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Doping durch Genmanipulation?

Der Sport steht vor einer neuen ethischen Herausforderung
Von Peter Markl

Thomas H. Murray, Präsident des Hasting Center für bioethische Fragen in New York, hat schon einiges hinter sich, aber nach Athen wird er nicht fahren. Vielleicht ist das auch gut so - ein wenig Distanz ist gelegentlich hilfreich. Murray war Mitglied des Anti-Doping-Ausschusses des Nationalen Olympischen Komitees der USA, und das war die beruflich frustrierendste Zeit, die er bisher durchgemacht hat. Vor kurzem wurde er Vorsitzender der Diskussionsgruppe für bioethische Probleme der World Anti-Doping Agency. Bisher ist er noch davon überzeugt, dass es die World Anti-Doping Agency wirklich ernst meint mit dem Kampf gegen Doping. Aber was die ethischen Probleme in Bezug auf den Hochleistungssport betrifft, sieht er am Horizont eine Gefahr neuer Qualität auftauchen.

Vielleicht illustriert ein Blick zurück am besten, wie weit es in Sachen Doping schon gekommen ist: Es gab in der Geschichte der Olympischen Spiele wenige Ereignisse, die das 100-Meter-Finale der Olympischen Spiele 1988 in Seoul an Dramatik übertrafen. Wie es schien, traten hier die acht schnellsten Sprinter der Welt an die Startmaschinen, um einen neuen Beleg dafür zu liefern, wie schnell Männer über kurze Strecken laufen können, wenn sie in einem jahrzehntelangen, selbstquälerischen, wissenschaftlich erarbeiteten (oder zumindest als solchem verbrämten) Training das ausbeuteten, was ihnen die "Natur" an Anlagen bereitgestellt hat.

Ein Doping-Rekord

Die Resultate waren dann alles andere als "Natur pur". Heute weiß man, dass damals wahrscheinlich fünf der Sprinter gedopt waren: Ben Johnson, der nur sensationelle 9,79 Sekunden brauchte, wurde noch in Seoul wegen Dopings disqualifiziert. Carl Lewis, Goldmedaille (9,92 Sekunden), war schon während der nationalen Vorbereitung für Seoul durch drei positive Doping-Tests aufgefallen, die aber geheim gehalten wurden. Das amerikanische Olympische Komitee akzeptierte seine Behauptung, er hätte in voller Unschuld ein pflanzliches Aufbaumittel geschluckt. Linford Christie, Silbermedaille (9,97 Sekunden), war anfangs disqualifiziert worden, weil in seinem Urin das Aufputschmittel Ephedrin gefunden wurde. Er selbst erklärte, dass das Mittel in dem Ginseng-Tee gewesen sein müsse, den er getrunken hatte; diese Erklärung wurde damals akzeptiert. Vier Jahre später, 1992, gewann er eine Goldmedaille. 1999 aber wurde ihm Doping mit

dem Steroid Nandrolon nachgewiesen, und er wurde auf zwei Jahre gesperrt. Calvin Smith, Bronzemedaille (9,99 Sekunden), ist der einzige unter den ersten Drei, der weder 1988 noch später ernsthaft des Dopings beschuldigt wurde.

Dennis Mitchell, 4. Platz (10,04 Sekunden), hatte 1998 außerordentlich hohe Konzentrationen von Testosteron in seinem Urin, was er durch "5 Flaschen Bier und mindestens vier Mal Sex mit meiner Frau" in der Nacht vor der Probenahme erklärte. Der nationale, amerikanische Leichtathletikverband hielt das für ganz plausibel, die internationale Dachorganisation der nationalen Leichtathletikverbände dagegen nicht. Robson de Silva, 5. Platz (10,11 Sekunden) ist nie des Dopings verdächtigt worden. Desai Williams, 6. Platz (10,11 Sekunden), war schon 1989 von einer Kommission der kanadischen Regierung als dopingverdächtig eingestuft worden. Er hat später zugegeben, Steroide geschluckt zu haben. Ray Stewart, 7. Platz (12,26 Sekunden) war verletzt angetreten und daher Letzter geworden.

In Bezug auf Steroid-Doping war die Situation jedenfalls schon 1988 dermaßen außer Kontrolle geraten, dass man in den frühen 90er Jahren zum ersten Mal ernsthaft daran gehen musste, die Steroid-Betrüger zu verfolgen. Dadurch wurden neue Weltrekorde zunächst seltener. Damals schien es jedenfalls, als ob die Doping-Fahnder innerhalb der nächsten zwei Jahre die Kontrolle wieder gewonnen hätten. Dann aber kam die dramatische Wende: 2002 tauchte das erste Paar so genannter Designer-Steroide auf. Das sind Moleküle, die kein Nebenprodukt der medizinischen Forschung mehr sind, sondern einzig zu dem Zweck in die Welt gesetzt wurden, dem Netz der Doping-Fahnder zu entgehen.

Was seither geschieht, charakterisiert Donald Kennedy, der Herausgeber der führenden amerikanischen Wissenschaftszeitschrift "Science", die den Olympischen Spielen einen Spezialbericht vorausschickt, sehr treffend als "ein pharmakologisches Wettrennen zwischen den Nachweistechniken der Drogenfahnder und dem Einfallsreichtum der Designer-Steroid-Spezialisten. Es ist ein knappes Rennen; und soweit man aus der Vergangenheit Lehren ziehen kann, ist es unmöglich zu wissen, wer zu einem bestimmten Moment führt".

Aber selbst wenn es gelingen sollte, die Betrüger unter den Steroid-Designern im Zaum zu halten - was schon rein technisch kaum möglich scheint -, so zeichnen sich abseits von der Steroid-Front bereits neue Doping-Fronten ab.

Was ist "Gen-Doping"?

Das Gemisch aus sportlichem und sportwissenschaftlichem Ehrgeiz, aus finanziellen Interessen der Athleten, Funktionäre und Massenmedien und der nationalistischen Rhetorik führt wahrscheinlich dazu, dass in Zukunft jede sich abzeichnende Möglichkeit zum Doping-Betrug auch ergriffen wird.

Zumindest eine davon - so sieht das auch Thomas Murray - wird mit Sicherheit kommen, auch wenn sie bei den heurigen Olympischen Spielen noch kein Problem sein dürfte: Gen-Doping.

Die Vorstellung, dass alle Athleten mit denselben Chancen an den Start gehen, war noch nie mehr als eine Illusion. Das gilt vor allem für die Qualität der genetischen Ausstattung: Hochleistungssportler sind oft schon genetisch anders ausgestattet als Amateursportler. Der Grundstein für ihren Erfolg wurde bei manchen von ihnen bereits gelegt, bevor sie noch geboren wurden. Sie bekamen von ihren Eltern ein für bestimmte Sportarten besonders günstiges Gen-Sortiment mit auf den Weg.

Ein eklatantes Beispiel dafür sind die Langstreckenläufer aus Kenia, die es in den letzten 20 Jahren geschafft haben, alle Langstrecken zu dominieren - von 800 m bis zum Marathon. Der Physiologe Bengt Salin hat sich mit seiner Kopenhagener Forschungsgruppe zum Ziel gesetzt, das Erfolgsgeheimnis der Kenianer zu lüften. Seit mehr als zehn Jahren vergleicht er kenianische und skandinavische Läufer in Bezug auf ihre Physiologie und Trainierbarkeit. Die Ergebnisse sind überraschend - alle Erklärungen, welche an den Stammtischen dominieren, blieben auf der Strecke: Es ist nicht die Höhe Kenias, die den Läufern zugute kommt. Die Skandinavier stehen den Kenianern in der Fähigkeit, Sauerstoff zu verbrauchen, in nichts nach. Das Essen ist ebenso wenig ausschlaggebend: Die Kenianer sind eher schlechter ernährt als die Skandinavier, aber trotz ihrer Diät ausdauerndere Läufer. Auch die populäre Vermutung, dass alle Kenianer über lange Strecken in die Schule laufen mussten oder dass sie wegen ihrer Armut bereit sind, härter zu trainieren, kann nicht wirklich die Erklärung sein. Dänische Kinder bewegen sich ebenso viel und Dänen schinden sich an den Trainingsgeräten eher mehr.

Auch wenn die Experten darüber noch nicht ganz einer Meinung sind, so gestehen sie der Kopenhagener Gruppe doch zu, einige der wichtigsten Ursachen herausgefunden zu haben: Die Kenianer ermüden langsamer. In ihrem Blut steigt der Lactatgehalt, produziert von Muskeln unter Sauerstoffmangel, langsamer an. Ursache dafür ist ein Enzym in den Skelettmuskeln, das die Lactatkonzentration signifikant niedriger hält als bei den Dänen. Das kann ein Resultat von Training sein, ist aber möglicherweise genetisch verankert.

Vor allem aber können die Kenianer mit demselben Sauerstoffgehalt etwa 10 Prozent weiter laufen als Europäer. Sie brauchen zum Laufen weniger Energie, weil sie dünne Unterschenkel haben. Bei ihnen sitzen pro Schenkel an die 400 Gramm weniger Fleisch als bei den durchschnittlichen dänischen Läufern - und das geht sehr wahrscheinlich auf ein günstig abgestimmtes Sortiment von vielen Tausenden von Genen zurück, die den Körperbau bestimmen.

Die Sportmediziner sind mittlerweile daran gegangen, nach einzelnen Genen oder Genorten zu fahnden, welche bei der Maximierung athletischer Leistungen eine Rolle spielen könnten, weil sie die Sauerstoffaufnahme erhöhen, das Herz effizienter machen oder höhere Kraft oder Ausdauer begünstigen. Bisher glaubt man, in 90 Fällen fündig geworden zu sein.

Vorteilhafte Mutationen

In zwei dramatischen Fällen sind die Auswirkungen genetischer Anlagen schon zur Legende geworden. Da ist zum einen der Fall des finnischen Skilangläufers Eero Mänyranta, der bei der Winterolympiade 1964 zwei Goldmedaillen gewonnen hat. Jahrzehnte später wurde entdeckt, dass er aus einer Familie stammt, die auf Grund der Mutation eines Gens auf Erythropoetin extrem stark reagiert. Erythropoetin (EPO) ist ein hauptsächlich in der Niere produziertes Hormon, das die Produktion von roten Blutkörperchen stimuliert, so dass das Blut mehr Sauerstoff transportieren kann. Nachdem man in den späten Achtzigerjahren daran gegangen war, EPO zur Therapie von Blutarmut in großen Mengen gentechnisch zu produzieren, griff auch die Doping-Mafia zu. Die Drogen-Fahnder sind mit dem Problem des Nachweises von EPO-Doping noch immer nicht befriedigend zurande gekommen. Immer noch arbeitet man an billigeren und empfindlicheren Tests zum Nachweis von EPO. Für Mänyranta wäre das kein Problem gewesen: seine Mutation verschaffte ihm mehr rote Blutkörperchen als mit EPO-Doping je erreichbar gewesen wären.

Der zweite Fall wurde erst vor kurzem im renommierten "New England Journal of Medicine" wissenschaftlich beschrieben. Es handelt sich um einen Jungen, der mit einer Mutation geboren wurde, welche ein bestimmtes Gen funktionsuntüchtig gemacht hat, so dass es kein Myostatin produzieren kann. Myostatin ist ein Protein, dessen Funktion darin besteht, die Aktivierung von Muskelstammzellen zu blockieren. Ohne eine solche Blockade bilden sich aus diesen Stammzellen zusätzliche Muskelzellen. Schon bei seiner Geburt hatte der Junge die Physis eines Mini-Bodybuilders und er ist beängstigend fit: im Alter von viereinhalb Jahren konnte er zwei 3-kg-Hanteln mit ausgestreckten Armen halten.

Myostatin ist also ein Faktor in einem komplexen molekularen Steuerungssystem, welches die Muskelbildung beeinflusst. Es wirkt blockierend, doch es gibt auch Moleküle, welche die Muskelbildung fördern. Nadia Rosenthal, spezialisiert auf Entwicklungsgenetik, hat im Jahr 2001 mit ihren Kollegen am Europäischen Molekularbiologie-Laboratorium im italienischen Monterotonde Mäuse "zusammengebastelt", die eine Extra-Kopie eines Gens enthalten, dessen Genprodukt der insulinähnliche Wachstumsfaktor-1 (IGF-1) ist.

Diese Mäuse sind wahre Muskelpakete, die etwa doppelt so viel Muskeln haben wie normale Mäuse. (Die Presse hat sie auch prompt "Schwarzenegger-Mäuse" getauft). Sie bilden ohne jedes Training Muskeln aus, denen das Altern scheinbar nichts anhaben kann. Das ist medizinisch von außerordentlichem Interesse, da man damit gegen alle Fälle von Muskelschwund ankämpfen kann. Lee Sweeney von der Universität in Pennsylvania, der mit dem Europäischen Labor zusammenarbeitet, schreibt dazu: "Wir wussten, dass das IGF-1-Protein, wenn man es in die Muskeln einspritzt, dort innerhalb von wenigen Stunden abgebaut werden würde. Aber wenn man das IGF-1 produzierende Gen in eine Muskelzelle einschleust, dann sollte es dort so lange funktionieren, so lange die Zelle lebt - und Muskelzellen leben sehr lang. Eine einzige Dosis IGF-1-Gen in den Muskelzellen eines älteren Menschen könnte dort wahrscheinlich für den Rest seines Lebens funktionieren."

Eingeschmuggelte Gene

Was man für die Gentherapie braucht, ist also ein Verfahren, die IGF-1-Gene in den Muskelzellen - und nirgendwo anders - zu deponieren. Bei Mäusen ist das bereits gelungen: Man synthetisierte ein IGF-1-Gen, das nur in Skelettmuskeln funktionieren kann, baute dieses synthetische Gen in das Genom eines bestimmten Virus ein, der dabei nur als Transportvehikel diente. Die so modifizierten Viren infizieren Skelettmuskeln ohne alle Nebenwirkungen. Die zelleigene Synthesemaschinerie der Muskelzellen stellt dann eine Vielzahl von Kopien der IGF-1-Gene her, welche den Wachstumsfaktor zu produzieren beginnen. In der medizinischen Anwendung bei Menschen ist das noch in weiter Zukunft. Bisher konnte kein gentherapeutisches Verfahren so sicher gemacht werden, dass es über das Versuchsstadium hinausgelangt wäre.

Wer die Geschichte des Steroid-Dopings vor sich hat, wird jedoch nicht vergessen haben, welche Risiken man dabei den Athleten zugemutet hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass man einmal an Athleten ausprobiert, was an Mäusen schon funktioniert hat. Nadia Rosenthal sieht darin eine neue Gabe aus der Büchse der Pandora: "Es wäre sehr schwierig nachzuweisen, dass jemand einen Teil seiner Muskeln einer derartigen Gentmanipulation verdankt. Die eingeschmuggelten zusätzlichen Gene sind ja maßgeschneidert dafür, in den Muskelzellen weggeschlossen zu bleiben." Nichts kommt in das Blut oder den Urin, wozu die Drogenfahnder Zugriff hätten. Es gäbe nur die Chance, kurz vor dem Wettkampf eine Muskelbiopsie vorzunehmen - aber damit kann natürlich kein Athlet einverstanden sein.

Literatur: Spezialberichte anlässlich der Olympischen Spiele: "Science", 30. Juli 2004, Seiten 631-644: Testing Human limits. From the Ignoble to the Sublime.

"Nature", 5. August 2004, Seiten 602-609:

To the edge and over . . .

H. Lee Sweeney: Gene Doping. Can it be long before it changes the nature of sport ? "Scientific American", July 2004, 37-43.

Freitag, 13. August 2004

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