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Ein leiser Grandseigneur

Eine Ausstellung erinnert an den Germanisten Peter Szondi
Von Oliver Bentz

Wie eine ferne Sage, eine Legende oder ein Gerücht" geistere der Name Peter Szondi heute immer wieder durch die Literaturwissenschaft. Dies bemerkte der neue Direktor des Marbacher Schiller-Nationalmuseums, Ulrich Raulff, anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Engführungen. Peter Szondi und die Literatur", mit der sein Haus zurzeit an den legendären Literaturwissenschaftler erinnert. Noch heute gehören Szondis Hölderlin- und Celan-Studien sowie Szondis "Theorie des modernen Dramas" zu den interessantesten Werken der Literaturwissenschaft.

Neben der wissenschaftlichen Arbeit und dem unkonventionellen Auftreten lassen vor allem die Lebensgeschichte und der 1971 gewählte Selbstmord Peter Szondi noch heute in einem geheimnisvollen Licht erscheinen. Zahlreiche Weggefährten und Schüler Szondis wie Ivan Nagel, Bernhard Böschenstein, Jean Bollack, Gert Mattenklott oder Klaus Reichert waren zur Vernissage angereist. Sie dokumentierten damit, welch großen Einfluss Szondi immer noch auf jene ausübt, die ihn kannten.

Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, einst Student und dann Freund Szondis, beschrieb dann auch in seiner Rede "Zum Bilde Szondis" sehr eindrücklich, was den Wissenschaftler, Homme de lettres und Menschen Szondi so bemerkenswert macht. Im Winter 1960 begegnete er als junger Student diesem "Hünen von einem Mann und Grandseigneur von bulliger Gestalt", dessen Stimme aber leise, ja fast tonlos klang.

Gespräche über Celan

Die Erwähnung des Namens Celan ließ den Lehrbeauftragten Szondi damals auf den jungen Studenten aufmerksam werden. Sie war der Beginn einer Beziehung, die weit über das zwischen einem Lehrer und einem Schüler hinausging. Streifzüge führten den permanent "Players" rauchenden Dozenten Szondi und den jungen Studenten Reichert durch den Grunewald, wobei Gespräche über Literatur geführt wurden - vor allem über Paul Celan: Wie kaum ein anderer hatte Szondi Zugang zu dem verschlossenen, in Paris lebenden Dichter aus der Bukowina, dessen Freund und genauester Exeget er in den sechziger Jahren war.

Das einzelne, autonome literarische Kunstwerk stand im Mittelpunkt von Szondis Interesse. Diese tiefe Versenkung ins Kunstwerk mit immer neuem, geschärftem Blick sollte ihm die Erkenntnis bringen, die prinzipiell nie an ein Ende kommen konnte. Szondi, der seine Gedanken streng und ernst, in knappen Formulierungen vorbrachte, ließ in seiner zutiefst subjektiven Methode nichts außerhalb des Textes gelten - er folgte keiner der literaturwissenschaftlichen Mode-Theorien, die den literarischen Werken gerne übergestülpt wurden und die heute großteils wieder vergessen sind. Nur in der Reflexion über den Gegenstand gab sich der noble, zurückhaltende Mann zu erkennen.

In Budapest 1929 als Sohn des Psychiaters Leopold Szondi, des Begründers der "Schicksalsanalyse", geboren, wurde Peter Szondi als Kind zusammen mit seiner Familie 1944 im letzten Moment aus dem Lager Bergen-Belsen vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten in die Schweiz gerettet. Dort studierte der junge Mann, der Walter Benjamin bewunderte und dessen Tante die Schriftstellerin Anna Seghers war, später bei Emil Staiger in Zürich. Sein erstes Buch, "Theorie des modernen Dramas", machte ihn 1956 mit einem Schlag berühmt. Es war das genaue Gegenteil der damals vorherrschenden Professorenprosa. Heute sind Szondis literaturwissenschaftliche Werke in 15 Sprachen übersetzt.

Szondi, der ab 1965 Professor an der Berliner "Freien Universität" war, sah sich zeitlebens mehr als Homme de lettres, denn als Hochschullehrer. Er nahm regen Anteil am blühenden literarischen Leben Berlins und war Stammgast der literarischen Veranstaltungen in der Stadt, die er oft mit Schriftstellern und Studenten bis in die Morgenstunden verlängerte. "Eine Art Schule von Athen oder meinetwegen auch Judenschule" sei das von Szondi geleitete "Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft" in Berlin-Dahlem damals gewesen, bemerkte der Szondi-Schüler Gert Mattenklott einmal. Es unterschied sich wohltuend von den durch die Kontinuitäten der Nazizeit noch belasteten anderen Instituten der Germanistik.

Verteidigung der Universität

In der bewegten Zeit der späten sechziger Jahre verteidigte Szondi die Universität in Schriften, öffentlichen Reden und offenen Briefen, die von den führenden deutschen Zeitungen wie der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Zeit" abgedruckt wurden. Er verstand die Universität als Ort des freien Geistes, den er von den politischen und ökonomischen Interessen, die unter anderem im Wissenschaftsrat vertreten wurden, bedroht sah. Desillusioniert von der Entwicklung der Universität in Berlin, ging Szondi 1971 nach Zürich.

Im April 1970 ertränkte sich Paul Celan in der Seine. Erst danach wagte es Szondi, die "Celan-Studien" zu veröffentlichen, die er dem Dichter versprochen
hatte. Ähnlich wie Celan blieb auch Szondi immer ein Fremder in der Welt. Mit bitterer Ironie bezeichnete er sich in Anlehnung an die staatenlosen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg als "self displaced person". Eineinhalb Jahre nach dem Selbstmord Celans ertränkte sich Peter Szondi im Berliner Halensee. Er wurde
im Familiengrab in Zürich beigesetzt.

Engführungen. Peter Szondi und die Literatur. Schiller-Nationalmuseum Marbach. Bis 27 März 2005. Der Katalog wurde von Christoph König und Andreas Isenschmid herausgegeben.

Freitag, 28. Jänner 2005

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