Mit viel Pomp und Tränen trägt Österreich Jörg Haider zu Grabe. Sogar der politische Gegner fordert Respekt für den Rechtspopulisten. Und seine Anhänger verlangen Heldenverehrung.
Vor dem Szenecafé Stadtkrämer, einem Schwulentreff in Klagenfurt, spielen sich hässliche Szenen ab. Ein ausländisches Fernsehteam, das vor dem Lokal dreht, wird bedroht. Was davon zu halten sei, dass sich Jörg Haider vor seiner Todesfahrt im Stadtkrämer einen angetrunken habe, will der Reporter wissen. "Hauen Sie ab, bevor ich es mir anders überlege", schimpft ein Mann in Kärntner Tracht und schüttelt erzürnt den Kopf. Es ist Samstag, der Tag, an dem Österreich seinen bekanntesten Rechtspopulisten mit viel Pomp und Tränen in der Kärntner Hauptstadt zu Grabe trägt.
Wilde Verschwörungstheorien über den Unfalltod Haiders kursieren. Der Alkohol sei ihm eingeflößt worden, schreiben anonyme Kommentatoren im Internet. Karlheinz Klement, wie Haider ein ehemaliger Politiker der nationalkonservativen Freiheitlichen Partei (FPÖ), brachte sogar den israelischen Geheimdienst Mossad ins Spiel. Klement hatte in Österreich einst für Empörung gesorgt, als er Homosexualität als "Kultur des Todes" bezeichnete.
Immer mehr Details über Haiders letzte Stunden kommen ans Licht. Kurz bevor er am 11. Oktober mit 1,8 Promille und stark überhöhter Geschwindigkeit in seinem Dienstwagen von der Straße abkam, war der 58-Jährige mit einem Begleiter im Stadtkrämer aufgetaucht. Fotos belegen das. Die Polizei kennt die Identität des jungen Mannes, mit dem der stets braungebrannte Politiker seinen letzten Abend verbrachte.
Doch nur wenige österreichische Zeitungen berichten über den Besuch im Stadtkrämer. Haiders Familie zeigte den Staatsanwalt an, weil dieser den Medien zu viele Ermittlungsergebnisse verraten haben soll.
Auch darüber, dass der Chef der rechten Partei Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) gegen Ausländer und Asylanten hetzte und den Nationalsozialismus verharmloste, redet keiner. In Kärnten gilt Haider als Volksheld. Zuletzt war er mit über 40 Prozent Zustimmung zum Landeshauptmann gewählt worden. Bei den Parlamentswahlen Ende September feierte Haider auch in der Bundespolitik ein Comeback.
Österreich reagiert nun, als sei einer der größten Politiker aller Zeiten gestorben. Haider wurde am Wochenende mit einem Staatsbegräbnis ersten Ranges verabschiedet. "König der Kärntner Herzen" oder "Du warst für uns immer etwas Besonderes" stand auf Transparenten in der Klagenfurter Innenstadt. Mit Bundespräsident Heinz Fischer und Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) an der Spitze war die gesamte Regierung anwesend. Das österreichische Fernsehen übertrug das Begräbnis live, ein Aufwand, der zuletzt bei Papst Johannes Paul II. gemacht wurde.
Wegen des großen Andrangs in Klagenfurt musste die österreichische Bahn Sonderzüge einsetzen. Nach Angaben der Polizei reisten rund 25.000 Trauergäste an. Der befürchtete Aufmarsch von rechtsextremen Politikern aus dem Ausland blieb jedoch aus. Frankreichs Rechtspopulist Jean-Marie Le Pen und die Mussolini-Enkelin Alessandra sagten ihre Teilnahme ab. Vor dem Amtssitz des Landeshauptmanns, wo sein Leichnam aufgebahrt war, erstreckte sich ein Meer von Blumen und Kerzen. In den engen Gassen der Klagenfurter Altstadt drängten sich die Menschen seit den Morgenstunden, um einen Blick auf den Trauerzug zu werfen.
Die Prozession mit einer Ehrengarde des Militärs wurde von Haiders Ehefrau Claudia und seinen erwachsenen Töchtern angeführt. Auch der Sohn des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi hatte sich eingereiht, Saif al-Islam Gaddafi war mit Haider befreundet. Vertreter von rechten Burschenschaften reckten ihre Degen in die Höhe.
"Es geht eine Welle der Trauer und Anteilnahme durch das Land, die Österreich in dem Ausmaß nicht gekannt hat", sagte Haiders Weggefährte, der frühere Justizminister Dieter Böhmdorfer bei der Trauerfeier. "Die Sonne ist vom Himmel gefallen", befand Haiders Nachfolger als Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler.
Sogar der politische Gegner, Bundeskanzler Gusenbauer (SPÖ) forderte, man müsse Haider über alle politischen Grenzen hinweg Respekt zollen. Haider habe niemanden kalt gelassen, im positiven wie im negativen Sinne, sagte der Kanzler. Man müsse anerkennen, dass er ein Mensch gewesen sei, "der außergewöhnlich war".
Aus der FTD vom 20.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: AP, dpa
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