Am Samstag bekommt die SPD einen neuen Chef. Jetzt braucht die Partei noch eine neue Sicht auf die Agenda 2010. Andernfalls kann der Umgang mit dem Reformwerk im Abschwung zur Hypothek werden.
Sebastian Dullien ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der FHTW Berlin
Nach dem Rücktritt von SPD-Chef Kurt Beck jubelten viele Kommentatoren, die Parteiführung sei endlich wieder zu einer einheitlichen Linie in der Wirtschaftspolitik zurückgekehrt. Sowohl der Kanzlerkandidat als auch der neue Parteivorsitzende stehen fest hinter der Agenda 2010. Frank-Walter Steinmeier war als Kanzleramtschef an der Architektur des Reformpakets beteiligt. Franz Müntefering, der am Samstag auf einem Sonderparteitag erneut zum SPD-Chef gewählt wird, hielt die Partei bereits in seiner ersten Amtszeit auf Agenda-Linie.
Dann kam die jüngste Zuspitzung der Finanzkrise. Nach ein paar Startschwierigkeiten gab Finanzminister Peer Steinbrück den großen Retter und nahm die unglaubliche Summe von 500 Mrd. Euro in die Hand, um das deutsche Bankensystem zu stabilisieren.
Doch auch wenn derzeit der Sozialdemokrat Steinbrück Lob als kluger Krisenmanager einheimst: Der Umgang mit der Agenda 2010 droht im Bundestagswahlkampf noch einmal zu einer schweren Hypothek für die SPD zu werden. Die Partei hat trotz des Wechsels an der Spitze nach wie vor keine einheitliche Lesart des Reformpakets. Das könnte sich gerade im Abschwung bitter rächen.
Bis zur Haushaltsdebatte Mitte September stilisierten die Agenda-Anhänger das Paket zum großen Reformwerk, das Deutschland den jüngsten kräftigen Aufschwung gebracht hat. Der linke Flügel hat sich dagegen mit den Reformen nie richtig angefreundet. Auch wenn viele Linke ihre offene Kritik eingestellt haben, nachdem sie aus Parteiräson im Wahlkampf das Paket selbst verteidigt haben, halten viele das Reformwerk für verantwortlich für ein raueres soziales Klima.
Problematisch dürfte dieser Bruch werden, wenn die bisherige Lesart des Agenda-Flügels mit der Realität kollidiert: Alle seriösen Vorhersagen sehen Deutschland am Rande oder bereits in einer Rezession. Bis zur Bundestagswahl 2009 könnte es infolge des Konjunktureinbruchs zwischen einer Viertel- und einer halben Million mehr Arbeitslose geben als heute.
Wird aber der Abschwung so schnell spürbar - und stellt sich möglicherweise heraus, dass Deutschland trotz Reformen vom globalen Abschwung stärker erwischt wird als die USA oder Frankreich, wie es viele Prognosen vorhersagen -, so wird auch das Loblied auf die Agenda unglaubwürdig. "Warum trifft uns der Aufschwung so hart, wenn wir doch so gut reformiert haben?", werden dann nicht nur die Vertreter der Linkspartei, sondern auch viele Sozialdemokraten und potenzielle SPD-Wähler fragen.
FTD.de, 18.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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