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Kolumne

Thomas Klau: Gier ist gut, Kontrolle ist besser

von Thomas Klau

Der Marktabsolutismus ist in dieser großen Finanzkrise gescheitert. Daraus müssen endlich Lehren gezogen werden. Die Analyse der Ursachen dieser Krise muss auf Jahrzehnte zum Pflichtfach werden.

ZUM THEMA

Wir wissen noch nicht, wie schwer der Wachstumseinbruch in Folge der Vertrauens- und Liquiditätskrise des Finanzsektors werden wird. Schon die Tatsache, dass ein bedeutender Teil der amerikanischen Privathaushalte seinen laufenden Konsum in den vergangenen Jahren zum Teil auf Kredit finanzierte und Immobilienwertsteigerungen dabei als Sicherheit dienten, macht eine gravierende Rezession in den USA wahrscheinlich.

Irland ist als erstes europäisches Land bereits ins Negativwachstum gerasselt, andere werden folgen. Auch wenn die Rezession sich, wie man weiter hoffen kann, nicht bis zur Depression summiert und die Krise in der Finanzwelt dank massiver Staatshilfe relativ rasch eingedämmt werden kann - der Schaden wird schwer genug sein, um eine Beschäftigung mit den Ursachen dieser Krise auf Jahrzehnte zum Pflichtfach für Politiker und Ökonomen zu machen.

Strukturelle Krisenanfälligkeit

Es wird darauf ankommen, den analytischen Müll wegzuräumen, der sich schon jetzt auftürmt und leicht den Blick auf einfache Wahrheiten verstellt. Die erste: Der Kapitalismus ist strukturell anfällig für Krisen wie diese. Das wissen wir nicht erst seit dem frühen 18. Jahrhundert, als in London die South Sea Bubble und in Frankreich das Finanzsystem des Schotten John Law platzten.

Diese Strukturschwäche entsteht wie der Markt überhaupt aus dem menschlichen Streben nach Profit, das bei Gelegenheit und Neigung rasch zu grenzenloser Gier mutiert. Gewinnstreben und Gier sind, wie schon die Bibel missbilligend anzeigt, ein Charakteristikum praktisch jeder menschlichen Gesellschaft - und deshalb auch des Marktes.

Wahrheit Numero zwo: Der Markt und der Kapitalismus sind erfolgreich, weil sie den Menschen nehmen, wie er ist. Der Versuch des Kommunismus, Markt und Profitstreben zu unterdrücken, endete bekanntlich in der Tristesse verfallender Gebäude und miserabler Restaurants.

Ohne Spielraum für Gier kein Reichtum. Mit ihr - der Gier - Spekulation, die oft in die Krise führt. Das alles ist von größter Banalität, die Leser mögen mir verzeihen. Doch eben weil wir all dies seit Langem wissen und dieses Wissen zur Grundausstattung unseres ökonomischen und politischen Denkens gehört (und weil die Geschichte des 20. Jahrhunderts von 1929 bis 1933 daran erinnert hat, wohin all dies führen kann), ist unser kollektives Versagen in den Jahren vor dieser jetzigen Krise so erbärmlich.

Hypnotisiert, eingeschüchtert oder eingelullt von der Propaganda einer vermeintlich anderen, besseren neuen Zeit haben wir es zugelassen, dass der Finanzmarkt zu einem gigantischen Finanzkasino ausartete, bei dem mit dem Wohl und Wehe unserer Volkswirtschaften gezockt werden konnte, als handele es sich bloß ums Roulettespiel in Baden-Baden.

Wir haben zum Beispiel Gehaltsstrukturen geduldet, die die Sachwalter unseres ökonomischen Gemeinwohls auch dann zu vielfachen Millionären machte, wenn sie krass versagten. Wir haben vor allem kurzfristig kalkulierende Risikobereitschaft zügellos belohnt und langfristig planende Vorsicht finanziell bestraft und kulturell belächelt. Dieser Trend lässt sich seit mindestens 20 Jahren beobachten; er hat den alten, gemütlicheren rheinischen Kapitalismus vermutlich irreversibel obsolet gemacht, und das war, wie man jetzt vielleicht sehen wird, nicht nur gesellschaftlich ein Verlust.

Doch es kam schlimmer. Die unter massivem Druck vor allem der USA vorangetriebene, in manchen Fällen mit politischer Brachialgewalt erzwungene Liberalisierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs hat im Verbund mit der technologischen Revolution enorme Geldmassen in Spekulationsmodelle von solcher Komplexität versenkt, dass viele Banken selbst nicht mehr richtig wussten, wie es sich mit ihrer eigenen Bilanzposition verhielt. Man spielte nicht nur Roulette: Man spielte es mit verbundenen Augen, ohne zu wissen, wie viel Chips man noch hatte. System-Kassandras wie George Soros (der, wie ich an dieser Stelle angeben möchte, einen Teil meiner Einkünfte mitfinanziert) erging es wie dem antiken Vorbild; Troja lächelte müde und hörte nicht hin.

Es ist unerträglich, dass wir als politisches und ökonomisches Gemeinwesen nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts den Aufbau eines solchen Abgrunds von Risiko ohne nennenswerten Widerstand zugelassen haben. Die ersten Verantwortlichen sind in den Führungsetagen jener Kreditinstitute zu suchen, die ihre Trader in der Annahme machen ließen, es werde immer gut gehen, und die Finanzwollmilchsauen würden weiter goldene Eier legen.

Sonntagspredigten nützen nichts

Die zweiten Verantwortlichen sind wir alle, die wir aus Bequemlichkeit, Faulheit und Anpassertum das Denken und Kontrollieren anderen überließen. Dabei reichte schon ein kurzer Aufenthalt in den USA, um zu sehen, wie hoch verschuldeten Haushalten riskant besicherte Kredite angedient wurden. Ich erinnere mich bestens, wie mulmig ich die Sache bei meinem US-Aufenthalt vor zwei Jahren fand. Doch es gab andere, dringendere oder einfachere Themen.

Es ist Quatsch, das Prinzip Gier jetzt per Sonntagspredigt zu verteufeln und an Manager zu appellieren, bessere Menschen zu werden, damit die Märkte zu besseren Systemen mutieren. Wir müssen den Markt als das nehmen, was er ist, und wir müssen ihm per Staatseingriff Grenzen setzen, damit sein Überschäumen keine Strudel erzeugt, die wie 1929 alles in die Tiefe reißen.

Wir werden rascher erkennen und rascher handeln müssen, wenn neue Technologien neues Potenzial und damit neue Risiken erzeugen. Wir müssen Entlohnungsstrukturen gesetzlich bekämpfen, die ihre Nutznießer zu immer weiterem Risiko antreiben. Und wir müssen denen entgegenhalten, die uns gepredigt haben und weiter predigen werden, dass der Staat immer stört und der Markt immer die besseren Antworten hat. 2008 muss das Jahr werden, in dem der Absolutismus des Marktes sein ideologisches Ende fand.

Thomas Klau ist FTD-Kolumnist. Er leitet die Pariser Vertretung des European Council on Foreign Relations.

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Aus der FTD vom 02.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland

 

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