mannschaften mitspielt, hat sich bekanntermaßen nicht so bewährt.

Christian Schütte ist FTD-Kommentarchef. Er schreibt jeden zweiten Montag an dieser Stelle.

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Aus der FTD vom 06.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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