Rückverstaatlichung von Konzernen

Dossier Kreml auf Einkaufstour

von Verena Diethelm (Moskau)

Der Kreml nutzt die Finanzkrise in Russland, um seinen Einfluss in der Wirtschaft zu erhöhen. Sein 50-Mrd.-$-Hilfspaket ist so geschnürt, dass es ganz in der Hand von Präsident Dmitri Medwedew und Regierungschef Wladimir Putin liegt, welche Unternehmen profitieren.

Analysten zufolge haben Staatsunternehmen und Firmen, die in strategisch wichtigen Branchen tätig sind, die besten Chancen, in den Genuss eines geförderten Kredits zu kommen. "Der Staat kann jetzt Rache nehmen", sagt Iwan Iwantschenko, Chefstratege der russischen VTB-Bank. Jene, die einst die Juwelen der russischen Wirtschaft für Kleingeld eingeheimst haben, würden diese wieder an den Staat verlieren.

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Bis Ende 2009 müssen russische Unternehmen und Banken ausländischen Kreditgebern 160 Mrd.$ zurückzahlen. Das Hilfspaket der Regierung weckt auch großes Interesse der Oligarchen. Bei der russischen Außenhandelsbank VEB, die für die Vergabe der Kredite zuständig ist, sind seit Ausbruch der Finanzkrise Anfragen in Höhe von über 70 Mrd. $ eingegangen.

Doch der Preis für die Hilfe ist hoch. Denn die Gewährung eines VEB-Kredits ist an bestimmte Kriterien gebunden, die dem Staat weitreichenden Einfluss in den gestützten Konzernen gewähren. Russische und westliche Beobachter warnen darum, die Regierung in Moskau nutze die Finanzkrise für einen Verstaatlichungsprozess.

So qualifizieren sich nur Unternehmen für einen Kredit, die eine strategische Bedeutung für das Land haben, in Russland investiert oder russische Beteiligungen gekauft haben und zugleich über eine Refinanzierung in Höhe von 25 Prozent aus anderen Quellen verfügen. Darüber hinaus sichert sich die staatliche VEB umfangreiche Mitbestimmungsrechte. Die Kreditnehmer müssen ihre künftigen Finanzierungspläne und alle Transaktionen, die mehr als 10 Prozent der Anteile betreffen, mit dem Staat abstimmen und einen VEB-Vertreter in ihren Aufsichtsrat aufnehmen.

"Der Zusammenbruch des Aktienmarkts, die Margin-Calls der Banken und der Mangel an Krediten haben die, die noch nicht vor allzu langer Zeit die Herrscher des Universums waren, wieder zum Nullpunkt gebracht", sagt Analyst Iwantschenko über die russischen Oligarchen. Diese hätten sich durch die Aufnahme hoher Schulden selbst in Schwierigkeiten gebracht und würden ihr Vermögen nun wieder an den Staat abtreten müssen. Aus Sicht Iwantschenkos ist die heutige Situation die Umkehr der 90er-Jahre, als sich der bankrotte Staat von den Oligarchen helfen lassen musste und im Gegenzug seine wertvollsten Beteiligungen an die Privatunternehmer verlor.

Handel an der Moskauer Börse MICEX
 Handel an der Moskauer Börse MICEX

Zur Unterstützung der Wirtschaft hat die Regierung, zusätzlich zu dem 50-Mrd.-$-Paket, den großen staatlichen Banken 36,5 Mrd. $ zur Verfügung gestellt, die diese an Unternehmen in Form von Fünfjahreskrediten weitergeben sollen. Experten bezweifeln jedoch, ob dieses Geld gerecht an die notleidenden Firmen verteilt wird. "Vor allem kleine und mittelständische Betriebe brauchen das Geld. Sie haben aber Probleme, Zugang zu den staatlichen Krediten zu erhalten", sagte Analystin Julia Buschujewa von der Unicredit Aton. Nur wer als Unternehmer einen guten Draht in den Kreml habe, werde versorgt.

Im Radiosender "Echo Moskwy" warnte die kremlkritische Journalistin Julia Latynina kürzlich, in Russland würden lediglich Banken gerettet, an denen ein Minister ein persönliches Interesse habe. So soll die Investmentbank #KIT Finance#, bei der die russische Bahn eingestiegen ist, Finanzminister Alexej Kudrin nahestehen. Die Sviaz Bank, die bereits von der VEB gerettet wurde, wird hingegen dem Einflussbereich des früheren IT-Ministers Leonid Reiman zugerechnet.

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Aus der FTD vom 17.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: AFP

 

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