Kommentar

Die Semantik der Konjunkturprogramme

von Thomas Fricke

Es ist ein groteskes deutsches Phänomen: Das Wort "Konjunkturprogramm" ist quasi verboten. Dabei fordern die Autoren des Herbstgutachtens genau ein solches. Es nicht so zu nennen, ist albern.

ZUM THEMA

Deutschlands führende Wirtschaftsinstitute fordern von der Regierung, sie solle angesichts der heiklen konjunkturellen Lage Steuern senken, Abgaben reduzieren und ohnehin geplante Investitionen vorziehen. So etwas vorzuschlagen, klingt vernünftig, entspricht international gängiger ökonomischer Lehre und Praxis, und es könnte Schlimmeres verhindern. Umso absurder ist, mit welch verquastem Eifer die deutschen Forscher am Dienstag versuchten, dies bloß nicht als Konjunkturprogramm zu bezeichnen, sondern irgendwie als Wachstumsprogramm.

Hinter solcher Wortklauberei steckt ein groteskes deutsches Phänomen. Nirgendwo auf der Welt wird mit so viel ideologischem Eifer und alten Klischees über Konjunkturpolitik gezetert wie in Deutschland - als ginge das Abendland unter, wenn nur irgendwer das Wort ausspreche. Ein Geplapper, das althergebrachte Experten ebenso gerne wiederholen, wie stehengebliebene Politdogmatiker à la Friedrich Merz.

Dabei gibt es weltweit mittlerweile etliche Studien, die ganz nüchtern diagnostizieren, wie Hilfen wirken, die ausdrücklich zur kurzfristigen Stützung der Konjunktur eingesetzt werden. Mit dem Ergebnis, dass so etwas keine Weltwunder wirkt, aber eben auch nicht sinnlos oder unverantwortlich ist, im Zweifel sogar entscheidende Entlastung bringt. Als die US-Regierung 2001 Steuerschecks verschickte, half dies nach Studien hoch angesehener Ökonomen, die Rezession zu verkürzen und eine konjunkturell kritische Phase zu überbrücken. Der Internationale Währungsfonds, alles andere als ein Hort des Keynesianismus, diagnostiziert im jüngsten Weltausblick ebenso nüchtern, wie und wann genau Konjunkturpakete wirken können - nachdem er zig solcher Beispiele ausgewertet hat. Und die Experten beschreiben auch, dass sie am besten wirken, wenn sie sehr gezielt eingesetzt werden und befristet sind.

Dieser neue Pragmatismus scheint auch bei Deutschlands Ökonomen allmählich anzukommen - die sich unerklärlich lange dagegen gewehrt hatten und lieber auf ideologische Grabenkämpfe setzten. Die Nachwirkungen zeigen sich auch im zitierten aktuellen Herbstgutachten. Wenn die Experten schon einsichtig fordern, Steuern und Abgaben zu senken sowie Investitionen zu erhöhen, weil das (auch) die Konjunktur stützt, dürfen sie das auch so nennen: Konjunkturprogramm. Ganz pragmatisch, ganz ideologiefrei. Das Drumherumreden ist albern.

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FTD.de, 14.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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