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Einfaltsinsel Island

von Kristof Magnusson

Um jeden Preis wollte Island zu den Gewinnern der Globalisierung gehören. Nun steht es am Abgrund. Wie konnte es so weit kommen. Der deutsch-isländische Schriftsteller Kristof Magnusson erzählt den Aufstieg und Fall seiner zweiten Heimat.

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Kreppa - dass ein Wort mit diesem Klang nichts Gutes bedeuten kann, dürfte auch denjenigen einleuchten, die bisher noch nie ein Wort Isländisch gehört haben. Kreppa bedeutet zusammenkrümmen, Wirtschaftskrise, Rezession. Es ist in den isländischen Medien das Schlagwort dieser tumulthaften Tage.

Vielleicht hätte ich schon ahnen können, dass etwas nicht stimmte, als mein sehr konsumfreudiger Freund Halldor mir vor zwei Wochen eine E-Mail schrieb: "Kann Dich im November nicht in Berlin besuchen wie geplant. Währung ist abgeschmiert."

Damals allerdings schien mir das kein Grund zur Sorge, denn die isländische Krone war noch nie eine stabile Währung gewesen. Doch als das isländische Fernsehen Ende September mitten am Tag eine Pressekonferenz der Notenbank zeigte, wurde mir schlagartig klar, wie dramatisch die Lage in meiner zweiten Heimat ist. Währungshüter David Oddsson sagte in der ihm eigenen, eher melancholisch als seriös wirkenden Art, dass der Staat in der letzten Nacht die Bank Glitnir übernommen habe, um sie vor dem Bankrott zu bewahren.

Kristof Magnusson
 Kristof Magnusson

Es folgte eine Reihe von Ereignissen, die Island wie nie zuvor in das Zentrum des Medieninteresses brachte: Erst hieß es, die Russen hätten Milliarden versprochen, dann wieder nicht. Die Glitnir-Hauptaktionäre bezeichneten die Zwangsverstaatlichung als größten Bankraub der isländischen Geschichte, schließlich sprach Ministerpräsident Geir Haarde von der Gefahr eines Staatsbankrotts und ist nun der erste Politiker Islands, der von Leibwächtern beschützt werden muss. Dann wurde die Landsbanki verstaatlicht, nun auch Kaupthing.

Wie konnte es nur dazu kommen? Die üblichen Schuldzuweisungen zwischen den betroffenen Ministerialressorts und Parteien wurden bereits ausgetauscht. Das zu verfolgen mag man je nach persönlicher Betroffenheit und Lebenseinstellung traurig oder komisch finden. Doch wer tiefer in der isländischen Kultur und Geschichte nach Gründen für die aktuelle Misere sucht, entdeckt etwas, das allen Europäern bekannt vorkommen könnte: den Wunsch, modern zu sein und in einer globalisierten Welt zu den Gewinnern zu gehören - gepaart mit der Unfähigkeit, sich von traditionellen Mustern zu lösen.

Islands Ministerpräsident Geir Haarde hoffte auch auf Hilfe aus Moskau
 Islands Ministerpräsident Geir Haarde hoffte auch auf Hilfe aus Moskau

Aus den Sommerferien, die ich als Kind oft auf Island verbrachte, erinnere ich ein anderes isländisches Wort von ebenfalls nicht sehr vertrauenerweckendem Klang: verdbolga. Wörtlich heißt es Preisentzündung, also: Inflation. In den 80er-Jahren waren zweistellige Inflationsraten normal. Die Wirtschaft war komplett vom Fischexport abhängig, die Banken befanden sich größtenteils in staatlicher Hand, man brauchte eine Genehmigung, um die notorisch schwache Krone in D-Mark oder Dollar zu tauschen, und der Handel war streng reguliert - sogar der Verkauf von Bier war bis 1989 verboten. Es war die Zeit, in der jeder meinen Vater fragte: "Warum nimmst du keinen Kredit auf und kaufst hier eine Haus? Die Inflation wird es schon bezahlen."

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Aus der FTD vom 13.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: Privat, AP

 

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