Die Bürger wissen bei den kommenden Wahlen nicht mehr, was sie für ihre Stimme bekommen. Das fördert die Wahl-Abstinenz. Bei der Bayern-Wahl dürfte dies deutlich werden.
Früher war die Welt in Bayern noch in Ordnung. Zu Zeiten eines Franz Joseph Strauß oder Edmund Stoiber wählte eine Mehrheit CSU, basta. Wer nicht CSU wählte, gehörte jedenfalls außerhalb der Großstädte zu einer Art religiöser Minderheit und konnte allenfalls hoffen, dass eines fernen Tages doch noch so etwas wie eine Revolution ausbricht.
Die Revolution findet allerdings auch jetzt nicht statt. Die CSU schwächelt, aber sie lässt sich gar nicht abwählen. Eine Wechselstimmung gibt es zwar im Kopf des SPD-Spitzenkandidaten Franz Maget, aber nicht im Land. Es geht allenfalls um eine Denkzettel-Wahl.
Früher hieß es CSU oder Opposition. Wer am Sonntag aber der FDP oder den Freien Wählern seine Stimme gibt, wählt trotzdem Günther Beckstein, denn beide Parteien haben dem Ministerpräsidenten schon eine Koalition angeboten. Wer dagegen weiter CSU wählt, kann sich nicht sicher sein, ob er überhaupt Beckstein bekommt, denn für den Fall eines Ergebnisses unter 50 Prozent werden in der Führung der Partei schon die Messer gewetzt. In so einer Lage kann man jeden verstehen, der gleich zu Hause bleibt: Die Grundrichtung bleibt, und die Details sind kaum beeinflussbar.
Konstellationen wie die in Bayern motivieren nicht gerade dazu, wählen zu gehen. Auch im Bund 2009 wird es viele Menschen geben, die nicht aus allgemeiner Politikverweigerung auf die Wahlbeteiligung verzichten, sondern aus einem anderen schlichten Grund: Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass man etwas anderes wählt, als man eigentlich wollte.
Auf Bundesebene werden sich die Parteien jetzt ein Jahr lang bemühen, ihr Profil zu schärfen um es dann wieder zu verwässern. In den ersten Monaten werden die Stammwähler programmatisch umgarnt, etwa mit Mindestlöhnen und Steuersenkungen, Atomausstieg und Atomeinstieg, mehr Geld und noch viel mehr Sparsamkeit. Später wird man dann wieder Hintertüren aufmachen, um sich keine mögliche Koalition von vornherein zu verbauen.
Das ist legitim, aber nicht motivierend für die Wähler. Das letzte Mal, dass die Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl gegenüber der vorhergehenden stark gestiegen ist, war 1998, als es tatsächlich eine Wechselstimmung gab.
Am einfachsten haben es bei der Bundestagswahl in einem Jahr die Wähler der Linken. Sie können zwar nicht damit rechnen, dass die Partei ihr Programm in einer Regierung teilweise durchsetzen kann. Wer Linke wählt, wählt Opposition und bekommt Opposition. Das ist für Oskar Lafontaine und Gregor Gysi eine recht bequeme Situation, in der man auf intellektuelle Anstrengungen verzichten kann. Wer eine Partei wählt, die sowieso nicht regieren wird, muss auch nicht überprüfen, ob ihre Versprechungen realistisch oder unrealistisch sind.
Die Wähler aller anderen Parteien bekommen ein dickes Problem, weil sie nicht wissen können, welche Koalition sie mit ihren Stimmen denn wählen. Denn wenn die Wahl ähnlich ausgeht wie 2005, mit fünf Parteien und keiner Kombinationsmöglichkeit aus einer großen und einer kleinen Fraktion, wird die Machtfrage in einer sehr kleinen Gruppe von Spitzenpolitikern in den Tagen und Nächten nach der Wahl geklärt. Selbst wer sich als Wähler aktiv die Fortsetzung der Großen Koalition oder ein Dreierbündnis wie die Ampel wünscht, kann das wegen des Wahlrechts nicht aktiv herbeiführen.
Bisher am geschicktesten beim Einwickeln der Wähler ist die Union. Wer bei ihr das Kreuzchen macht, bekommt Angela Merkel und eine dem Zeitgeist angepasste Politik der Mitte. Für die Stammwähler werden weitere Köder ausgelegt wie die längere Nutzung der Kernenergie oder Bundeswehreinsätze im Innern. Eine Revision des Atomausstiegs gibt es aber nur bei einer schwarz-gelben Koalition. An die glauben Union und FDP nach mehreren vergeblichen Anläufen aber selbst nicht mehr wirklich.
Aus der FTD vom 25.09.2008
© 2008 Financial Times Deutschland
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