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Kolumne

Lucas Zeise - Geheimniskrämer Steinbrück

von Lucas Zeise

Der Finanzminister setzt bei der Rettung deutscher Geldinstitute weiter auf Diskretion statt auf Offenheit. Damit untergräbt er das Vertrauen in das Bankenwesen des Landes.

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Was hat dem Finanzminister die Erleuchtung gebracht? Wir wissen es nicht genau. Jedenfalls muss sie Peer Steinbrück zwischen dem 16. und dem 25. September ereilt haben. Denn als er am 16. September den Haushalt in den Bundestag einbrachte, waren die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Bundesrepublik "begrenzt". Da machte er sich lustig über die Pessimisten, die Untergangsszenarien an die Wand malen und Szenarien "entwerfen, die mit schöner Regelmäßigkeit im günstigsten Fall zum Untergang des Abendlandes führen". Neun Tage später gab Steinbrück im Hohen Hause eine Regierungserklärung ab, in der er die Finanzmarktkrise nicht nur als ernst, sondern als größte seit Jahrzehnten bezeichnete. Sie werde weltweit niedrigere Wachstumsraten zur Folge haben. Man müsse sich auf eine ungünstigere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt einstellen, die Realwirtschaft werde beeinträchtigt.

Steinbrück vertritt seine Ansichten stets engagiert. Deshalb vollzog er auch diesen Meinungsschwenk mit Steinbrück'scher Radikalität. Aber warum jetzt? Hat Steinbrück vielleicht einen exklusiven Wink aus München vom Ifo-Institut erhalten, dessen Klimaindex nun schon das vierte Mal in Folge gefallen ist? Hat Bundesbankpräsident Axel Weber ihm offenbart, dass sein demonstrativer Konjunkturoptimismus nur vorgetäuscht ist, um die Kollegen Notenbanker vom Sinn höherer Leitzinsen zu überzeugen?

Ein Hinweis von Jochen Sanio

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Die Wahrheit ist schlimmer: BaFin-Chef Jochen Sanio dürfte Steinbrück bedeutet haben, dass deutsche und europäische Kreditinstitute in Gefahr sind. Das erklärt, warum Steinbrück vorsorglich erklärte, die USA seien als Supermacht der Finanzen am Ende.

Erst seit Sonntag weiß auch die Öffentlichkeit, dass der Dax-Konzern Hypo Real Estate (HRE) vor der Pleite stand. Es ist verständlich, wenn Steinbrück den Grund seiner Sorgen verheimlicht, solange er das akute Problem nicht gelöst hat. Völlig unverständlich aber ist die Geheimnistuerei, wenn die Bank mit viel Geld vorläufig gerettet wird. In der Mitteilung der HRE vom Montagmorgen ist von der Kreditlinie eines Konsortiums die Rede. Man erfährt weder etwas über dessen Mitglieder noch über die Höhe des Betrags, um den es geht. Es geistert die Summe von 35 Mrd. Euro durch den Raum. Schließlich bringt eine Nachrichtenagentur nebenbei in Erfahrung, dass der Staat die Garantie übernimmt. Näheres werde den Parlamentariern des Haushaltsausschusses mitgeteilt.

Da sind einem die Verhältnisse in den USA fast lieber. Da prahlen zwar die Banken, kurz bevor sie vom Staat aufgefangen werden, noch mit der angeblichen Stärke ihres Eigenkapitals. Aber wenn es dann so weit ist, wird wenigstens der Umfang der Rettungsaktion genannt und die Last für den Staatshaushalt. Auch wenn die Beneluxstaaten die Fortis-Bank retten, werden wenigstens die eingeschossenen Beträge und die damit erworbenen Anteile an der Bank genannt. Anders in Deutschland. Das Vertrauen in Banken und Staat wird hier durch vertrauliches Schweigen und Geraune untergraben. Wir wissen nicht einmal, warum die Rettungspakete für die Mittelstandsbank IKB so bankenverbandsfreundlich geschnürt wurden. Im Schulterschluss mit der Union verweigert das Finanzministerium die Aufklärung und hat bisher einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema verhindert.

Doch die Erkenntnisse mehren sich. So wissen wir, dass mit HRE und Fortis Banken umfallen, die noch vor Kurzem große Übernahmen gestemmt hatten. Wir wissen, dass der Kauf der Depfa durch die HRE für 5 Mrd. Euro im Sommer 2007 ein krasser Fehler war. Das Geschäftsmodell der Depfa, deren langjähriger Chef Gerhard Bruckermann sie von Wiesbaden ins regulierungsarme Irland versetzte und zuletzt wie sauer Bier zum Verkauf anbot, hat sich seit damals nicht geändert: Langfristige Staatsschulden wurden kurzfristig refinanziert. Dieses Modell hat gleich nach der Übernahme nicht mehr funktioniert, da es mit der Liquidität am Geldmarkt in der Finanzkrise vorbei war.

Europa rutscht in eine eigene Bankenkrise

 

Darf sich der Staat an der Rettung der Hypo Real Estate beteiligen?


78 Beiträge
02.10.2008Letzter Beitrag

Auch das Desaster bei Fortis hängt mit deren jüngstem Übernahmecoup zusammen. Angestiftet von den klugen Leuten beim Hedge-Fonds TCI und der inzwischen selbst übernommenen Investmentbank Merrill Lynch, glaubten die Fortis-Manager, sich das beste Filetstück der großen niederländischen ABN Amro einverleiben zu können. Daran hat sich die Bank jetzt verhoben.

Wir wissen auch, dass wir uns jetzt mitten in einer europäischen Bankenkrise befinden. Der deutsche Finanzminister wusste das schon, als er vorige Woche den USA vorwarf, viel zu spät gehandelt zu haben. Er hätte die Gelegenheit nutzen sollen, uns Hinweise zu geben, was er in dieser realen Bankenkrise zu tun gedenkt. Oder glaubt er ernsthaft, dass HRE und Fortis die letzten Notfälle sein werden? Steinbrück legte sogar einige Regulierungsvorschläge vor, von denen die meisten dürftig, andere etwas sonderbar anmuten. Kurz: Steinbrück kann noch besser werden.

Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der FTD.

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Aus der FTD vom 30.09.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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