Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Portal zum österreichischen EU-Vorsitz 2006 Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Benutzer-Hilfe
 Politik  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon   Glossen    Bücher    Musik 

Artikel aus dem EXTRA LexikonDrucken...

Mosaik aus Lebensbausteinen

Seit 50 Jahren wird das menschliche Genom erforscht
Von Peter Markl

Wenn man eine Rangliste der heute die Welt prägenden wissenschaftlichen Arbeiten aufstellen wollte, wäre eine Arbeit, die vor fast genau 50 Jahren, am 25. April 1953, in der englischen "Nature" erschien, ein aussichtsreicher Kandidat für Platz 1: nur etwas mehr als eine Seite lang, im ersten Teil gespickt mit einem kristallographischen Jargon, der nur für wenige verständlich ist, versehen mit dem wahrhaft nicht reißerischen Titel: "Eine Struktur für Desoxyribonukleinsäure".

Junge Biologen träumen seither davon, sich so viel Understatement leisten zu können wie die beiden Autoren, denen die Arbeit den Nobelpreis eintrug: "Wir möchten", schrieben James Watson und Francis Crick "eine Struktur für das Salz der Desoxyribonukleinsäure (DNA) vorschlagen. Diese Struktur hat neue charakteristische Eigenschaften, die von beträchtlichem biologischen Interesse sind".

Mehr darüber wollten die Autoren anfangs gar nicht in der Arbeit deponieren - vor allem, weil James Watson sich nicht so sicher war, ob die Struktur auch profunde Kritik überstehen würde.

Man fügte daher Kautelen ein: "So weit wir das jetzt sagen können, stimmt die Struktur annähernd mit den vorliegenden experimentellen Daten überein, sie muss aber als nicht bewiesen gelten, solange sie nicht an Hand exakterer Resultate geprüft wurde." Francis Crick hat dann aber doch darauf bestanden, noch einen Satz einzufügen, der das Understatement auf die Spitze treibt: "Es ist uns nicht entgangen, dass der spezifische Mechanismus der Basen-Paarung, den wir vorgeschlagen haben, unmittelbar einen möglichen Mechanismus zur Kopie des genetischen Materials nahe legt."

Der genetische Code

Heute, 50 Jahre später, ist offensichtlich, dass diese Arbeit - zusammen mit einer zweiten, von Watson und Crick nur fünf Wochen später in der gleichen Zeitschrift veröffentlichten Arbeit über die genetischen Implikationen der vorgeschlagenen DNA-Struktur - eine revolutionäre Entwicklung in der Biologie auslöste. Es war diese zweite Arbeit, in der die biologische Bedeutung des vorgeschlagenen Modells explizit diskutiert wurde - bis hin zu prophetisch anmutenden Sätzen wie: ". . . es scheint daher wahrscheinlich, dass die genaue Aufeinanderfolge der Basen der Code ist, der die genetische Information trägt. Unser Modell legt auch mögliche Erklärungen für eine Reihe anderer Erscheinungen nahe" - und als Beispiel dafür wird dann einer der möglichen Mechanismen für spontane Mutationen angeführt. Was in den restlichen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts in der Molekulargenetik erforscht wurde, ist in einem gewissen Sinn alles nur eine konsequente Folge des 1953 gestarteten Forschungsprogramms.

In den Sechzigerjahren entschlüsselte man den genetischen Code, in den Siebzigerjahren lernte man, DNA-Abschnitte zu sequenzieren und mit den Mitteln der Gentechnik die Basenabfolge und damit die genetische Information eines Organismus abzuändern, was in den Achtzigerjahren die Anfänge der heutigen Art von Biotechnologie möglich machte.

Immer noch war es aber bis dahin eine Hürde, dass man von vielen der interessanten DNA-Sequenzen viel zu wenig Probenmaterial in die Hand bekommen konnte, um die Sequenz aufklären zu können. Erst als man mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion beliebig viele Kopien eines DNA-Stranges herstellen konnte, war diese Hürde überwunden.

In den Neunzigerjahren ging man dann daran, die Methoden zur Sequenzanalyse zu perfektionieren und immer billiger zu machen, sodass es möglich wurde, gigantische Projekte anzugehen, von denen man bis dahin nur träumen konnte - vor allem die Aufklärung der Aufeinanderfolge jener etwa drei Milliarden Basen, in denen die genetische Information eines Menschen verschlüsselt ist.

Man muss kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass man, was die Anwendungen der neuen Techniken betrifft, sicher erst am Anfang ist. Das Beste kommt noch. Schon jetzt aber haben die Methoden der Sequenzanalyse die überkommene Sicht von der Stellung des Menschen in der Natur irreversibel verändert.

Mensch und Affe

Svante Pääbo vom Max Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, einer der führenden Experten auf dem Gebiet der evolutionären Geschichte des menschlichen Genoms, hat für das Dossier, das "Nature" jüngst zum 50. Jubiläum der Veröffentlichung der DNA-Struktur herausbrachte, eine griffige Formulierung gefunden: "Was die Genetik betrifft, sind die Menschen im wesentlichen afrikanische Affen." Der Vergleich der Gensequenzen zeigt, dass die Sequenzen von Menschen denen von afrikanischen Primaten - wie Schimpansen oder ihre kleineren Verwandten, den Bonobos, und in geringerem Ausmaß selbst auch den Basensequenzen der Gorillas - viel ähnlicher sind als den Basensequenzen im Genom der asiatischen Orangutans. Da bekannt war, dass Menschen und Schimpansen gemeinsame Vorfahren haben, hatte man natürlich Ähnlichkeiten erwartet, aber - zumindest was die Basensequenzen betrifft - sind die Unterschiede ernüchternd klein: die Basensequenzen von Menschen und Schimpansen unterscheiden sich im Durchschnitt nur um 1,2 Prozent.

Bevor man Methoden entwickelt hatte, aus den Unterschieden vergleichbarer Basensequenzen verschiedener Organismen auf ihren Verwandtschaftsgrad zu schließen und abzuschätzen, wann der letzte gemeinsame Vorfahre der beiden Arten gelebt hat, war man überzeugt davon, dass sich die Abstammungslinien von Menschen und Schimpansen schon vor etwa 30 Millionen Jahren getrennt haben müssten. Die molekulargenetischen Daten - immer noch behaftet mit einer Unsicherheit, deren Größe wegen eines ganzen Bündels von Problemen nicht genau abschätzbar ist - lassen jedoch den Schluss zu, dass dieser letzte gemeinsame Vorfahre vor 4 bis 6 Millionen Jahren gelebt haben könnte.

Es ist zwar sicher, dass die Entwicklungslinie, die zu den Gorillas führt, bereits früher - vor 6 bis 8 Millionen Jahren - abzweigte, als Menschen und Schimpansen noch gemeinsame Vorfahren hatten. Aber die Zeit, die verstrich, bis es zum zweiten Speziationsereignis - der Verzweigung der Evolutionslinien zu einerseits Menschen und andererseits Schimpansen - kam, muss relativ kurz gewesen sein. Man nimmt heute an, dass das vor 6 bis 8 Millionen Jahren geschah. Die Zeit zwischen den beiden Speziationsereignissen scheint jedenfalls so kurz gewesen zu sein, dass sich im Genom der noch gemeinsamen Vorfahren von Menschen, Schimpansen und Bonobos nur wenige Mutationen ansammeln konnten, bevor dann im zweiten Speziationsereignis die gemeinsame Abstammungslinie zu den Menschen und Schimpansen abzweigte. Viele Genabschnitte gleichen wahrscheinlich noch den Genabschnitten, welche die gemeinsamen Vorfahren von Gorillas, Menschen und Schimpansen gehabt haben.

Die Kürze der zwischen den beider Speziationsereignissen verstrichenen Zeit hat Folgen. Svante Pääbo schreibt dazu: "Uns ist wirklich erst vor kurzem klar geworden, dass die Verwandtschaft zwischen Menschen und afrikanischen Menschenaffen so groß ist, dass die DNA-Sequenzen wie 'verfilzt' erscheinen. Obwohl die Mehrheit der Regionen im menschlichen Genom den entsprechenden Abschnitten im Genom der Schimpansen und Bonobos am nächsten verwandt ist, gibt es einen nicht zu vernachlässigende Teil von Sequenzen, welche den Abschnitten der Gorillas verwandter sind. In anderen Regionen sind einander die Sequenzen entsprechender Abschnitte der drei afrikanischen Menschenaffen untereinander näher verwandt als mit menschlichen Basensequenzen."

Was man bisher vermutet hatte, gibt es nicht: die eine, einzige Geschichte, welche die Verwandtschaft unseres Genoms zu dem Genom der afrikanischen Primaten erklären könnte. Was es gibt, sind unterschiedliche Segmente, deren jedes seine eigene Geschichte hat: "In dieser Hinsicht gleicht das Genom einem Mosaik, gebildet aus Bausteinen, deren jeder eine eigene Geschichte hat."

Welcher Fleckenteppich das menschliche Genom ist, zeigt sich noch drastischer, wenn man die menschliche Basensequenz nicht mit den entsprechenden Sequenzen anderer Tiere vergleicht, sondern untereinander. Der Vergleich Mensch zu Mensch zeigt, dass die Sequenzen zu 99,9 Prozent identisch sind. Die Unterschiede, die man beim Vergleich analoger Chromosomen verschiedener Menschen findet, sind nicht etwa über das ganze Chromosom gleich verteilt. Man findet sie gehäuft in verschiedenen "Haplotyp-Blöcken", wobei der Haplotyp-Block zwischen 5.000 bis 200.000 Basenpaaren lang ist. Es sind meist nur 4 bis 5 Sequenzunterschiede, durch die sich die meisten Haplotypen voneinander unterscheiden. Man hat unlängst an Hand von 928 Haplotyp-Blöcken die Genome von Afrikanern, Asiaten und Europäern verglichen und herausgefunden, dass sich die DNA-Sequenzen von Afrikanern im Durchschnitt mehr voneinander unterscheiden als die Genome von Afrikanern und Europäern. Die Kerben der Zeit tauchen im Genom der Afrikaner häufiger auf, weil ihre Geschichte weiter zurückreicht.

Afrikanische Ursprünge

Wenn man alle bisher vorliegenden genetischen Indizien mit Belegen aus anderen Quellen kombiniert, dann kommt man zum Schluss, dass sich die heutigen Menschen aus einer kleinen Population - vielleicht nur etwa 10.000 Individuen - entwickelten, die vor 50.000 bis 200.000 Jahren in Afrika gelebt haben. "Genetisch gesehen sind wir", schreibt Svante Pääbo, "alle Afrikaner, entweder weil wir noch in Afrika leben oder erst vor kurzem von dort in ein Exil außerhalb Afrikas gegangen sind." Das macht ein Problem brisanter, das seit einiger Zeit immer wieder diskutiert wird. Es gibt in der "Alten Welt" Populationen von Hominiden ja seit etwa 2 Millionen Jahren, und sie haben dort auch bis vor etwa 30.000 Jahren gelebt.

Die Neandertaler zum Beispiel, die in Westeuropa zahlreiche Fossilien hinterlassen haben, deren jüngste sogar etwas jünger sind als 30.000 Jahre. Wo sind sie hingekommen? Wieso konnten sie sich gegen die späteren Nachfahren jener kleinen afrikanischen Population nicht behaupten?

Vielleicht - so eine gängige Vermutung - haben sie sich mit den erfolgreichen Populationen der Vorfahren der heutigen Menschen vermischt. Die bisher vorliegenden genetischen Daten haben allerdings keine Belege für Vermischung in großem Ausmaß geliefert, auch wenn man eingestehen muss, dass die Genanalyse hier an Grenzen stößt. Svante Pääbo schreibt dazu: "Auch wenn Kreuzungen vorgekommen sein sollten, so hätten sie doch unser Genom nicht wesentlich verändert." Man weiß nämlich, dass die bereits detektierten genetischen Unterschiede in den Basensequenzen der DNA des Zellkerns zwischen verschiedenen heutigen Menschen auf eine Zeit zurückgehen, die noch vor der Aufspaltung der Evolutionslinien der modernen Menschen und der Neandertaler lag. Die Divergenz zwischen den modernen Menschen und den Neandertalern erfolgte erst vor so kurzer Zeit, dass einzelne Genabschnitte der Neandertaler wahrscheinlich den Genabschnitten einiger heutiger Menschen ähnlicher sind als den entsprechenden Gensequenzen im Genom von Neandertalern, die neben ihnen lebten. Die genetische Variation, die wahrscheinlich innerhalb der Populationen der verschiedenen Formen alter Hominiden zu finden war, überlappt sich daher mit der genetischen Variation, die man zwischen heutigen Menschen findet, und das macht es schwierig, aus solchen Daten eine genaue Vorstellung davon abzuleiten, wie oft Kreuzungen stattgefunden haben könnten. Dazu Svante Päärbo: "Es scheint daher (heute) sehr wahrscheinlich, dass die modernen Menschen archaische Hominiden ersetzt haben, ohne dass es in großem Ausmaß zu Kreuzungen gekommen wäre."

So faszinierend und ernüchternd solche Schlüsse aus der Analyse der Basensequenzen im Genom auch sein mögen, so haben sie doch eines gezeigt: es ist nicht die Zahl der Gene, auf die es ankommt, und - wenn es um die Erklärung der Unterschiede verschiedener Spezies geht - auch nicht vorrangig die Zahl der Unterschiede in ihrem Genom.

In den 50 Jahren seit der Entdeckung der Struktur der DNA ist auch klar geworden, dass es an der Front der genetischen Forschung nicht mehr in erster Linie um die Struktur der Genome gehen wird, sondern um ihre dynamische funktionale Organisation: Es ist die Reihenfolge, in der die genetische Information der einzelnen Gene abgerufen und in Wechselwirkung zu anderen Genen und zur Umwelt gesetzt wird, welche erklären kann, wieso aus zwei Genomen, deren Basensequenzen im Durchschnitt zu 98,8 Prozent identisch sind, einmal ein Mensch wird und ein anderes Mal ein Schimpanse.

Die Anfänge zur Aufklärung der funktionellen Organisation des Genoms sind gemacht, aber man setzt keine sehr riskante Prophezeiung in die Welt, wenn man vermutet, dass diese Aufgabe nicht nur die Genetiker, sondern ein viel weiteres Spektrum von Experten noch über die nächsten 50 Jahre hinaus faszinieren wird.

Literatur:

Beyond the Double Helix: 50th Anniversary 1953-2003.

Nature Vol. 421 vom 23. Jänner 2003.

Svante Pääbo: The mosaic that is our genome.

Nature Vol. 421 (23. Jänner 2003), 409-412.

Freitag, 14. Februar 2003

Aktuell

Kampf um Religionsfreiheit
Religionsfreiheit und Religionskonflikte sind im heutigen Europa brisante Themen
Kopftücher und falsche Nasen
Zwischen rigider Männermoral und westlichem Modernismus: Die Lage der Frauen im Iran
Endspiel mit Samuel Beckett
Zum 100. Geburtstag eines einflussreichen Pioniers der zeitgenössischen Kunst

1 2 3

Lexikon


W

Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum