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Tierische Mathematiker

Rechnen war der Natur immer schon ein Anliegen · In Experimenten bewähren sich Tiere als Zahlenjongleure

Von Peter Markl

Für die wahren Tierliebhaber steht das alles außer Frage · schließlich gibt es kaum etwas, das sie ihren Lieblingen nicht zutrauen würden. Erst jüngst hat der
nimmermüde Rupert Sheldrake in seinem vorläufig letzten Rundumschlag in Sachen „wissenschaftsähnliche Mystik" versucht, aus der Behauptung Geld zu machen, dass Hunde parapsychologische Fähigkeiten
hätten: in einem Buch mit dem bewundernswert direkten Titel „Hunde, die wissen wann ihr Besitzer nach Haus' kommt" behauptet er, dass Telepathie für Hunde kein Problem sei, so dass sich auch niemand
wundern sollte, wenn sie schon im Vorhinein wissen, wann ihr Besitzer nach Haus' kommen wird.

Bei hündischem Hellsehen ist er nicht so sicher, obwohl er natürlich auch das nicht im Vorhinein ablehnen will · schließlich hat er ja seine Theorie von den „morphogenetischen Feldern", die ihm alles
das ganz plausibel erscheinen lässt.

Natürlich gibt es Nörgler · nicht zuletzt Wissenschafter, die von den morphogenetischen Feldern nach wie vor nichts halten und sich lieber auf sorgfältig ausgeklügelte Versuchsanordnungen stützen, in
denen man auch weniger verkaufsfördernde Vermutungen kritisch prüfen kann. Ihr Ahnherr ist Dr. Pfungst, der sich am Beginn des nunmehr bereits letzten Jahrhunderts eines Berliner Pferds · des „Klugen
Hans" · annahm, mit dem Herr von Osten von Jahrmarkt zu Jahrmarkt reiste, wo man die verblüffende Rechenfähigkeit nicht des Herrn von Osten, sondern seines Pferds bewundern konnte.

Schon damals vermutete man Übersinnliches im Spiel, aber Dr. Pfungst konnte zeigen, dass das Pferd nur sinnlich reagierte: was es wahrnahm, waren kleine Indizien, die es aus den Gesten derjenigen
ablas, die es auf die Probe stellten. Die Frage, wie weit es Tiere im Umgang mit Zahlen bringen können, ist auch heute noch weitgehend offen, im besonderen die Frage, wie abstrakt ihr Umgang mit
Zahlen ist.

Rechnen mit Schokolade

Nehmen sie den Fall von Sarah: Sie ist eine Schimpansin, die man gelehrt hat, dadurch Sätze zu vervollständigen, dass sie Bausteine aus einer Anordnung verschieden gefärbter Bausteine auswählt.
Jeder der von Sarah manipulierten Bausteine war ein Symbol für eine sprachliche Bedeutung. Wenn man Sarah bat, den Satz „ . . . ist die Farbe von Schokolade" zu ergänzen, wählte sie den Baustein aus,
der ein Zeichen für „braun" war, obwohl er selbst eine andere Farbe hatte. Auch der Baustein, der als Zeichen für „Schokolade" eingeführt worden war, war nicht braun. Sarah scheint irgendwie über
einen abstrakten Begriff „Braun" verfügt zu haben. Für sie gab es die Farbe Braun und ein Symbol für diese Farbe. Und es gab Schokolade und ein Symbol für Schokolade.

Der Satz „Braun ist die Farbe von Schokolade" war das Abbild einer Beziehung zwischen diesen Symbolen und damit genau das, was man als das Wesentliche an einem bei Tieren anzutreffenden kognitiven
Prozess ansehen kann. Aus zahlreichen anderen und raffinierteren Studien geht · nach Meinung heute fast aller Wissenschafter · hervor, dass Schimpansen nicht nur ihre Umgebung wahrnehmen, sondern
sich auch ein kognitives Modell ihrer Umwelt zu bilden scheinen, das aus Zeichen und den Beziehungen zwischen ihnen besteht. Es scheint, als ob die Evolution den Tieren die genetische Ausstattung zur
Ausbildung eines solchen kognitiven Modells mitgegeben hat · eine Fähigkeit, die trainiert werden kann. Kanzi · ein sprachlich exzellent trainierter Bonobo-Schimpanse · ist so zu einem Sprach-Star
geworden.

Über das Zählen hinaus

Die Frage ist nun, wie es die Tiere mit Zahlen halten. Das ist in mehr als einer Hinsicht keine leichte Frage, da der Umgang mit dem Zahlbegriff auch bei Menschen eine ganz erstaunliche Fähigkeit
ist. Bertrand Russel hat einmal angemerkt, dass es einige Zeitalter gedauert haben muss, bis man entdeckte, dass ein Paar Fasane und ein Paar von Tagen beides Realisierungen für den Begriff „Zwei"
sind.

Was nun die Tiere betrifft, so sind sie sicher lange nicht so zahlenbegabt wie Menschen. Man kann das an einem einfachen Beispiel sehen: Wenn ein Vogelexperte seine Vögel ungestört beobachten will,
versteckt er sich hinter einer Sichtblende. Aber auch das hilft nur, wenn man einen Trick anwendet. Wenn die Vögel sehen, wie man hinter die Sichtblende geht, werden sie auf die Sichtblende
aufmerksam und reagieren irritiert. Daher gehen anfangs zwei Personen hinter die Sichtblende, aber eine Person verlässt das Versteck nach einigen Minuten wieder. Die meisten Vögel verhalten sich dann
ganz ungestört, weil sie keine Mathematiker sind und daher nicht mitbekommen, dass dann hinter der Sichtblende immer noch eine Person steckt: Sie können nicht subtrahieren. Vögel · so viel scheint
bestätigt · sind keine besonders guten Mathematiker.

Darin unterscheiden sie sich sicher von anderen Tieren, obwohl man mit einem Urteil darüber vorsichtig sein sollte: Es gibt verblüffend kompliziertes tierisches Verhalten, das Mathematiker nur mit
aufwändigen mathematischen Modellen beschreiben können, obwohl die Tiere dazu natürlich keine höhere Mathematik brauchen. Das Tier, das überleben wird, muss von der Evolution einen Mechanismus, oder
zumindest die Anlagen zur Erlernung eines Mechanismus, mitbekommen haben, die es ihm möglich macht, seine Abschätzung künftiger Vorteile im Licht vergangener Erfahrungen zu modifizieren · das
Bayesche Theorem dazu braucht nur der sie beobachtende Wissenschafter, und auch der nur während seiner Arbeit.

Enttäuschte Erwartungen

Es gibt aber auch Situationen, in denen Tiere wirklich mit Zahlen umzugehen scheinen. Mark D. Hauser, Professor für Psychologie an der Harvarduniversität, hat jüngst für den „American
Scientist" zusammengefasst, was man bisher darüber herausgefunden hat, inwieweit Tiere oder kleine Kinder über eine begriffliche Repräsentation von Zahlen verfügen. Die größte experimentelle Hürde
besteht natürlich darin, dass weder Tiere noch kleine Kinder reden können. Man muss daher nach Indizien fanden, die etwas über nicht verbal formulierte seelische Vorgänge erschließen lassen.
Psychologen wenden dazu einen Trick an, den sie von Magiern abgeschaut haben könnten: Sie erzeugen Erwartungen, die sie dann enttäuschen. Was man registriert, sind Indizien für eine Reaktion auf
enttäuschte Erwartung. Magier haben es leichter als die Tierpsychologen: Sie können sich auf Erwartungen stützen, die im Alltagswissen verankert sind. Alle wissen, dass man Menschen nicht in der
Mitte auseinanderschneiden kann, ohne sie umzubringen. Man verfolgt daher mit Schaudern die Geschäftigkeit auf der Bühne und ist verblüfft, dass der Meister die getrennten Hälften wieder zu der
üblichen attraktiven Dame zusammenfügen kann.

Karin Wynn, Entwicklungspsychologin an der Yale-Universität, hat einen analogen Versuch mit fünf Monate alten Kindern durchgeführt. Natürlich musste sie in den Kindern dazu erst eine Erwartung
aufbauen. Sie zeigte ihnen dazu auf einer Bühne eine, zwei oder drei Mickymäuse, die sie auch hinter einem Vorhang verschwinden lassen konnte. Nachdem die Kinder sich an den Anblick einer
vereinzelten Mickymouse ebenso gewöhnt hatten wie an eine Bühne, bevölkert von einer Zweier- oder Dreiergruppe, führte sie ihnen vor, wie aus einem hinter dem Vorhang verborgenen Mickymouse-Single
durch ostentatives Hinzufügen einer weiteren Mickymouse eine traute Zweiergruppe wird. Die Kinder sind anfangs ganz interessiert, verlieren dann aber ihr Interesse: Mehr als einen blasierten kurzen
Blick haben sie dafür später nicht mehr übrig. Dann aber begann Karin zu schwindeln: Sie setzte zur Einzelmaus bei geschlossenem Vorhang plakativ nicht nur eine zweite Maus, sondern · für die Kinder
unsichtbar · noch eine dritte. Jetzt waren sie verblüfft: 1 + 1 schien auf einmal 3 zu sein · sie starrten 2 Sekunden länger als normal auf das unerwartete Bild.

Nummerische Schlichtheit

Karin Wynn deutete dieses Ergebnis so, dass die Kinder über eine angeborene Kapazität verfügen, am Beispiel einer kleinen Zahl von Objekten einfache Additionen und Subtraktionen und damit
mathematische Operationen ausführen zu können. Die Frage, ob die Kinder dazu wirklich so etwas wie eine nichtsprachliche symbolische Repräsentation von Zahlen haben oder entwickeln müssen, ist
allerdings offen. Einige kognitiven Wissenschafter, eingeschworen auf die Erklärung von mentalen Vorgängen als Prozesse, die mit mentalen symbolischen Repräsentationen zu tun haben, sind dabei,
auszuprobieren, wie weit man mit solchen Erklärungen kommen kann. Ihre Kritiker haben weniger abstrakte Erklärungsmöglichkeiten bereit: Vielleicht · so eine von mehreren vorgeschlagenen Möglichkeiten
· zählen die Kinder mit Hilfe einer Art von „innerem" Metronom und speichern das Resultat irgendwo im Hirn. Der Rest ist dann Assoziation.

Marc Hauser und seine Kollegen haben analoge Versuche an erwartungsenttäuschten Rhesusaffen auf einer Insel vor der Küste Costa Ricas ausgeführt und dabei auch die Methodologie raffiniert erweitert.
Resultat: Diese Affen erfassen ganz spontan eine Welt, in der auch quantitative Beziehungen vorkommen · eine Welt, in der es an Zahlen allerdings nur Eins, Zwei, Drei und Viele gibt. Und darin sind
sie nicht nur menschlichen Kindern, sondern auch der Syntax der natürlichen Sprache verblüffend ähnlich: Auch natürliche menschliche Sprachen haben oft Wörter für „Eins", „Zwei" und „Drei", verwenden
aber nur mehr den Ausdruck „Viele" für alles, was darüber hinausgeht. Vielleicht · so Marc D. Hauser · legt diese Konvergenz die Vermutung nahe, dass es im Hirn stammesgeschichtlich alte, gemeinsame
Mechanismen gibt, welche angeboren sind und es einer Vielzahl von Spezies möglich machen, derartige einfache numerische Abschätzungen durchzuführen. Und das wirft sofort die Frage auf, ob diese
Anlagen bei Tieren ausbaufähig sind.

Die Antwort darauf ist klar: Tiere sind im Zählen erstaunlich lernfähig. Dazu nur ein Beispiel. Man kann Tauben in eine Skinner Box setzen und sie darauf trainieren, dass sie auf einen von drei
Knöpfen hinpecken, wenn er aufleuchtet. Wenn sie das eine vorbestimmte Zahl oft tun, dann gibt es eine Belohnung in Form einer Art „Tauben-Zuckerl" · beim linken Knopf ist die Belohnung nach 45
Schnabelschlägen fällig, beim rechten erst nach 50. Der mittlere Knopf ist eine Art Schikane: Wenn er aufleuchtet, werden die Vögel solange darauf hinpecken, bis das Licht deshalb verlöscht, weil es
der Experimentator ausschaltet, was er entweder nach 45 oder 50 Schnabelschlägen tut. Jetzt leuchten verwirrenderweise beide Seitenknöpfe auf. Die Tauben kommen überhaupt nur dann zu einer Belohnung,
wenn sie sich gemerkt haben, wie oft sie auf den mittleren Knopf hingehackt hatten und sich dann dem richtigen von beiden Seitenknöpfen zuwenden. Das ist · erstaunlich genug · anscheinend kein
Problem für gut trainierte Tauben! Was das Zählen angeht, sind die Tiere also erstaunlich weit trainierbar.

Die Frage ist aber wiederum nur, ob die trainierten Tiere einen Begriff von „45" oder „50" erworben haben. Verrechnen sie Symbole für „45" oder „50"? Elizabeth Brannon und Herb Terrace von der
Columbia-Universität haben jüngst gezeigt, dass sich neue Experimente mit gefangenen Rhesusäffchen dadurch erklären lassen, dass sie über Begriffe für die Zahlen von „Eins" bis „Neun" verfügen.

Weit darüber hinaus führt die naheliegende nächste Frage: Welcher Selektionsdruck hat dazu geführt, dass sich die mathematischen Fähigkeiten bei manchen Tieren weiterentwickelten? Eine Evolution auf
genetischer Ebene oder sozialer Druck, das zu einem Lernen führte, dessen Resultate unter Menschen dann kulturell weitergegeben werden? Besonders interessant ist das natürlich bei Menschen. Hauser
sieht dabei die in den Anlagen genetisch vorprogrammierte Fähigkeit, Objekten ganz spontan Symbole zuzuordnen und dann Folgen dieser Symbole so zu manipulieren, dass eine neue Bedeutung entsteht, als
ganz zentral an · so weit man weiß, können das nur menschliche Kinder, deren sprachliche Entwicklung mit der Entwicklung eines solchen kombinatorischen Systems einhergeht.

Rechnen für den Markt

Es ist offen, ob sich diese kombinatorischen Fähigkeiten beim Spracherwerb oder beim Erwerben der mathematischen Fähigkeiten unabhängig voneinander entwickelten. Es scheint aber, dass es dafür
bis zu einem gewissen Grad unabhängige Systeme gibt · man kennt Patienten mit Hirnschäden, die sprachlich große Ausfallerscheinungen zeigen, obwohl ihre mathematischen Fähigkeiten kaum gelitten
haben. Marc Hauser wagt eine Vermutung: Als der soziale Tauschhandel mit materiellen Gütern aufkam, hatten diejenigen einen Vorteil, die gut zählen und mit Symbolen durch Kombinatorik auch rechnen
konnten. Das ist natürlich nur eine der nicht zu unrecht berüchtigten evolutionären Erzählungen, die leicht auszudenken, nicht zu widerlegen und sehr verführerisch sind. Was diese Geschichte
betrifft, vielleicht sogar zu verführerisch: Sollten wirklich auch dabei die Marktmechanismen so produktiv gewesen sein, wie es heute eine intellektuelle Mode will?

Literatur:

Marc D. Hauser: What Do Animals Think About Numbers? American Scientist, Vol. 88, March/April 2000.

Freitag, 03. März 2000

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