Die EU hat im Eilverfahren Maßnahmen zur bilanziellen Entlastung des Finanzsektors beschlossen. Ziel ist es, die Abschreibungswelle der zurückliegenden Quartale zu stoppen, die viele Banken an den Rand des Ruins getrieben hatte.
Nach der EU-Kommission bewilligte auch das Europaparlament die zuvor vom nichtstaatlichen Bilanzierungsrat International Accounting Standards Board (IASB) beschlossenen Änderungen.
Danach dürfen Banken bereits für das dritte Quartal 2008 bei Wertpapieren, die zum Zeitwert zu bilanzieren sind, das Barwertverfahren anwenden. Sie dürfen also künftig erwartete Einzahlungsüberschüsse bei der Bewertung zugrunde legen. Dadurch entfällt der Zwang, bei illiquiden Märkten Preise anzusetzen, die nur bei Notverkäufen oder Zwangsliquidationen erzielt werden könnten.
Diese Maßnahme, die sich mit einer entsprechenden Richtlinie der amerikanischen Wertpapieraufsicht deckt, soll die Abschreibungswelle der zurückliegenden Quartale stoppen. Weltweit sind dadurch viele Banken an den Rand des Ruins oder - wie Lehman Brothers - in den Bankrott getrieben und das Finanzsystem in die tiefste Krise seit den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gestürzt worden.
Des Weiteren dürfen Banken unter bestimmten Voraussetzungen zum Zeitwert (Fair Value) bewertete Wertpapiere des Handelsbestands in die marktfernere Kategorie "Halten bis Endfälligkeit" umklassifizieren. Auch dies hatte der IASB vorgegeben und war damit über die in den USA gültigen Bilanzregeln US-GAAP hinausgegangen.
EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hatte gedroht, eine alternative Reform der Fair-Value-Bilanzierung durchzusetzen, falls die IASB-Vorschläge nicht weit genug gingen. McCreevy ging es vor allem darum, Wettbewerbsnachteile für europäische Finanzinstitute zu verhindern, die sich aus der erleichterten Zeitwertbilanzierung für US-Banken ergeben könnten.
Nachdem der IASB jedoch rechtzeitig reagiert hatte, wurden seine Vorschläge von der EU am Mittwoch einstimmig angenommen. Allerdings drohen nun neue Konflikte mit den US-Regulierern. Zwar wurden ihre Änderungen der Zeitwertbilanzierung jetzt von der EU übernommen. Mit den erweiterten Reklassifizierungsoptionen wird jedoch ein neues Hindernis für die seit Jahren angestrebte Konvergenz zwischen den vom IASB entwickelten internationalen Bilanzregeln IFRS und den US-GAAP errichtet. "Zuerst mussten wir aus Wettbewerbsgründen zu den US-GAAP aufschließen, jetzt geben die IFRS den US-GAAP den Takt vor", sagte ein Regulierer.
Aus der FTD vom 16.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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