Die USA sind politisch und ökonomisch an sich selbst gescheitert. Europa droht die selben Fehler zu machen - allen voran Berlin. Deutsche Politiker reden und handeln, als sei Europa etwas, das man auch bleiben lassen kann.
Voodoo-Economics nannte George Bush senior, ein Konservativer alten Schlages, im Wahlkampf einst die reaganoide Ideologie, die jetzt mit zerstörerischer Wucht implodiert. Die Folgen der Krise reichen weit über die Sphäre der Wirtschaft hinaus. Mit welch einer Penetranz hatte Amerika der Welt eintrichtern wollen, dass an seinem Wesen die Welt genesen wird, und wie hat Amerika sich in den vergangenen Jahren geirrt. Erst das Desaster im Irak, durch Hybris und Dummheit verursacht und nur durch Gegensteuern in letzter Minute vielleicht aufgefangen. Jetzt die Finanz- und Wirtschaftskatastrophe. Amerikas "soft power" ist auf einen Restposten reduziert. Wenn eine Mehrheit der US-Bürger in ein paar Wochen dumm oder rassistisch genug sein sollte, John McCain und die verheerende Sarah Palin ins Weiße Haus zu wählen, bleibt Freunden der USA nur die Hoffnung auf Amerikas Zukunft und die Trauer um Amerikas Vergangenheit.
Dass China, einzig kohärent-strategisch planende Macht auf dieser Erde, die US-Schwäche zur Expansion seines eigenen Einflusses ausnutzt, ist keine Prognose, sondern Realität. In Asien und anderen Kontinenten sind Pekings Emissäre unterwegs, um potenziell bedrängten Staaten Hilfe anzubieten - ohne die Auflagen, die Europäer und Amerikaner an solche Offerten knüpfen. Das militärische und ökonomische Scheitern Amerikas an sich selbst und der Republikanischen Partei wird eine massive Beschleunigung des Prozesses bewirken, bei dem der Westen vom Ordnungszentrum des Globus zu einer seiner Provinzen wird.
Machtverschiebung in der Welt - Machtverschiebung auch in Europa: Der politisch totgesagte Gordon Brown hat neues Lebenselixier aus der Krise gesaugt, indem er sich als Krisenmanager zu positionieren wusste. Man kann sich ein Lächeln darüber nicht verkneifen, teilte Brown doch mit seinem Vorgänger die skurril masochistische Neigung, Europa meist als Problem und Amerika meist als Lösung zu sehen. Doch Browns Triumph als Retter des Kontinents ist auf Sand gebaut, weil es die psychopathologische Europa-Aversion in Großbritannien jedem britischen Premier verbietet, auf Dauer effektive europäische Führung auszuüben.
Ganz anders ist das ideelle Fundament, das sich Europas anderem neuem Erfolgsmann bietet, dem sensationell regenerierten Nicolas Sarkozy. Frankreichs Präsident hat sich der Weltfinanzkrise mit derselben rastlosen Inbrunst angenommen wie zuvor des Georgienkriegs. Trotz der für seine Regierung typischen Koordinierungs- und Kontrollpannen hat Sarkozy es geschafft, den Eindruck eigener und europäischer Führungsstärke herzustellen - und Eindruck ist in der Krise mehr als die halbe Miete.
Wer dagegen ein Bild europäischer Schwäche - und schlimmer noch: des absoluten Vorrangs nationaler Interessenwahrung - projizierte, war Deutschlands Kanzlerin, kräftig assistiert von der diplomatischen Neutronenbombe Peer Steinbrück. Der schwarz-rot-goldene Sehschlitz, durch den der Bundesfinanzminister den Rest der Welt betrachtet, scheint ähnlich eng dimensioniert wie das Zielfernrohr des Gewehrs, mit dem Palin in Alaska auf Elchjagd geht. Es ist ein Zeichen des Niedergangs einer Partei, die vor langer Zeit dem Internationalismus verpflichtet war, einen so national denkenden Mann mit einem international so wichtigen Ressort betraut zu haben. Und es ist ein Zeichen des Niedergangs des europäischen Gedankens in deutschen Landen, dass die massive Kritik des Auslands an Angela Merkels Nichteuropakurs bei uns so wenig Echo fand.
In Deutschland ist offenkundig noch nicht angekommen, wie viel persönliches Vertrauenskapital Merkel ohne jeden Ertrag verausgabt hat, indem sie sich einem echten europäischen Vorgehen verweigert hat. Und es kommt der Verdacht auf, dass hier womöglich mehr vorliegt als ein Merkel- oder Steinbrück-Problem.
Aus der FTD vom 16.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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