Was gestern vor einer Woche noch unvorstellbar war, ist heute Wirklichkeit: Investmentbanken implodieren, die US-Regierung verstaatlicht mit Hilfe der Fed den größten US-Versicherer und der deutsche Einlagensicherungsfonds scheint auch nicht mehr so sicher wie geglaubt. FTD.de analysiert und kommentiert die unglaublichen Vorgänge.


Diese Serie als RSS-Feed abonnieren FTD-Serie als RSS-Feed

Moral-Hazard-Problem

"Kategorien wie Gier führen in die Irre"

von Jens Tartler (Berlin)

Der Wirtschaftsethiker Karl Homann hält die Finanzkrise in erster Linie für ein Systemproblem, nicht für ein Problem persönlichen Fehlverhaltens. Im FTD-Interview warnt der Forscher von der Uni München vor dem "Moralisieren".

ZUM THEMA

"Alle individuellen Kategorien wie Egoismus oder Gier führen in die Irre. Individuelle Schuld lässt sich nicht leugnen. Aber sie zu ahnden ist Sache des Strafrechts - und fertig."

Homann, studierter Volkswirt und Theologe, betont, dass er Exzesse und Managementfehler von Bankern in den USA, Großbritannien oder Deutschland nicht beschönigen wolle. Auch beim Münchner Hypothekenfinanzierer Hypo Real Estate habe es "individuelles Verschulden" gegeben. Doch greife es zu kurz, sich darauf zu beschränken. Die wahren Ursachen lägen tiefer.

Homann ist überzeugter Marktwirtschaftler, doch nicht ohne Einschränkung. "Der Wettbewerb ist ein sehr leistungsfähiges Instrument", sagt er. "Aber der ungeregelte Wettbewerb führt zum Kampf aller gegen alle, wie wir wissen, seit Thomas Hobbes es 1651 beschrieben hat."

Ökonom Karl Homann
 Ökonom Karl Homann

Was jetzt als "Gier" gegeißelt werde, sei im System angelegt: "Unser ganzer Wohlstand beruht auf dem Gewinnstreben, auf dieser Gier. Sie können im Wettbewerb gar nicht anders, weil sonst der andere Sie übernimmt", meint Homann.

In der Finanzbranche sei dieser Konkurrenzkampf besonders ausgeprägt, keiner könne sich dort ein Zögern erlauben: "Wenn ein neues Finanzinstrument erfunden wird, und der eine Banker verdient damit viel Geld, muss der andere nachziehen - wegen des Wettbewerbs."

Jedes Gemeinwesen müsse die Gratwanderung zwischen den unerwünschten und den positiven Wirkungen des Wettbewerbs schaffen. Meist gebe es einen Konsens darüber, dass Raub, Erpressung und Umweltverschmutzung nicht erwünscht seien. Produktinnovationen für den Kunden würden dagegen positiv bewertet. Im Falle der Finanzbranche mit ihren hochkomplexen Produkten sei aber nicht mehr klar, welche Innovationen dem Kunden nützten und welche ihm schadeten. "Mich hat die Krise nicht überrascht", sagt Homann. "Wir bekommen neue Instrumente, auch neue Techniken wie das Internet. Der Wettbewerb wird in diesem ungeregelten Raum ruinös."

Die Regierungen hätten viel früher gegensteuern müssen. "Erst wenn wir auf die Nase gefallen sind, passen wir die Regeln an", beklagt Homann. Die Politik dürfe aber auch nicht von einem Extrem ins andere fallen: "Am besten sind einfache Regulierungen, die Innovationen offen halten, keine Überregulierung."

Das einzige Beispiel in Deutschland, wo eine Regulierung im Vorhinein funktioniert habe, sei die Aufteilung der gelben Post und die Schaffung eines Wettbewerbsmarkts für Telekommunikationsdienstleistungen gewesen. Hier habe es aber auch jahrelange Vorarbeiten gegeben.

Bei der schnelllebigen Finanzbranche müssten die Regulierungsbehörden dagegen täglich die Marktentwicklung beobachten und schädliche Produkte verbieten. Jedes halbe Jahr müssten die Regeln überprüft werden. "Ethik in der Wirtschaft ist heute primär ein Organisationsproblem, kein individuelles Problem."

Homann sieht auch das sogenannte Moral-Hazard-Problem, wenn private Banken mit Steuergeld gerettet werden, nachdem sie sich verspekuliert haben. Mit Moral Hazard bezeichnen Ökonomen das Phänomen, dass Marktteilnehmer ein übermäßiges Risiko eingehen, weil sie wissen, dass sie im Schadensfall das Risiko nicht selber tragen müssen. Im Fall der Bankenpleiten fordert Homann nun grundsätzlich: "Die verantwortlichen Manager müssen verschwinden. Ihr Vermögen muss herangezogen werden, dann werden sie sich ihr Verhalten in Zukunft gut überlegen."

Durch die exzessive Spekulation und die Zusammenbrüche etlicher Banken hat auch in Homanns Augen der Kapitalismus nach US-Vorbild an Glanz verloren. Das habe noch einen speziellen, erfreulichen Aspekt: "Wir haben jetzt die Chance, den Rechnungslegungsvorschriften der Amerikaner etwas entgegenzusetzen. Auch mit unserem dreisäuligen Bankensystem sind wir gut gefahren."

Google Tausendreporter Furl YiGG Mister Wong del.icio.us Webnews

Bookmarken bei ...

 

Aus der FTD vom 14.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: oH

 

 FTD-Services 

Streit am Arbeitsplatz, mit Vermieter oder Finanzamt? Aktuelle Urteile aus vielen Rechtsgebieten kostenlos in dieser Datenbank.  mehr

 Nachrichten 

Kampf gegen Kreditklemme

Die Europäische Zentralbank (EZB) weitet ihre Hilfen für die Banken nochmals drastisch aus. mehr

Entlastung für Finanzsektor

Eine Lockerung der marktnahen Bewertungsregeln soll Abschreibungsorgien stoppen. mehr

Verunglückter Rechtspopulist

Der rechtsgerichtete österreichische Politiker war bei seinem tödlichen Unfall stark angetrunken. mehr

Krisengipfel

FTD.de zeigt, mit welchen Instrumenten die Europäer das Finanzsystem umkrempeln wollen. mehr

Premierminister Brown

In der Krise läuft Großbritanniens Regierungschef zu Hochform auf. mehr

Versäumnisse der EU-Kommission

Die Finanzkrise hat nach Ansicht von EU-Parlamentspräsident Pöttering Versäumnisse der EU-Kommission offengelegt. mehr

Schwere Abstimmungsschlappe

Die Lords haben die geplante längere Untersuchungshaft für Terrorverdächtige gekippt. mehr

Schutz von Bankguthaben

Die Sparer in der EU sollen im Fall einer Bankpleite binnen kurzer Zeit ihr Geld zurückbekommen. mehr

Krisenpaket

Nnicht die Politiker, sondern die Finanzmärkte bestimmen das Tempo der politischen Rettungsaktionen. mehr

Plan gegen Finanzmarktkrise

Der Druck auf die Bundesregierung nimmt zu, da nach FTD-Informationen drei deutsche Banken unter besonderer Beobachtung des Markts stehen. mehr

Nach Unfalltod des Politikers

Die österreichische Rechtspartei BZÖ ernennt den Studenten Stefan Petzner zum neuen Parteichef. mehr

Tempo 142

Der österreichische Politiker war mit seinem Auto mehr als doppelt so schnell unterwegs wie erlaubt. mehr

Mehr News aus Europa

Europa als