Out of Office

Russlands Manager spielen Wildwest

von Andrzej Rybak (Moskau)

Wenn sich Moskaus Reiche austoben wollen, fahren sie auf einen Reiterhof vor der Stadt. Dort spielen sie Cowboy und Indianer oder verkleiden sich als Zigeuner. Selbst Firmen nutzen das Angebot - zur Mitarbeitermotivation.

ZUM THEMA

Als Sheriff Jack den Saloon betritt, verstummen die Gäste sofort. Die Cowboys an der Bar stellen ihre Whiskeygläser ab. Angespannte Stille. Jack mustert die Gäste mit zusammengekniffenen Augen, dann geht er auf einen Tisch zu, an dem zwei Banditen sitzen. "Steht auf", brüllt er ihnen entgegen - doch bevor irgendjemand den Colt ziehen kann, ertönt ein schrilles Bibip-bibip-bibip. Der Bandenführer greift zum Handy.

Im realen Leben ist der Bandit Verkaufsmanager einer großen russischen Immobilienfirma. Die opulente Barfrau, die den Cowboys Whiskey einschenkt, arbeitet bei einer Moskauer Bank. Verkleidet in Wildwestmanier feiern die beiden mit Freunden ihren Hochzeitstag.

Der Saloon steht an einer malerischen Flussbiegung der Moskwa, rund 120 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt. Er gehört zum Reitzentrum Avanpost, das seinen Gästen neben Reitunterricht auch ungewöhnliche Themenunterhaltung bietet. Gelangweilte Manager und Banker, die schon alle Fünfsternehotels von Marbella bis Antalya kennengelernt haben, können hier in verschiedene Rollen und unterschiedliche historische Epochen hineinschlüpfen.

Auch Manager wollen einmal im Leben Cowboy sein
 Auch Manager wollen einmal im Leben Cowboy sein

Mit einer Gruppe von Freunden hat Jewgeni Matusow das Reitzentrum Avanpost 1996 gegründet. Die jungen Leute wollten die Pferde retten, die der dortige Agrarbetrieb an eine Fleischfabrik verkaufen wollte, weil er pleitegegangen war. Sie nahmen rund 40.000 $ Kredit auf und kauften die Sowchose samt Ställen und 20 Pferden auf. Um die Schulden abzahlen zu können, vermieteten sie die Pferde an die reitwillige Moskauer Kundschaft. Irgendwann haben sie eine Jagd für die neureichen "Bisnesmjeny" organisiert. Sie war ein Riesenerfolg - und der Startschuss für die Unterhaltungsprogramme.

Nun boomt das Geschäft. Avanpost hatte im vergangenen Jahr rund 15.000 Besucher. Seit einiger Zeit wird der Reithof vor allem von Firmen gebucht, die den Teamgeist ihrer Mitarbeiter stärken wollen. Zu den Kunden gehören auch große Konzerne wie Microsoft und American Tobacco, Mars und Kaspersky, Beeline und Xerox. Die Grundkosten für ein Programm liegen bei 1000 bis 4000 Rubel pro Person und Tag.

"Historische Kostüme sind nur ein Teil des Spiels", sagt Matusow. "Die Leute müssen bestimmte Aufgaben erledigen, die in der jeweiligen Zeit zum Alltag gehörten." Die Gäste können unter 20 verschiedenen Programmen wählen, wie zum Beispiel "Rodeo", "Auf dem Kriegspfad", "Adelsjagd" und "Zigeunerumzug".

Besonders beleibt sind Zigeunerumzüge. Avanpost-Experten bringen den Gästen die Kunst des Wahrsagens, Zigeunertänze und das Messerwerfen bei. Dann bricht die Wagenkolonne in die Stadt auf. Dort müssen die Zigeunernovizen versuchen, Geld für die Gruppe zu verdienen. "Es ist einmal passiert, dass die Miliz unsere Zigeuner für echt hielt und sie festnehmen wollte", erzählt Matusow. "Die Beamten waren überrascht, dass alle Teilnehmer in Moskau gemeldet waren."

Wer nicht Zigeuner sein will, kann es auch vornehmer haben: "Man kann auch eine Adelsresidenz mieten, und wir veranstalten dort nach der Jagd einen Ball." Dann werden auch klassische Tänze getanzt. "Wir wollen die guten alten Traditionen wiederbeleben", so der Veranstalter.

Gegen schlechte Sitten geht er vor: "Wer saufen will, ist bei uns falsch. Wodka und Whiskey gibt es erst abends nach dem Programm."

Manchmal macht er eine Ausnahme - wenn jemand seinen Hochzeitstag im Saloon feiert. Das geht nicht ohne Whiskey.

Google Tausendreporter Furl YiGG Mister Wong del.icio.us Webnews

Bookmarken bei ...

 

Aus der FTD vom 13.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD

 

 Nachrichten 

Out of Office

Bisher kannte fast niemand das spanische Dorf Miravete - dann wurde es Teil eines Experiments. mehr

Kino

In den Kinos starten unter anderem die Filme "Der Brandner Kaspar" und "Hellboy II". mehr

Kunst

Vier Schauen, die diese Woche einen Besuch lohnen. mehr

Sightseeing mit Philippe Starck

Starck zeigt Francesca Fearon sein Austernparadies vor der Halbinsel Cap Ferret an Frankreichs Westküste. mehr

Out of Office

Auch die 60. Buchmesse wirbt mit Superlativen - doch Bücherwürmer wollen vor allem Abwechslung. mehr

Mein erstes Mal

Für alles gibt es ein erstes Mal. Heute: wieder Fleisch essen. mehr

Bühne

Diesmal die Opern "Rienzi" und "Der erste Kaiser" sowie die Schauspiele "Noras Baby" und "Die Präsidentinnen". mehr

Kamine

Moderne Feuerstellen wärmen nicht nur schön, sondern bringen Design ins Haus. mehr

Der wöchentliche Comic von Gábor Zádor und Tillmann Prüfer. Heute die Folge: 4 Anzeichen von Konjunkturkrisen. mehr

Bürosport

FTD.de gibt Fitness-Tipps fürs Büro. Diesmal: Energie tanken. mehr

Out of Office

Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera soll 1950 einen Antikommunisten verpfiffen haben. mehr

Reich-Ranicki beim Fernsehpreis

FTD.de erklärt die Gründe für den Ausbruch des Literaturkritikers und zeigt das Video mit seinem Auftritt. mehr