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Kolumne

Christian Schütte: Mehr Kapitalismus wagen

von Christian Schütte

Wer das Finanzsystem stabiler machen will, der darf erst gar keine unlimitierten Hilfserwartungen wuchern lassen, denen sich der Staat später nur noch um den Preis des großen Kollaps verweigern kann.

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Eine Hauptschwäche sozialistischer Staatswirtschaften ist das, was der ungarische Ökonom Janos Kornai einst als "Soft Budget Constraint" beschrieben hat: Betriebswirtschaftliche Budgetgrenzen werden durchgängig politisch "aufgeweicht".

Unternehmen mit einem "Soft Budget Constraint" müssen Verluste nicht allein tragen, sondern können stets auf Hilfe vom Staat hoffen. Über Sein oder Nichtsein eines Unternehmens entscheiden nicht dessen Zahlen, sondern die Einflussmöglichkeiten bei der Politik.

Schon Kornai hat betont, dass diese fatale Spielregel keineswegs nur im reinen Sozialismus vorkommt. Es ist offenkundig, dass sie auch in der Entwicklung der großen kapitalistischen Finanzkrise eine Schlüsselrolle spielt.

Der Versuch der US-Regierung, im letzten Moment doch einmal Nein zu sagen, hat deshalb erst recht wie ein Brandbeschleuniger gewirkt: Seit Washington sich am 15. September entschloss, eine Pleite der großen Investmentbank Lehman Brothers sehenden Auges hinzunehmen, eskalierte im Finanzsystem eine Vertrauenskrise, die uns an den Rand einer Wirtschaftskatastrophe getrieben hat.

Den Regierungen bleibt nun erst einmal gar nichts anderes übrig, als billionenschwere Katastrophenabwehr zu leisten. Trotzdem muss jedem klar sein, dass damit auf Dauer noch viel größere Risiken heraufbeschworen werden.

"Too big to fail"

Ein stabileres Finanzsystem braucht langfristig genau das Gegenteil der aktuellen Politik: Schärfere private Haftung und Kapazitätsabbau bis hin zum Konkurs; eine verringerte Rückendeckung durch "Vater Staat". Im Klartext: mehr Kapitalismus - nicht weniger.

Es ist charakteristisch für Kornais "weiche Budgetbegrenzung", dass sie nicht auf Gesetzen und Verträgen beruht. Sie ist vielmehr eine Art unsichtbare Hand des Staates, wirksam in Form von Erwartungshaltungen, die sich auf kollektive Erfahrungen stützen.

Im Finanzsystem verbirgt sie sich vor allem in der Zauberformel: "Too big to fail - zu groß, um kaputtzugehen". Jenseits aller Verträge nimmt fast jeder einfach an, dass der Staat schon für das Überleben bestimmter Akteure sorgen wird. Darauf verlassen sich diese Akteure selbst. Darauf verlassen sich aber auch deren Geschäftspartner, vom Kleinsparer bis zum Großbankenvorstand. Nahezu blind.

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Aus der FTD vom 20.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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