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Kolumne

Tobias Bayer - Die Banker und die Henker

von Tobias Bayer

Es ist angerichtet: Angesichts der weltweiten Immobilienkrise und der fallenden Aktienmäkte dreschen Kritiker auf den Finanzkapitalismus ein. Dabei machen sie es sich sehr einfach.

ZUM THEMA

Die Kreditkrise ist überstanden! Da ist das Licht am anderen Ende des Tunnels! Der klarste Indikator überhaupt weist daraufhin, dass das Schlimmste hinter uns liegt und es ab jetzt aufwärtsgeht: Das deutsche Feuilleton, die Intellektuellen, haben die Kreditkrise als Thema entdeckt! Endlich.

Mit schneller Feder wird rückblickend illustriert, was alles falsch gelaufen ist. Da hält man sich nicht mit technischem Schnickschnack wie Credit Default Swaps und ISDA-Protokollen auf. Da wird glossiert, da wird prophezeit, da wird die Welt erklärt. "Der amerikanische Finanzkapitalismus ist tot", ein "Ancien Régime", das nun einer neuen Ordnung Platz machen wird. Da werden bald "Innovationen nur aus der gemeinsamen Anstrengung von Staat, Wissenschaft und Investoren resultieren". Das wird eine antiautoritäre Wall-Street-Kommune sein, die ihre Boni nicht für einen Lamborghini, sondern für einen VW-Bus mit Blumenmuster ausgibt. Holt die Klampfe raus: "If you're going to Wall Street, wear flowers in your hair."

Die Ursachen der Krise haben die Deuter schon ausgemacht: Die Hybris des "Kasino"-Kapitalismus, der "Wahnsinn", Banker, die "Versagensrekorde" aufstellen. Und am Anfang steht: Alan Greenspan, einst "Maestro", heute nur noch der Zumwinkel der Geldpolitik. Außer Blasen nichts gewesen. Billig Geld gedruckt, Immobilienboom entfacht, skrupellose Banker von ihrer Gier verleitet. Alles zwangsläufig. Wirklich? Nein. Die Geschichte war und ist offen, wie das Beispiel Lehman Brothers zeigt.

"The Rise of the House of Lehman"

(Barron's, 18. Juni 2007)

Wer könnte daran jetzt ernsthaft zweifeln? Die Investmentbank Lehman Brothers, heute bankrott, war reif für den Exodus. Alles hat er falsch gemacht, der Richard "Dick" Fuld. Gezockt hat das Brokerhaus, hat sich vollgesogen mit Schulden und alle Warnzeichen ausgeblendet. Und dann noch diese Führungskultur! Der aufbrausende Vorstandschef Fuld, der Geldscheffeln mit Kriegsrhetorik untermalte und sich im New Yorker Hochhausbunker zunehmend isolierte. Es musste so kommen, die Insolvenz war nicht abzuwenden. Das Kartenhaus ist zusammengebrochen. Ein Wolkenkuckucksheim aus Spielsucht und Gier. Wir haben es gewusst.

Kursinformationen + Charts

0,13 USD -56,67 % [-0,17]
Chart
LEHMAN BROTHER.. 0,13 USD -56,67 %
AMERICAN EXPRE.. 37,50 USD -2,04 %
MERRILL LYNCH .. 15,20 USD 6,67 %
CITIGROUP INC... 18,96 USD -5,15 %

Oder doch nicht? Februar 2006. Fuld wird geehrt. Das Museum of Modern Art verleiht ihm den David-Rockefeller-Award für seine "aufgeklärte Großzügigkeit" und seinen "Einsatz für kulturelle Anstrengungen". Fuld verliert keine großen Worte - und dankt seiner Frau, das Publikum nickt in Empathie und Rührung. "Kathy liebt moderne Kunst, und ich liebe Kathy." Der Mann mit den harten Ecken ganz weich.

Und erfolgreich. Immer wenn es an den Märkten rau zugeht, steht Lehman Brothers unter verschärfter Beobachtung. Wie 1998, als der Hedge-Fonds Long-Term Capital Management kollabiert. Damals fährt das Wall-Street-Haus Rekordgewinne ein, die Kapitalquoten liegen über dem Durchschnitt. Trotzdem kursieren Pleitegerüchte, Fuld gibt sich stur, ignoriert das Gerede. "Konzentriere dich auf das Kerngeschäft, mach einfach weiter", lautet seine Devise. Lehman Brothers überlebt, nicht zuletzt, weil die Mitarbeiter Verantwortung für ihre Bank übernehmen. Das ist Fulds Verdienst: Schließlich hat er nach dem Spin-off von American Express die Belegschaft zu den wichtigsten Aktionären gemacht. "Strong sense of ownership" nennt der Amerikaner das. Das sind keine Zocker, die nur kurzfristig denken, sondern Eigentümer, die sich mit ihrem Unternehmen identifizieren.

Das renommierte Anlegermagazin "Barron's" ist im Juni 2007 entzückt. "Die Mythologie formt die Wahrnehmung an der Wall Street. Lehman Brothers galt immer als zu klein, um zu überleben. Doch der Bank und ihrem Chef Fuld ist es gelungen, dank einer breiten Aufstellung einige Konkurrenten hinter sich zu lassen." Drittes Quartal 2007. Gutes Ergebnis. Nachsteuergewinn 887 Mio. $. Noch viel besser: keine großen Abschreibungen wie bei Merrill Lynch (8,4 Mrd. $) und Citigroup (5,8 Mrd. $). "Lehman scheint sich besser geschützt zu haben als die Rivalen", schreibt Deutsche-Bank-Analyst Michael Mayo. Fuld hatte schließlich bereits Monate zuvor dem Verwaltungsrat erklärt - natürlich in seiner direkten Art -, dass es nun besser sei, das Portfolio besser abzusichern und den Bestand an Übernahmekrediten zu senken. Und: Die Bank ist nicht so abhängig vom US-Geschäft wie die Konkurrenz, erzielt rund die Hälfte des Umsatzes in Übersee. Auch das Thema Subprime wird gut umschifft. "Jeder hat gedacht, die schaffen das nicht. Die seien ein reines Anleihehaus mit dem Ziel Nirgendwo. Und jetzt? Dick hat eine der besten Adressen der Street aufgebaut", lobt IBM-Chef Samuel Palmisano anerkennend im Herbst 2007.

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Aus der FTD vom 23.09.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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