Manche leiden unter zuckenden Augenlidern, andere haben ihre Hand, ihren Arm oder gar den ganzen Körper nicht mehr unter Kontrolle: Für Patienten mit der Bewegungsstörung Dystonie gibt es bislang nur wenig Hilfe.
Es war der Beginn eines jahrzehntelangen Albtraums für den jungen, von den Kritikern hochgelobten Pianisten Leon Fleisher: Mitten in den Vorbereitungen zu einer großen Tournee begannen sich 1963 die Finger seiner rechten Hand zu verkrampfen. Kein Training, keine Behandlung half, 40 Jahre lang konnte Fleisher nur noch mit der linken Hand spielen. Die Diagnose: Dystonie, eine nervlich bedingte Bewegungsstörung, an der allein in Deutschland 160.000 Menschen aller Altersstufen leiden.
Die Krämpfe und Muskelzuckungen können nicht nur an der Hand auftreten: Beim Schreib-, Musiker- oder Golfkrampf spielen Muskeln der Hand, des Armes bis hin zur Schulter verrückt. Beim zuckenden Augenlid gehorcht der Ringmuskel um das Auge nicht mehr. Und bei der "nervösen Heiserkeit" ziehen winzige Muskeln die Stimmlippen auseinander, sodass der Patient nur noch flüstern kann. Mitunter erfassen die Krämpfe auch eine Halbseite oder gar den gesamten Körper. "Wir sind noch meilenweit davon entfernt, die Dystonien zu verstehen, geschweige denn, sie zu heilen", sagt Dirk Dressler, Leiter des Bereichs Bewegungsstörungen an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Seit Jahrzehnten probieren Neurologen die unterschiedlichsten Präparate und Verfahren aus. Bislang mit wenig Erfolg. Gute Erfahrungen machen die Spezialisten, die sich in dieser Woche in Hamburg zu ihrem jährlichen Fachkongress treffen, ausgerechnet mit dem Nervengift Botulinumtoxin, besser bekannt unter dem Markennamen Botox. Es stoppt die Übertragung fehlerhafter Impulse vom Nerv auf den Muskel.
Die Quelle der Fehlsteuerung liegt in den motorischen Zentren des Gehirns, genauer gesagt einem Bündel von Hirnzellen namens Basalganglien. Erbliche Faktoren sind zumindest zum Teil dafür verantwortlich, dass diese verrücktspielen. "Jedes Jahr entdecken wir neue Gene, die für eine der seltenen, sich auf den gesamten Körper erstreckenden Dystonien verantwortlich sind", sagt Christine Klein, Professorin für Klinische und Molekulare Neurogenetik an der Uniklinik Lübeck.
Aber auch wenn nur eine einzelne Körperstelle zuckt, vermuten die Experten genetische Zusammenhänge. "Ein Viertel dieser Menschen hat Familienangehörige, die ebenfalls erkrankt sind", sagt Klein. Doch warum die Krankheit nicht bei allen Genträgern ausbricht, welche Faktoren das Geschehen zusätzlich begünstigen und warum es mitunter Jahrzehnte bis zum ersten Anfall dauert, weiß niemand. "Lange Zeit galten Dystoniker als psychisch krank und wurden von Arzt zu Arzt geschickt", sagt Dressler.
In ihrer anfänglichen Hilflosigkeit durchtrennten die Ärzte Muskeln, später kappten sie Nerven. Medikamente, die verhindern, dass das Gehirn Impulse an die Muskeln überträgt, haben Nebenwirkungen und lösen teilweise selbst Bewegungsstörungen aus. Weniger rabiat ist die Tiefe Hirnstimulation, bei der Ärzte feine Drähte an die Basalganglien führen und mit elektrischen Reizen die Motorik ordnen.
Aus der FTD vom 13.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD/Nikola Pieper
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